Die Bedingungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung enthalten grundsätzlich Klauseln mit einer konkreten Verweisung. Eine solche konkrete Verweisung kann erhebliche Auswirkungen auf die Ansprüche des Versicherungsnehmers im Falle einer Berufsunfähigkeit haben. Denn auch wenn der Versicherungsnehmer seinen alten Beruf nicht mehr ausüben kann, kann eventuell eine Leistung verweigert werden, wenn er tatsächlich bereits einer anderen Tätigkeit nachgeht. Woran man eine konkrete Verweisungsklausel in den Versicherungsbedingungen erkennt, wann sie greift und was der Versicherungsnehmer im Fall der Fälle beweisen muss, wird im folgenden Beitrag thematisiert.
Im Gegensatz zur abstrakten Verweisung sind konkrete Verweisungsklauseln in fast allen Versicherungsverträgen zu finden. Die Formulierungen unterscheiden sich oftmals in ihren Details voneinander, im Kern findet sich jedoch folgende Formulierung:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person […] keiner anderen, ihrer Ausbildung, ihren Fähigkeiten und ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechenden beruflichen Tätigkeit nachgeht.“
Durch die konkrete Verweisung erfolgt also die Definition der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit und somit die wesentliche Voraussetzung, um Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beanspruchen zu können. Im Mittelpunkt der Klausel steht, dass der Versicherungsnehmer nicht bedingungsgemäß berufsunfähig ist, wenn er tatsächlich einer neuen Tätigkeit nachgeht, die mit seiner bisherigen Lebensstellung vergleichbar ist. Ob eine vergleichbare Tätigkeit hingegen hypothetisch ausgeübt werden könnte, ist nicht Gegenstand der konkreten Verweisung, sondern der abstrakten Verweisung.
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Voraussetzung dafür, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer auf eine andere Tätigkeit verweisen darf, ist, dass der Versicherungsnehmer diese Tätigkeit tatsächlich bereits aufgenommen hat bzw. diese ausübt. Ob er dafür eine Umschulung machen musste oder nicht, ist hingegen unerheblich (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 152, 2020).
Die Tätigkeit muss dafür inhaltlich „anders“ sein als der bisherige ausgeübte Beruf, darf also nicht komplett deckungsgleich sein. Wird zwar nach Außen betrachtet ein anderer Beruf ausgeübt, der inhaltlich jedoch mit dem bisherigen Beruf übereinstimmt, stellt sich schon die Frage, ob überhaupt eine Berufsunfähigkeit vorliegt (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 158, 2020).
Entscheidend für die Zulässigkeit der Verweisung bei einer neu ausgeübten Tätigkeit ist jedoch die Frage, ob diese mit der bisherigen Lebensstellung vergleichbar ist (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 160, 2020). Dafür kommt es darauf an, ob die notwendige Qualifikation für den neu ausgeübten Beruf mit derjenigen des alten Berufes vergleichbar ist und ob wesentliche Merkmale des alten Berufes auch in dem neuen Beruf vorausgesetzt werden (OLG Bremen, Urteil v. 18.05.2009 – 3 U 46/08). Die bloße Ausübung dieser neuen Tätigkeit lässt noch nicht darauf schließen, dass diese Anforderungen gewahrt sind. Sie können jedoch ein Indiz für die Wahrung der bisherigen Lebensstellung darstellen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 160, 2020).
Auf eine etwaige Differenz des Einkommens zwischen altem und neuem Beruf kommt es bei der konkreten Verweisung nur an, wenn die Versicherungsbedingungen dazu eine Bestimmung enthalten (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 163, 2020). Dabei kommt es jedoch nur auf das tatsächlich erzielte, und nicht das potenziell erzielbare Einkommen an, wenn die Versicherungsbedingungen keine abweichenden Regelungen diesbezüglich treffen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 162, 2020). Eine Prognoseentscheidung kann jedoch bei ungewissen Berufsentwicklungen geboten sein, wie beispielsweise bei einem Bundeswehroffizier, der nun als Prüfingenieur arbeitet (siehe auch Verweisung eines Bundeswehroffiziers in der Berufsunfähigkeitsversicherung auf Prüfingenieur (OLG Celle)). Generell kommt es bei der Vergleichbarkeit der Lebensstellung darauf an, ob das Einkommen im Vergleich mögliche andere abweichende Gesichtspunkte der Lebensstellung ausgleichen kann. So argumentierte auch das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung (siehe hierzu auch Fortschreibung des erzielten Einkommens bei Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung? (OLG Oldenburg)).
Die Fachanwälte für Versicherungsrecht der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte haben bereits in einer Vielzahl von Verfahren eine Anerkennung der Berufsunfähigkeit erreicht. Dies gilt sowohl in Fällen, in denen der Versicherte die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte mit der Begleitung des Leistungsantrages beauftragte, als auch in Fällen, in denen Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte außergerichtlich oder vor Gericht die Rechte des Versicherten erstreiten mussten. Im Folgenden finden Sie hierzu einige ausgewählte Verfahren unserer Kanzlei:
Um die Lebensstellung des Versicherten prägen zu können, muss die neu aufgenommene Tätigkeit zudem eine gewisse Dauer aufweisen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 165, 2020). Denn bei einer nur kurzfristigen Tätigkeit entspricht die neue Lebensstellung der alten noch nicht (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 165, 2020). Wann eine neu aufgenommene Tätigkeit nicht mehr als kurzfristig gilt, muss im Einzelfall betrachtet werden. Jedenfalls wird keine Kurzfristigkeit mehr angenommen, wenn die Schwelle einer sechsmonatigen Probezeit überwunden ist (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 166, 2020).
Eine Befristung steht der Prägung der Lebensstellung hingegen nicht entgegen, da diese im modernen Arbeitsmarkt nicht unüblich sind und das nicht von der Berufsunfähigkeitsversicherung abgedeckte Arbeitsplatzrisiko widerspiegeln (OLG Saarbrücken, Urteil v. 30.09.2008 – 5 U 156/08 – 16). Hat der Versicherte jedoch eine neue Tätigkeit ausgeübt, die grundsätzlich vergleichbar war, und wurde er in dieser gekündigt, steht das einer Vergleichbarkeit der Lebensstellungen dem OLG Hamm nach nicht entgegen, da sich auch in einem solchen Fall das Arbeitsplatzrisiko realisiere. Denn schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund einer Kündigung, die nicht gesundheitsbedingt ist, können im Rahmen der Berufsunfähigkeit keine Berücksichtigung finden (siehe auch Verweisungstätigkeit und Arbeitsplatzverlust bei Berufsunfähigkeit).
Wenn jedoch die neu ausgeübte Tätigkeit aufgegeben werden muss, weil auch diese gesundheitlich nicht zumutbar ist, liege ein Fall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit vor, so der BGH (siehe auch Verminderte Leistungsfähigkeit bei Berufsunfähigkeit als Normalzustand des Versicherten?). Denn maßgeblich sei dann die Tätigkeit, die vor der nachfolgenden, leidensbedingt nicht ausführbaren Tätigkeit begonnen wurde. Zu betrachten ist also, ob die Tätigkeit, für die sich der Versicherte entschieden hat, tatsächlich dazu geeignet ist, die bisherige Lebensstellung zu wahren oder nicht. Ob es ihm dabei möglich wäre, die Tätigkeit so zu gestalten, dass dies der Fall ist, ist nicht maßgeblich. Vielmehr ist der Versicherer an die Entscheidung des Versicherten hinsichtlich Art und Umfang der neu ausgeübten Tätigkeit gebunden (BGH, Urteil v. 07.12.2016 – IV ZR 434/15).
Sollte sich der Versicherer auf die konkrete Verweisungsklausel berufen wollen, so stellt sich die Frage, hinsichtlich welcher Tatsachen der Versicherte und bzw. oder der Versicherer beweispflichtig sind.
Anders als bei der abstrakten Verweisung ist bei der konkreten Verweisung der Versicherte beweispflichtig. Wird bereits eine andere Tätigkeit ausgeübt, obliegt es dem Versicherten zu beweisen, dass diese keine bedingungsgemäße Vergleichstätigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt (BGH, Urteil v. 21.04. 2010 – IV ZR 8/08). Dies ergibt sich daraus, dass der Versicherer im Gegensatz zum Versicherten nicht weiß, welche konkreten Anforderungen die neue Tätigkeit mit sich bringt. Der Versicherte muss von Anfang an detailliert vortragen, weshalb die neue Tätigkeit die bisherige Lebensstellung nicht wahrt. Das gilt auch hinsichtlich der Tatsache, dass die neue Tätigkeit aus gesundheitlicher Sicht nicht in dem Umfang ausgeübt werden kann, der in der Lage wäre, die bisherige Lebensstellung beizubehalten (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 222, 2020).
Gelingt dem Versicherten der Beweis der fehlenden Vergleichbarkeit der Lebensstellung, ist wiederum der Versicherer in der Beweislast, dass eine Vergleichbarkeit der Lebensstellung eben doch vorliegt (BGH, Urteil vom 23.01.2008 – IV ZR 10/07).
Die Beweislast trifft den Versicherten demnach um einiges „härter“, wenn er bereits eine neue Tätigkeit aufgenommen hat und sich auf die fehlende Vergleichbarkeit der Lebensstellungen berufen will.
Im Falle des Eintritts der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gilt es angesichts der konkreten Verweisung in den Versicherungsbedingungen für den Versicherungsnehmer einiges zu beachten. Zunächst muss auf die genaue Formulierung der Klausel geachtet werden. Denn diese gibt vor, unter welchen Voraussetzungen noch keine Tätigkeit im Sinne der Berufsunfähigkeitsklausel vorliegt. Generell ist immer darauf zu achten, ob die neue Tätigkeit eine vergleichbare Lebensstellung mit sich bringt oder nicht. Diesbezüglich stehen Versicherungsnehmer in der Beweislast.
Sollten Versicherungsnehmer, die ihren alten Beruf bedingungsgemäß nicht mehr ausüben können, darüber nachdenken, eine andere Tätigkeit aufzunehmen, empfiehlt es sich, stets einen Fachanwalt für Versicherungsrecht aufzusuchen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Einige Artikel zur konkreten Verweisung sind hier nachzulesen:
Weitere wissenswerte Beiträge im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung sind nachstehend zu finden: Berufsunfähigkeitsversicherung.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
Rechtsanwalt Bernhard Gramlich ist seit 2019 angestellter Anwalt der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2020 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Als Rechtsanwalt hat er bereits einer Vielzahl von Versicherungsnehmern bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Versicherern geholfen.
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