Manche Berufsunfähigkeitsversicherungen verwenden in ihren Versicherungsbedingungen eine abstrakte Verweisung bzw. entsprechende Verweisungsklauseln. Dieses kommt heutzutage zwar selten noch vor und bezieht sich eher auf ältere Versicherungsverträge. Doch woran erkennt man eine abstrakte Verweisung, welche Auswirkungen hat sie für Versicherungsnehmer und was gilt es zu beachten, wenn sich die Berufsunfähigkeitsversicherung auf die abstrakte Verweisungsklausel beruft? Dieses und weitere Fragen werden im folgenden Beitrag beleuchtet.
Die abstrakte Verweisungsklausel in den Versicherungsbedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherungen dient der Konkretisierung der Eintrittspflicht hinsichtlich der Berufsunfähigkeit. Denn die Berufsunfähigkeitsversicherung leistet nur, wenn eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit, wie sie im konkreten Vertrag vereinbart wurde, vorliegt. Demnach müssen die Bedingungen auch vollständig erfüllt sein. Eine typische Formulierung einer abstrakten Verweisungsklausel lautet folgendermaßen:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.“
Ist eine abstrakte Verweisung Vertragsbestandteil geworden, reicht es nicht aus, wenn der bisher zuletzt in gesunden Tagen konkrete ausgeübte Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Auch vergleichbare Berufe, also „andere Tätigkeiten“, dürfen nicht mehr ausgeübt werden können. Deshalb wird die Klausel auch als abstrakte Verweisung bezeichnet. Denn es ist unerheblich, ob der Versicherte eine andere Tätigkeit „konkret“ ausübt. Die theoretische Möglichkeit der Ausübung einer anderen Tätigkeit, die aufgrund der Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und der bisherigen Lebensstellung entspricht, reicht aus.
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Damit der Versicherungsnehmer auf eine andere Tätigkeit als diejenige, die er aktuell nicht mehr ausüben kann, verwiesen werden kann, muss eine Vergleichbarkeit mit der bisherigen Lebensstellung vorliegen. Die Lebensstellung bildet also den Vergleichsmaßstab zwischen der bisherigen und der möglicherweise neuen Tätigkeit. Eine absolute Gleichwertigkeit ist hingegen nicht notwendig (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 13, 2020). Nicht berücksichtigt werden dürfen demnach Berufe, die mit einem spürbar wirtschaftlichen oder sozialen Abstieg des Versicherungsnehmers einhergehen oder deutlich geringere Ausbildungen oder Erfahrungen voraussetzen, als sie der Versicherungsnehmer aufweist (siehe dazu auch Einkommensverlust bei Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung (LG Kleve)).
Das Erfordernis einer gleichwertigen Ausbildungsvoraussetzung dient dem Ausgleich dazu, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung keine Erwerbsunfähigkeitsversicherung ist und somit aufgrund dieses Erfordernisses annähernd gleichwertige Einkünfte erzielt werden können (BGH, Urteil v. 07.12.2016 – IV ZR 434/15). Eine Wahrung der bisherigen Lebensstellung bejahte das OLG Hamm in seinem Urteil bei einem Versicherungsnehmer, wenn der Versicherungsnehmer die Tätigkeit, auf die der Versicherer verweist auch tatsächlich ausübt (siehe hierzu Verweisungstätigkeit & Arbeitsplatzverlust bei Berufsunfähigkeit).
Neben der Vergleichbarkeit mit der bisherigen Lebensstellung muss die Ausübung des Verweisungsberufes dem Versicherungsnehmer gesundheitlich zumutbar sein (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 33, 2020). Um Wirksamkeit zu entfalten, muss die Verweisung die Beeinträchtigung des Versicherungsnehmers berücksichtigen und zudem sicherstellen, dass bei Ausübung der Verweisungstätigkeit der bedingungsgemäße Grad der Berufsunfähigkeit nicht überschritten wird (OLG Saarbrücken, Urteil v. 26.04. 2017 – 5 U 27/15). Kann der Versicherungsnehmer sowohl seinem bisher ausgeübten Beruf als auch dem Verweisungsberuf gesundheitlich nicht nachgehen, liegt auch im Falle der abstrakten Verweisung eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 33, 2020). Beispielsweise lehnte das OLG Hamm eine Verweisung eines Betriebsschlossers auf die Tätigkeit eines Hausmeisters aufgrund einer gesundheitlichen Unzumutbarkeit ab. Denn die Verweisung auf einen Beruf, der auf Kosten der Gesundheit des Versicherungsnehmers gehe, sei unzulässig (siehe hierzu Die abstrakte Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung (OLG Hamm)).
Die Fachanwälte für Versicherungsrecht der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte haben bereits in einer Vielzahl von Verfahren eine Anerkennung der Berufsunfähigkeit erreicht. Dies gilt sowohl in Fällen, in denen der Versicherte die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte mit der Begleitung des Leistungsantrages beauftragte, als auch in Fällen, in denen Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte außergerichtlich oder vor Gericht die Rechte des Versicherten erstreiten mussten. Im Folgenden finden Sie hierzu einige ausgewählte Verfahren unserer Kanzlei:
Nicht nur gesundheitlich muss der Beruf zumutbar sein, sondern auch nach individuellen Kriterien. Insbesondere zu beachten sind das Über- und Unterforderungsgebot (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 46, 2020). Weder muss der Versicherungsnehmer überobligatorische Anstrengungen hinnehmen um den Verweisungsberuf ausüben zu können, noch muss er sich auf Berufe verweisen lassen, die im Vergleich mit seiner bisherigen Tätigkeit deutlich niedrigere Erfahrungen und Kenntnisse verlangen. Verbotene oder ehrenrührige Tätigkeiten stellen ebenfalls keine geeigneten Verweisungsberufe dar (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 44, 46, 2020). Auf eine Tätigkeit, die Wochenend- und Nachtdienste beinhaltet kann ebenfalls nur verwiesen werden, wenn die bisher ausgeübte Tätigkeit solche Dienste auch beinhaltete (OLG Saarbrücken, Urteil v. 20.10.1993).
Eine individuelle Zumutbarkeit liegt grundsätzlich dann nicht vor, wenn etwaige Voraussetzungen zur Berufsausübung vom Versicherungsnehmer noch erworben werden müssen (OLG Brandenburg, Urteil v. 07.09. 2006 – 12 U 165/03). Über das Maß einer normalen Einarbeitung hinaus können der Erwerb von Zusatzqualifikationen oder Umschulungen nicht verlangt werden (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 60, 2020). Kein Fall der individuellen Zumutbarkeit liegt hingegen vor, wenn der Verweisungsberuf eine längere Anfahrt als der bisherige Beruf erfordert. Dies ist zumindest dann der so, wenn ein Wohnortwechsel nicht erforderlich wird (OLG Nürnberg, Urteil v. 26.02.2015 – 8 U 266/13).
Damit die abstrakte Verweisung auf einen Vergleichsberuf einschlägig ist, muss also eine Vergleichbarkeit mit der bisherigen Lebensstellung sowie die gesundheitliche und individuelle Zumutbarkeit vorliegen.
Verweist die Versicherung den Versicherungsnehmer bei einer vereinbarten abstrakten Verweisung auf einen anderen Beruf, stellt sich die Frage, welche Partei welche Tatsachen vorbringen und beweisen muss.
Grundsätzlich trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast für die Berufsunfähigkeit. Bei einer abstrakten Verweisungsklausel erstreckt sich die Beweislast also auch auf die Tatsache, dass er den Verweisungsberuf nicht ausüben kann oder die Vergleichbarkeit mit dem Verweisungsberuf fehlt. Jedoch genügt zunächst der summarische Vortrag des Versicherten, dass keine anderen Tätigkeiten ausgeübt werden können, die der Versicherte mit seinen Ausbildungen und Kenntnissen ausüben könne und die seiner bisherigen Lebensstellung entsprechen (OLG Naumburg, Urteil v. 02.08.2007 – 4 W 15/07).
Sodann trifft den Versicherer die sekundäre Darlegungslast. Er muss die Anforderungen, Umstände, Qualifikationen und alle sonstigen prägenden Merkmale des Verweisungsberufes derart konkret benennen, dass der Versicherungsnehmer diesbezüglich den ihn daraufhin obliegenden Negativbeweis ordnungsgemäß antreten kann (BGH, Urteil v. 12.01. 2000 – IV ZR 85/99). Eine bloß schlagwortartige Aufzählung der umfassten Tätigkeiten genügt diesem Erfordernis nicht (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 211, 214, 2020). Erfolgt keine hinreichend konkrete Schilderung seitens des Versicherers, gilt der einfache Vortrag des Versicherungsnehmers, dass eine Ausübung des Verweisungsberufes nicht möglich sei, als zugestanden (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 213, 2020). Zudem reicht dann ein einfaches Bestreiten des unkonkreten Vortrages des Versicherers aus (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 8. Kapitel Rn. 209, 2020). Genügt der Vortrag des Versicherers jedoch den Anforderungen an eine hinreichend konkrete Beschreibung, muss der Versicherungsnehmer auf diesen mit substantiierten Beweisen reagieren (OLG Hamm, Urteil v. 08.02.2006 – 20 U 171/05).
Abstrakte Verweisungsklauseln werden in neu abgeschlossenen Versicherungsverträgen nur noch selten bis gar nicht mehr verwendet. Vielfach wird seitens der Versicherungen sogar aktiv darauf verzichtet und damit geworben. Dennoch sind abstrakte Verweisungsklauseln in älteren Verträgen zu finden, so dass sich dieser Themenkomplex im Leistungsfall für die Versicherten stellen kann.
Bei Abschluss eines neuen Vertrages sollte darauf geachtet werden, dass eine abstrakte Verweisungsklausel nicht vereinbart wird, denn eine solche Klausel bedeutet meist Nachteile für Versicherungsnehmer.
Falls der bestehende Versicherungsvertrag eine solche Klausel enthält, sind dennoch einige Bedingungen an die wirksame Geltendmachung durch die Versicherung geknüpft. Maßgeblich ist die vergleichbare Lebensstellung beider Berufe sowie die Zumutbarkeit, welche der Versicherer ausreichend darlegen muss.
Sollte ein Versicherungsnehmer auf einen Beruf abstrakt verwiesen werden, empfiehlt es sich, umgehend einen Fachanwalt für Versicherungsrecht hinzuzuziehen, damit die Leistungseinstellung der Berufsunfähigkeitsversicherung anwaltlich überprüft werden kann.
Weitere wissenswerte Beiträge im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung sind nachstehend zu finden: „Berufsunfähigkeitsversicherung“. Im Gegensatz zur „abstrakten Verweisung“ stehe die „konkrete Verweisung“ (s.o.). Ein diesbezüglicher Artikel ist nachstehend zu finden: Die konkrete Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
Rechtsanwalt Bernhard Gramlich ist seit 2019 angestellter Anwalt der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2020 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Als Rechtsanwalt hat er bereits einer Vielzahl von Versicherungsnehmern bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Versicherern geholfen.
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