Trifft den Versicherungsnehmer oder die Versicherungsnehmerin eine spontane Anzeigeobliegenheit? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wann besteht diese spontane Anzeigepflicht vielleicht auch gerade nicht? Was ist der Regelfall und was die Ausnahme? Um diese Fragen wird weiterhin juristisch gestritten. Eine eindeutige und einheitliche, höchstrichterliche Regelung für den Problembereich der sogenannten „spontanen Anzeigeobliegenheit“ im Versicherungsfall lässt sich jedoch bisher nicht feststellen.
Die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte berichtete bereits über einige gerichtliche Verfahren. Doch welche rechtliche Würdigung lag den Entscheidungen der Gerichte zugrunde? Und zu welchen Ergebnissen kamen die Gerichte? Stets ging es in diesen Streitfällen um verschiedene Versicherungszweige und auch um verschiedene Fälle. Die Kanzlei möchte im Folgenden die ergangenen Entscheidungen nochmals aufzeigen.
Im Rahmen der spontanen Anzeigeobliegenheit stellt sich zunächst die Frage nach dem dahinterstehenden rechtlichen Problem. In diesem Zusammenhang ist streitig, ob angesichts der gesetzlichen Frageobliegenheit im Rahmen des § 19 VVG für eine Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben Raum bleibt.
Die herrschende Meinung sehe neben der Offenbarungspflicht im Rahmen des § 22 VVG i. V. m. §§ 123, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 242 BGB keinen Raum. Grundsätzlich sei dieser Auffassung zuzustimmen, jedoch nicht uneingeschränkt. Allgemein anerkannt sei in der Rechtsprechung und Lehre, dass ein Versicherungsnehmer Erklärungen, die die Leistungspflicht des Versicherers betreffen, in der Regel nicht unaufgefordert abgeben müsse. Der Versicherte dürfe vielmehr abwarten, bis der Versicherer von diesen Informationen verlangt.
Indes treffe den Versicherungsnehmer in sehr restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen eine spontane Anzeigeobliegenheit. Hierbei beziehe sich eine solche auf Treu und Glauben beruhende Anzeigepflicht auf die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders wesentlicher Informationen, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit ohne Auskunftsverlangen aufdrängen müsse. Der BGH spricht dabei von „krassen“ Fällen. In diesen gehe es um Informationen, die für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in ganz elementarer Weise betreffen und deren Bedeutung daher für den Versicherungsnehmer auf der Hand liege. Beruft sich ein Versicherungsnehmer in solchen „krassen“ Fällen auf ein fehlendes vorheriges Auskunftsverlangen des Versicherers, so widerspreche dieses Verhalten dem Grundsatz von Treu und Glauben.
Der vorliegend entwickelte Maßstab der Rechtsprechung zu den vertraglichen Anzeigeobliegenheiten sei auf die vorvertragliche Anzeigepflicht zu übertragen. Letztendlich sei trotz dieser Ausnahme in krassen Fällen der Zweck der gesetzlichen Frageobliegenheit gewahrt. Denn die Anzeigepflicht könne nur dann entstehen, wenn die Mitteilungsbedürftigkeit auch ohne Auskunftsverlangen des Versicherers evident ist. Daher bestehe nicht automatisch die Gefahr, dass der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht schuldlos verletze. Es bleibe demnach grundsätzlich Sache des Versicherers, seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Auch sei es seine Sache deutlich zu machen, auf welche Informationen seines Vertragspartners und deren Offenbarung er Wert lege für seine Entscheidung, ob er mit diesem einen Vertrag schließen werde.
Wenn Ihre Versicherung nicht im Versicherungsfall nicht leistet, kann dies mehrere Gründe haben. Trägt der Versicherer vor, es bestünde sogar eine „spontane Anzeigeobliegenheit“, so sollte zeitnah ein Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultiert werden.
Das OLG Braunschweig hat in einem Fall zugunsten des Versicherers entschieden (Hausratversicherung: Arglistige Täuschung über die wirtschaftliche Lage durch den Versicherungsnehmer nach Brandschaden). Der Versicherungsnehmer habe demnach eine Pflicht zur Offenbarung (“spontane Anzeigeobliegenheit”) solcher Umstände, die für die Entschließung des Versicherers über die Entschädigungszahlung im Rahmen einer Schadensregulierung relevant sind.
Vor dem OLG Braunschweig ging es um die Geltendmachung von Ansprüchen durch den klagenden Versicherungsnehmer aus einer Hausratversicherung bei der beklagten Versicherung. Nach einem Brandschaden in einer vom Versicherungsnehmer betriebenen Diskothek begehrte dieser Leistungen aus der Hausratversicherung. Im Rahmen der Schadensregulierung erklärte der Kläger der Beklagten, dass es im Hinblick auf den Diskothekenbetrieb keine geschäftlichen Probleme gebe. Festgestellt werden konnte jedoch, dass die wirtschaftliche Situation dem nicht entsprach. Daraufhin hat der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung und Verletzung einer Obliegenheit angefochten und wurde leistungsfrei.
Der Versicherungsnehmer könne sich nicht darauf berufen, dass er von dem Versicherungsagenten des Versicherers ausdrücklich weder nach seiner finanziellen Lage noch nach seinem Vermögensstand oder seinen Schulden gefragt worden ist. Der Versicherungsnehmer habe nämlich bei schlechter Vermögenslage, insbesondere Schulden, auf die Frage nach seinem wirtschaftlichen Status ein „spontane Anzeigeobliegenheit“ des Vorhandenseins derartiger Schulden. Diese Frage nach seinem wirtschaftlichen Hintergrund sei im Streitfall von der Frage des Versicherers nach etwaigen geschäftlichen Problemen umfasst.
Der BGH hat in einem Fall zugunsten der Versicherungsnehmer entschieden. Ein Versicherungsnehmer müsse nämlich Erklärungen, die die Leistungspflicht des Versicherers betreffen, nicht unaufgefordert abgeben. Vielmehr dürfe er abwarten, bis der Versicherer an ihn herantritt und die Informationen anfordert, die er aus seiner Sicht zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistungspflicht benötigt (BGH Urt. v. 16.11.2005 – IV ZR 307/04).
Der Entscheidung des BGH lag dabei der folgende Fall zugrunde: die klagenden Versicherungsnehmer sind Miteigentümer eines mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks. Sie unterhalten bei der beklagten Versicherung eine zum Neuwert abgeschlossene Wohngebäudeversicherung. Infolge einer Brandstiftung brannte das Gebäude vollständig nieder. Der Versicherer lehnte jedoch die von den Versicherungsnehmern geltend gemachten Ansprüche auf Leistungen ab. Er berief sich dabei u.a. wegen Obliegenheitsverletzung auf Leistungsfreiheit, weil einer der Kläger unvollständige und unrichtige Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen gemacht habe. Der Versicherungsnehmer habe auf entsprechendes Verlangen auch solche Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu offenbaren, selbst wenn die Erfüllung dieser Auskunftspflicht seinen eigenen Interessen widerspreche, weil sie dem Versicherer ermögliche, sich auf die Leistungsfreiheit zu berufen.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ging im vorliegenden Fall zugunsten des Versicherungsnehmers aus. Es verstoße nicht gegen Treu und Glauben, wenn ein Versicherungsnehmer ohne hiernach gemäß § 19 VVG gefragt worden zu sein dem Versicherer nicht von sich aus offenbart, dass sein mitversichertes Kind soeben das Abitur abgelegt hat und erwägt, die Zulassung zum Medizinstudium ggf. im Rechtsweg durchzusetzen (OLG Düsseldorf v. 29.06.2009 – 4 W 20/09).
Der klagende Versicherungsnehmer beantragte die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Deckungsschutz gegen den Versicherer. Gegenstand des begehrten Deckungsschutzes waren die bereits abgeschlossenen Rechtsstreitigkeiten zwischen dem mitversicherten Sohn und mehreren Universitäten auf Zuteilung eines Studienplatzes wegen Nichtausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten. Dies lehnte jedoch der Rechtschutzversicherer unter Hinweis auf die Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalles ab. Der Kläger geht indes von einem versicherten Rechtschutzfall aus, weil frühestens die Stellung der Anträge auf Zuteilung eines sog. außerkapazitären Studienplatzes einen Versicherungsfall begründe. Dem gegenüber beruft sich der Versicherer darauf, dass bereits mit Veröffentlichung der Zahl der Studienplätze der Rechtsverstoß stattgefunden habe. Dies sei ein vorvertragliches Ereignis.
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Deckungsschutz weder der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB noch das von dem Versicherer sinngemäß angeführte Argument, seine Inanspruchname sei bereit zum Vertragsschluss kein ungewisses Ereignis, sondern sicher absehbar gewesen, entgegenstehe. Unter Berücksichtigung der für den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag geltenden Regelungen des VVG 2008 lassen sich ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht erkennen. Gemäß § 19 VVG unterliege der Versicherungsnehmer eine Anzeigepflicht für erhebliche und ihm bekannte Gefahrumstände nur dann, wenn der Versicherer ihn hiernach in Textform gefragt habe. Eine entsprechende schriftliche Frage liege im Streitfall nicht vor.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Der BGH entschied in einem Fall zugunsten des Versicherers, nämlich dass einen Versicherungsnehmer in restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen eine „spontane Anzeigeobliegenheit“ treffen kann Beschluss (BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10). Eine solche Offenbarungspflicht ohne Auskunftsverlangen des Versicherers beruhe auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) und beziehe sich auf Mitteilungen von außergewöhnlichen und besonders wesentlichen Informationen, die für jeden erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers grundlegend berühren. Der BGH betonte in seiner Entscheidung, dass die Rechtsgrundsätze auf ganz spezielle Einzelfallumstände gestützt seien und damit eine weitere abstrakt-generelle Ausführung nicht möglich sei.
Dieser Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: die klagende Versicherungsnehmerin machte Ansprüche gegen die beklagte Versicherung aus einer Hausratversicherung wegen eines Brandes im eigenen Wohnhaus geltend. Im Rahmen eigener Ermittlungen erfuhr der Versicherer, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatten und dass über das Vermögen der Klägerin ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden war. Daraufhin lehnte die Beklagte eine Entschädigungsleistung ab kündigte den Versicherungsvertrag aufgrund des Verschweigens dieser Information.
In Rechtsprechung und Lehre sei zwar allgemein anerkannt, dass ein Versicherungsnehmer Erklärungen, die die Leistungspflicht des Versicherers betreffen, zu denen auch Angaben zu den Vermögensverhältnissen des Versicherten gehören, an sich ohne Aufforderung hierzu nicht abzugeben braucht. Allerdings führte der Senat weiter aus, dass in solchen „krassen“ Fällen das Berufen auf ein fehlendes vorheriges Auskunftsverlangen dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspreche.
Wann ein solcher „krasser“ Ausnahmefall im Einzelfall vorliegt, bleibt jedoch weiterhin unklar. Der Versicherungsnehmer müsste daher vor der Meldung eines Versicherungsfalls an die jeweilige Versicherung positiv erkennen können, ob ein solcher Fall vorliegt, und die Abwägung des BGH selbst vornehmen. Den Regelfall bildet damit weiterhin eher das Nichtbestehen einer solchen Pflicht.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
In einem Fall vor dem KG Berlin ging es um die Feststellung des Fortbestehens einer von dem klagenden Versicherungsnehmer bei der beklagten Versicherung unterhaltenen Krankheitskostenversicherung. Die Beklagte hatte die Anfechtung des Versicherungsvertrages und den Rücktritt von diesem erklärt, weil der Kläger bei Antragstellung nicht alle Fragen umfassend beantwortet habe.
Das KG Berlin hat in diesem Fall zugunsten des Versicherers entschieden (KG Berlin v. 29.04.2014 – 6 U 172/13). Der Versicherungsnehmer habe im Rahmen der Abgabe seiner Vertragserklärung seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt. Gemäß § 19 Abs. 1 VVG sei der Antragsteller verpflichtet, ihm bekannte Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, anzuzeigen. Das KG Berlin stellte fest, dass es gerade auch bei Gesundheitsfragen im Maklerfragebogen um solche des Versicherers gehe. Der mit der Abschaffung der spontanen Anzeigepflicht verfolgte Zweck, dem Versicherungsnehmer das Risiko einer Fehleinschätzung hinsichtlich der Gefahrerheblichkeit einzelner Umstände abzunehmen, mache es nicht zwingend erforderlich, dass der Versicherer das Antragsformular und die darin enthalten Gesundheitsfragen selbst entworfen haben muss.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Vor dem OLG Hamm ging es um die Feststellung des Fortbestehens einer von der klagenden Versicherungsnehmerin bei der Beklagten unterhaltenen Lebensversicherung mit vorgezogener Leistung bei Eintritt einer schweren Krankheit („Dread-Disease-Versicherung“). Der schriftliche Versicherungsantrag der zu versichernden Person wurde damals von einem Versicherungsvermittler des Versicherers aufgenommen. Die Versicherte meldete dem Versicherer so dann einen Leistungsfall wegen einer Erkrankung an Multiple Sklerose (MS). Die Beklagte lehnte die Leistung aus der Versicherung ab. Sie erklärte die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung und den Rücktritt wegen Verletzung von Anzeigeobliegenheiten. Die Klägerin habe bestimmte Fragen aus dem Versicherungsantrag falsch beantwortet. Das LG Münster hatte der Klage der Versicherungsnehmerin stattgegeben. Der Versicherer legte daraufhin Berufung zum OLG Hamm ein.
Das OLG Hamm schloss sich zugunsten des Versicherungsnehmers dem Urteil des LG Münster an (OLG Hamm v. 27.02.2015 – 20 U 26/15). Zu Recht habe das LG Münster angenommen, dass die Beklagte den Nachweis einer objektiven Anzeigepflichtverletzung durch die Klägerin nicht geführt habe. Gemäß § 70 S. 1 VVG sei nämlich das, was der Vermittler im Zusammenhang mit der Aufnahme des Versicherungsantrags erfährt, dem Versicherer zuzurechnen. Eine Anzeigepflicht bestehe nach Ansicht des Senats nur bei solchen Gefahrumständen, nach denen der Versicherer ausdrücklich in Textform gemäß § 126b BGB gefragt hat. Dies sei in diesem Fall nicht geschehen. Verlange man von der Klägerin eine Mitteilung eines nicht erfragten Umstands, so käme dies zur Annahme einer weitergehenden spontanen Anzeigepflicht.
Eine solche Pflicht aus Treu und Glauben komme nach Ansicht des OLG Hamm nur dann in Betracht, wenn es sich um die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders grundlegender Informationen handelt, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsste. Mit dieser Ausführung teilt das OLG Hamm die Auffassung des BGH (BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10). Auch anhand dieser Entscheidung lässt sich nicht eindeutig feststellen, wann ein Ausnahmefall vorliegt.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Auch das OLG Celle hatte zugunsten des Versicherten entschieden, nämlich dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag trotz erklärtem Rücktritt und erklärter Anfechtung durch den Versicherer weiterhin fortbestehe (OLG Celle v. 09.11.2015 – 8 U 101/15). Dem Versicherungsnehmer stehe damit der Anspruch auf Leistung aus der Versicherung zu. Es könne sich zwar über die Anzeigepflicht aus § 19 Abs. 1 S. 1 VVG hinaus aus Treu und Glauben auch eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Umstände ergeben, nach denen der Versicherer nicht oder nicht ordnungsgemäß in Textform gefragt habe. Grundsätzliche müsse sich jedoch dabei der Versicherte darauf verlassen können, dass der Versicherer die aus seiner Sicht gefahrerheblichen Umstände erfragt. Ausnahmen hiervon könne es jedoch geben. Insofern bestehe eine „spontane Anzeigeobliegenheit“ nur bei Umständen, die zwar offensichtlich gefahrerheblich, aber so ungewöhnlich sind, dass eine auf sie abzielende Frage nicht erwartet werden könne.
Im Streitfall ging es um eine Pflegetagegeldversicherung. Der Versicherungsnehmer unterhielt diese Versicherung bei dem Versicherer für seinen Sohn (versicherte Person). Auf dem Untersuchungsblatt der durchzuführenden U7-Untersuchung war in dem Feld „Gesamteindruck: Kind altersgemäß entwickelt“ nichts angekreuzt. Lediglich unter „sonstige Bemerkungen“ wurde aufgeführt, dass eine „globale Entwicklungsverzögerung (macht zuletzt tolle Fortschritte)“ vorliege.
Ein von der gesetzlichen Krankenversicherung beauftragtes Gutachten ergab, dass die Kriterien der Pflegestufe I erfüllt seien. Daraufhin machte der Kläger bei der Beklagten Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung geltend. Der Versicherer hätte jedoch bei Kenntnis der ihr nachträglich bekannt gewordenen Erkrankung des Kindes den Antrag insgesamt abgelehnt. Nach den Risikogrundsätzen des Versicherers führe nämlich alleine eine Entwicklungsstörung eines Kleinkindes zwingend zur Antragsablehnung. Daraufhin erklärte er den Rücktritt vom Versicherungsvertrag, den er in seiner Klageerwiderung zusätzlich wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte.
Allerdings lassen sich auch anhand dieses Urteils des OLG Celle Unklarheiten im Hinblick darauf, wann ein Umstand offensichtlich gefahrerheblich ist, feststellen. Wann die Voraussetzungen einer „spontanen Anzeigeobliegenheit“ als Ausnahmefall vorliegen, wird in dieser Entscheidung nicht eindeutig festgelegt.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Der Sachverhalt vor dem OLG Karlsruhe war im Gegensatz zu den oben genannten ein besonderer. Der klagende Versicherungsnehmer unterhielt bei der beklagten Versicherung eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Besonderheit des Streitfalles bestand darin, dass der Versicherungsvertrag keine Gesundheitsfragen enthielt. Stattdessen enthielt dieser eine vorgedruckte und vom Kläger anzukreuzende Erklärung, mit dem folgenden Inhalt:
„Ich erkläre, dass bei mir bis zum heutigen Tage weder ein Tumorleiden (Krebs), eine HIV-Infektion (positiver AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) diagnostiziert oder behandelt wurden. Ich bin nicht pflegebedürftig. Ich bin fähig, in vollem Umfang meiner Berufstätigkeit nachzugehen.“
Nur im Falle der Nichtabgabe dieser Erklärung hätte der Versicherungsnehmer ein anderes Formular ausfüllen müssen, das zahlreiche Gesundheitsfragen vorsah, die auch Krankheiten „des Gehirns, Rückenmarks oder der weiteren Nerven“ betrafen. Da der Kläger die vorangegangene Erklärung ankreuzte, die sich ausdrücklich auf lediglich vier Erkrankungen bezog, musste er die Frage aus dem anderen Formular nicht mehr beantworten. Bei der Antragstellung war der Versicherungsnehmer bereits an Multiple Sklerose erkrankt. Dieses war ihm auch bekannt. So dann stellte er beim Versicherer einen Leistungsantrag. Diesen lehnte der Versicherer wegen arglistiger Täuschung ab, erklärte den Rücktritt sowie hilfsweise die Kündigung des Versicherungsvertrages. Das LG Heidelberg hatte die Klage des Versicherten sogar abgewiesen.
Das OLG Karlsruhe gab der Berufung des Klägers jedoch dennoch nicht statt (OLG Karlsruhe v. 20.04.2018 – 12 U 156/16). Der Kläger habe keine Leistungsansprüche aus der BU-Versicherung, weil der Versicherer den Versicherungsvertrag wirksam angefochten habe. Ob für den Versicherten darüber hinaus die Aufklärungspflicht bestehe, auch ohne Frage des Versicherers auf gefahrerhebliche Umstände hinzuweisen, sei eine umstrittene Frage, könne aber im Streitfall dahinstehen. Denn eine sog. „spontane Anzeigeobliegenheit“ des Klägers bestand hier nicht. Der Versicherer habe dem Versicherungsnehmer in Form der vorformulierten Erklärung nur spezifische Fragen zu seinem Gesundheitszustand gestellt, die seine bestehende Erkrankung, Multiple Sklerose, gerade nicht erfassten.
Ob für den Versicherungsnehmer nach der VVG-Reform 2007 die Pflicht bestehe, auch ohne entsprechende Frage des Versicherers auf gefahrerhebliche Umstände hinzuweisen, sei in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Eine Ansicht lehne dies ab, die überwiegende Gegenauffassung halte dies grundsätzlich für möglich. Auf diese Frage kam es im Streitfall jedoch nicht an. Vielmehr ging es um die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, die trotz Nichtbestehen einer spontanen Anzeigepflicht nicht ausgeschlossen sei. Dennoch betonte das Gericht, dass es fraglich ist, ob an der Entwicklung bezüglich der Streitfrage um das Vorliegen einer spontanen Anzeigeobliegenheit festzuhalten sei. Allerding bilde weiterhin der allgemein anerkannte Umstand, dass den Versicherungsnehmer grundsätzlich keine spontane Anzeigeobliegenheit trifft, den Regelfall. Unklar bleibt auch nach dieser Entscheidung, wann denn ein solcher Ausnahmefall vorliegt.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Das LG Münster hat in einem ähnlichen Fall anders als das OLG Celle (siehe oben) und damit zulasten der Versicherungsnehmerin entschieden (LG Münster, Urt. v. 21.06.2019 – 115 O 146/18). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von Pflegetagegeld oder die beantragte Feststellung, dass der zwischen den Parteien geschlossene Pflegetagegeldversicherungsvertrag unverändert fortbestehe. Dieser sei nämlich durch wirksame Anfechtung der Annahmeerklärung durch den beklagten Versicherer rückwirkend beseitigt worden. Sie habe bei Antragstellung den Versicherer arglistig getäuscht. Der Versicherte müsse sich zwar grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Versicherer die aus seiner Sicht gefahrerheblichen Umstände erfragt. Ausnahmen hiervon könne es jedoch geben. Insofern bestehe eine „spontane Anzeigeobliegenheit“ nur bei Umständen, die zwar offensichtlich gefahrerheblich, aber so ungewöhnlich sind, dass eine auf sie abzielende Frage nicht erwartet werden könne.
So liege es in diesem Fall. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Pflegetagegeldversicherungsvertrags sowie über Ansprüche auf Zahlung von Pflegetagegeld. Beim Sohn der Versicherungsnehmerin war in der vierten Schwangerschaftswoche die Krankheit Trisomie 21 (Down-Syndrom) diagnostiziert worden. Die Ärzte klärten die Versicherungsnehmerin nach der Geburt über die Erkrankung des Kindes auf. Die Klägerin beantragte am folgenden Tag bei dem Versicherer den Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung für ihren Sohn als versicherte Person. Sie hat in dem von ihr unterschriebenen Antragsformular die Frage nach einzelnen Erkrankungen innerhalb der letzten fünf Jahre mit “nein” beantwortet. Nach Erlangung von Kenntnis darüber erklärte der Versicherer die Anfechtung des Versicherungsvertrages.
Bei der Erkrankung des versicherten Sohnes an Trisomie 21 handele es sich demnach um einen seltenen und außergewöhnlichen Umstand, der angesichts der mit der Erkrankung regelmäßig einhergehenden Folgen das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühre, dass sich der Klägerin die Mitteilungsbedürftigkeit habe aufdrängen müssen. Danach greife im Streitfall die Ausnahme. Damit habe die Versicherungsnehmerin die ihr obliegende spontane Anzeigepflicht verletzt, indem sie dem Versicherer diesen Umstand verschwiegen und diesen arglistig getäuscht habe.
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Das LG Offenburg entschied zugunsten des klagenden Versicherungsnehmers und stellte das Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses fest (LG Offenburg v. 21.02.2020 – 2 S 6/18).
Im Streitfall ging es um eine von dem Versicherungsnehmer bei der beklagten Versicherung unterhaltenen privaten Krankenversicherung. Der Kläger beantragte die Erweiterung seiner privaten Krankenversicherung auf sein minderjähriges Pflegekind, bei dem eine kombinierte Entwicklungsstörung diagnostiziert war. Den Antrag hierzu hat der Kläger, der als Versicherungsvermittler der Beklagten tätig war, selbst in das Computersystem des Versicherers aufgegeben. Hierbei beantwortete der Kläger für den Versicherten (Pflegekind) die Fragen im Antragsformular der Beklagten nach dem Bestehen einer Pflegebedürftigkeit, einer Ataxie in den letzten 5 Jahren sowie nach ambulanten und stationären Behandlung wegen psychischen Erkrankungen in den letzten 12 Monaten mit „Nein“. Daraufhin wurde der Antrag auf Versicherung von der Beklagten angenommen und ein entsprechender Versicherungsschein ausgestellt.
Wenige Monate danach wurde bei der versicherten Person ein fetales Alkoholsyndrom mit Mikrozephalie diagnostiziert. Die Beklagte erklärte daraufhin den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Der Kläger habe das fetale Alkoholsyndrom im Antragsformular nicht angegeben. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte der Kläger Berufung ein.
Das LG Offenburg kam hier zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit nicht vorliege. Den Versicherungsnehmer treffe nämlich bei Antragstellung nicht nach § 242 BGB eine „spontane Anzeigeobliegenheit“, da im Rahmen des § 19 VVG angesichts der gesetzlichen Vorgaben auch über erkennbar gefahrerhebliche Umstände keine Angaben zu machen seien, nach denen nicht gefragt wurde. Außerdem müsse für die Annahme einer Verletzung der Anzeigeobliegenheit positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von den gefahrerhöhenden Umständen bestehen. Dies war hier nach Ansicht des Gerichts nicht der Fall.
Doch auch nach dieser Entscheidung bleibt umstritten, ob nach der VVG-Reform den Versicherungsnehmer eine Anzeigepflicht gefahrerheblicher Umstände trifft, nach denen der Versicherer nicht in Textform gefragt hat.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Das OLG Nürnberg entschied in einem Fall zugunsten des Versicherungsnehmers. Zu Recht habe das Landgericht die Kündigung des Versicherungsvertrages in Bezug auf den Kläger für unwirksam gehalten und der entsprechenden Feststellungsklage stattgegeben (OLG Nürnberg v. 09.07.2020 – 8 U 49/20).
Vor dem OLG Nürnberg ging es um eine private Krankenversicherung, die der klagende Versicherungsnehmer bei der beklagten Versicherung unterhält. Der Kläger erhielt er von der Beklagten für die Anschaffung einer Brille Erstattungskosten in Höhe von 155 Euro. Über die anschließende Rückgabe der Brille beim Optiker informierte er den Versicherer jedoch nicht. Daraufhin erklärte der Versicherer die fristlose, außerordentliche Kündigung des gesamten Versicherungsvertrages.
Zwar treffe den Versicherungsnehmer zumindest eine Obliegenheit, wesentliche Umstände dem Versicherer mitzuteilen. Denn bezogen auf einen konkreten Versicherungsfall bestehe auch ohne Auskunftsverlangen des Versicherers eine sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebende Offenbarungspflicht über wesentliche Informationen, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers grundlegend berühren. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass eine solche Obliegenheitsverletzung nicht ohne weiteres zur außerordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages berechtigt. Dem Versicherer müsse sich vielmehr im Rahmen der Darlegungslast ein konkreter Vortrag zur Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers nahezu aufdrängen.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Das OLG Frankfurt entschied zugunsten des Versicherungsnehmers. Das Landgericht habe die Klage des Versicherungsnehmers auf Erstattung von Aufwendungen zu Unrecht abgewiesen. Die Berufung des Versicherungsnehmers vor dem OLG Frankfurt hatte überwiegend Erfolg. Der Versicherer könne die Kostenübernahme für eine kieferorthopädische Behandlung vorliegen nicht nachträglich ausschließen (OLG Frankfurt v. 24.03.2021 – 7 U 44/20).
In dem Fall ging es um eine private Krankheitskostenversicherung, die der klagende Versicherungsnehmer bei der beklagten Versicherung unterhält. Im Rahmen der Antragstellung auf Abschluss eines Versicherungsvertrages beantwortete der Kläger im Hinblick auf seine mitzuversichernde, neun Jahre alte Tochter die Frage des Krankenversicherers nach “Anomalie” im Zahnbereich mit “nein”. Bei der Tochter, die sich regelmäßig zahnärztlicher Kontrollen befand, lag unstreitig ein Engstand der Backenzähne vor. Bei einem Unfall brach sie sich einen Zahn ab. Es bedurfte sodann einer kieferorthopädischen Behandlung. Doch nach Auffassung des Versicherers handelte es sich bei diesem Zustand der mitversicherten Tochter um eine anzeigepflichtige “Anomalie”, von dem der Versicherungsnehmer Kenntnis gehabt habe. Der Versicherer hätte bei Kenntnis den Vertrag nicht einschränkungslos abgeschlossen, der demnach wegen einer Anzeigepflichtverletzung nachträglich anzupassen sei.
Das OLG stellte fest, dass es sich beim Engstand der Backenzähne nicht um eine Krankheit handele. Ferne führte es aus, dass die Frage des Versicherers im Antragsformular nach “Anomalien” in Bezug auf Zahnfehlstellungen dem künftigen Versicherungsnehmer in unzulässigerweise eine Wertung abverlangen und daher unklar sei. Dementsprechend könne eine unklare Frage im Antragsformular zum Abschluss eines Versicherungsvertrages keine Anzeigepflicht begründen.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Das LG Münster hat jüngst in einem Fall anders als im Jahr 2019 (siehe oben: 115 O 146/18) und damit zugunsten des Versicherungsnehmers entschieden (LG Münster, Urt. v. 03.01.2022 – 115 O 199/20). Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Pflegetagegeld. Außerdem besteht der zwischen den Parteien geschlossene Pflegetagegeldversicherungsvertrag unverändert fort. Der Versicherungsvertrag sei nicht vom Versicherer wirksam angefochten worden. Es fehle nämlich an der arglistigen Täuschung. Im Rahmen der Nachversicherung des Kindes hat die Beklagte keine Gesundheitsfragen gestellt. Insbesondere wurde der Kläger im Rahmen des Abschlusses seiner Versicherung nicht nach etwaigen Krankheiten oder Störungen seines ungeborenen Kindes gefragt.
Die Kammer stellte außerdem fest, dass der Kläger seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten nicht verletzt habe, indem er die pränatale Diagnose eines hypoplastischen Linksherzsyndroms bei seinem Kind nicht von sich aus mitgeteilt hat. Es sei umstritten, ob eine arglistige Täuschung auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen kann, nach denen der Versicherer bei Antragstellung gar nicht gefragt hat. Dies könne sich mangels spezieller gesetzlicher Regelung nur aus Treu und Glauben nach § 242 BGB ergeben. Danach bestehe eine “spontane Anzeigepflicht” nur dann, wenn es sich um die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders grundlegender Informationen handelt, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsste.
Im Streitfall greife eine sich aus Treu und Glauben ergebende Aufklärungspflicht indes nicht. Beim Kind des Versicherungsnehmers war in der 23./24. Schwangerschaftswoche ein hypoplastischer Linksherzsyndrom diagnostiziert worden. Die Kläger beantragte im November 2019 eine Nachversicherung für das neugeborene Kind bei dem Versicherer. Auf die beim Kind diagnostizierte Erkrankung wies der Kläger jedoch nicht hin. Nach Erlangung von Kenntnis darüber erklärte der Versicherer die Anfechtung des Versicherungsvertrages.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Das LG Stade entschied in einem Fall nur teilweise zugunsten des Versicherungsnehmers. Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch auf Zahlung des Zeitwertes, nicht jedoch auf den vollen Zeitwert und auch nicht auf die Neuwertspitze (LG Stade, Urt. v. 08.06.2021 – 3 O 260/18).
In dem Fall ging es um eine Wohngebäudeversicherung, die die Klägerin bei der beklagten Versicherung unterhält. Versichert waren sowohl das Holz-Wochenendhaus als auch das Gartenhaus. Im Dezember 2015 ereignete sich ein Brand, bei dem das Holz-Wochenendhaus nebst Gartenhaus vollständig abbrannte. Die Polizei nahm die Ermittlungen auf und vernahm die Klägerin zunächst als Zeugin, eröffnete ihr jedoch anschließend, dass sie als Beschuldigte geführt werde. Im Schadensformular gab die Klägerin als Schadensursache “Ursache der VN nicht bekannt” an. Weitere Angaben zum Stand des Ermittlungsverfahrens oder der Stellung der Klägerin in den Verfahren wurden nicht gemacht. Das Ermittlungsverfahren wurde im März 2016 eingestellt.
Das LG Stade hat entschieden, dass sich die Beklagte auf eine Obliegenheitsverletzung gemäß den Versicherungsbedingungen sowie nach Treu und Glauben berufen kann. Danach könne der Versicherer nämlich verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Leistungsumfangs erforderlich ist. Das Verschweigen des Beschuldigtenstatus stelle einen solchen Umstand dar, so das LG Stade. Es handele sich um einen evidenten Umstand, den der Versicherungsnehmer spontan, also auch ungefragt, zu offenbaren habe. Denn es liege für den Versicherungsnehmer auf der Hand, dass der Versicherer ein erhebliches Interesse an der Mitteilung dieses Umstandes hat. Außerdem habe der Versicherer im Formular auch nach der Brandursache gefragt. Im Ergebnis sei die Leistungsfreiheit der Beklagten dennoch nur hälftig einzuschränken, da das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingestellt worden sei.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung ist HIER nachzulesen.
Das OLG Hamm bestätigte in seiner Entscheidung (Beschluss v. 29.07.2022 – Az. I-20 U 27/22) die Entscheidung des LG Münster (LG Münster, Urt. v. 03.01.2022 – 115 O 199/20, siehe: hier). Der Versicherer verweigerte die Zahlung von Pflegetagegeldern, da – nach Ansicht der Krankenversicherung – eine wirksame Anfechtung des Pflegetagegeldversicherungsvertrages erfolgt sei. Die Anfechtung sei wirksam, da die Beklagte im Rahmen der Nachversicherung hinsichtlich der Gesundheitsfragen arglistig getäuscht habe, indem sie dem Versicherer das hypoplastische Linksherzsyndrom des zu versichernden Kindes nicht proaktiv – also ungefragt – mitteilte, so das Argument der Krankenversicherung. Denn hinsichtlich der Krankheit des Kindes habe eine spontane Anzeigeobliegenheit bestanden, auch wenn der Versicherer diesbezüglich keine ausdrücklichen Gesundheitsfragen gestellt habe.
Bereits das LG Münster (als Vorinstanz) verneinte aufgrund der konkreten Umstände eine sich aus Treu und Glauben ergebende spontane Anzeigepflicht mangels außergewöhnlicher und besonders grundlegender Information (nachzulesen: hier).
Diese Auffassung bestätigte nun auch das OLG Hamm als Berufungsinstanz. Der Versicherer habe eine gewisse Geschäftserfahrenheit vorzuweisen, welche es ihm ermögliche, bereits im Vorfeld festzulegen, welche Umstände er für einen Vertragsschluss für wesentlich halte. Deshalb bestehe ein Anfechtungsrecht nur in außergewöhnlichen Konstellationen, in denen sich eine Mitteilungspflicht des Versicherungsnehmers aus besonderen Gründen nahezu aufdrängen müsse. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Auch eine bekannte Diagnose des ungeborenen und zu versichernden Kindes führe nicht zu einer derartigen Konstellation. Vielmehr sei es nicht ungewöhnlich, dass bereits im Mutterleib Krankheiten des Kindes diagnostiziert werden, sodass der Versicherer hiernach hätte fragen können. Weiterhin könne der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass vorgeburtliche Erkrankungen für den Versicherer nicht relevant seien, soweit dieser nicht ausdrücklich danach frage.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung des OLG Hamm ist HIER nachzulesen.
Der BGH hatte im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde der Krankenversicherung mit einer Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss v. 29.07.2022 – Az. I-20 U 27/22, siehe: hier) zu befassen. In diesem Beschluss des OLG Hamm ging es um die Frage, ob den Versicherungsnehmer eine spontane Anzeigeobliegenheit trifft, wenn in der Schwangerschaft ein hypoplastisches Linksherzsyndrom beim zu versichernden Ungeborenen diagnostiziert wird. Das OLG Hamm verneinte eine solche spontane Anzeigeobliegenheit mit der Begründung, dass der Versicherer pränatal diagnostizierte Erkrankungen aufgrund seiner Erfahrung ohne weiteres in die Gesundheitsfragen hätte einbeziehen können (siehe: oben). Deshalb habe der Versicherte nicht damit rechnen müssen, dass es sich trotz der mangelnden ausdrücklichen Frage um eine außergewöhnliche Konstellation handle, die eine spontane Anzeigeobliegenheit begründe. Mangels Verletzung einer spontanen Anzeigeobliegenheit käme eine Anfechtung des Versicherungsvertrages nicht in Betracht. Somit bestehe ein Anspruch auf Leistung aus der Pflegetagegeldversicherung.
Gegen diesen Beschluss des OLG Hamm wandte sich die Krankenversicherung mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH. Der BGH wies diese Nichtzulassungsbeschwerde der Krankenversicherung jedoch zurück (BGH, Beschluss v. 29.03.2023 – IV ZR 286/22). Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des BGH sei auch nicht zur Rechtsfortbildung oder Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Entscheidungen des LG Münster sowie des OLG Hamm waren somit nicht zu beanstanden. Der Instanzenzug des Versicherungsnehmers gegen die Krankenversicherung war damit erfolgreich beendet. Die Krankenversicherung war damit schlussendlich zur Zahlung verpflichtet, da keine spontane Anzeigeobliegenheit für den Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Versicherungsantragstellung bestand.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung des BGH ist HIER zu finden.
Das LG Berlin hatte über die Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag einer Pflegetagegeldversicherung zu entscheiden (LG Berlin, Urt. v. 24.03.23 – Az. 23 O 4/21, siehe: hier). Nach Antragstellung wurden bei dem versicherten Kind verschiedene frühkindliche motorische Beeinträchtigungen diagnostiziert. Der Versicherer ging davon aus, dass diese der Mutter schon bei Antragstellung bekannt gewesen seien und erklärte im Rahmen der Leistungsprüfung den Rücktritt vom Versicherungsvertrag aufgrund vermeintlicher Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen. Selbst wenn die motorischen Beeinträchtigungen erst nach Antragstellung diagnostiziert worden seien, so haben die Eltern bereits zuvor schon den Verdacht gehabt, was sie zur Offenlegung dieses Verdachts verpflichtet hätte, so dass Argument der Krankenversicherung jedenfalls.
Der Rechtsauffassung der Krankversicherung erteilte das Landgericht Berlin mit seinem Urteil eine klare Absage. Eine spontane Anzeigepflicht hinsichtlich des Verdachts einer frühkindlichen motorischen Beeinträchtigung bestehe vorliegend nicht. Denn der Versicherer habe in seinen Gesundheitsfragen nur Auskunft über bereits bestehende Diagnosen erbeten. Zudem seien die Gesundheitsfragen offensichtlich auf Erwachsene sowie auf extrem beeinträchtigende Krankheiten zugeschnitten. Deshalb müsse der durchschnittliche Versicherte nicht davon ausgehen, dass mittelgradige frühkindliche motorische Beeinträchtigungen von diesen Gesundheitsfragen erfasst seien. Die Gesundheitsfragen seien damit nicht falsch beantwortet worden, sodass ein Rücktritt der Krankenversicherung ausscheide und die Leistungspflicht des Versicherers weiter fortbestehe.
Eine ausführliche Besprechung dieser gerichtlichen Entscheidung des LG Berlin ist HIER zu finden.
Der Bundesgerichtshof hat die Frage nach dem Bestehen einer spontanen Anzeigeobliegenheit bislang noch nicht höchstrichterlich und allgemeingültig geklärt. Allerdings hat der BGH insoweit eine Entscheidung zur vergleichbaren spontanen Anzeigepflicht im Rahmen der Leistungsprüfung getroffen, nämlich dass der Versicherungsnehmer den Versicherer über außergewöhnliche und besonders wesentliche Umstände aufzuklären habe, die für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in ganz elementarer Weise betreffen (BGH: Besteht eine sog. „spontane Anzeigeobliegenheit“ für Versicherte im Versicherungsfall?).
Zu vermuten ist demnach, dass es in der Rechtsprechung und in der Literatur in Bezug auf § 19 VVG weiterhin unsicher bleiben wird, ob nach der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes den Versicherungsnehmer auch eine Aufklärungspflicht gefahrerheblicher Umstände trifft, nach denen der Versicherer im Versicherungsantrag nicht in Textform gefragt hat. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es bisher keine eindeutige und einheitliche, höchstrichterliche Rechtsprechung für den Fall der sog. „spontanen Anzeigeobliegenheit“ im Versicherungsfall gibt. Demnach bleibt weiterhin jeder Fall ein Einzelfall und muss damit auch „im Einzelfall“ geprüft werden. Die Ergebnisse einer rechtlichen Überprüfung der jeweiligen Einzelfälle können demnach auch unterschiedlich ausfallen.
Ein Augenmerk ist ferner auf die jüngste Entscheidung des OLG Frankfurt zu richten, wonach eine unklare Frage im Antragsformular keine Anzeigepflicht begründen könne. Zu klären bleibt stets im Einzelfall, wann eine Frage unklar ist.
Damit bleibt festzuhalten, dass es quasi unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden. Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Jöhnke & Reichow haben sich auf derartig komplizierte Versicherungsfälle bzw. Rechtsfälle spezialisiert und verfügen über jahrelange Erfahrung in der Durchsetzung von Ansprüchen der Versicherten gegenüber Versicherungen. Gern nehmen Sie jederzeit Kontakt mit der Kanzlei auf, sofern Sie rechtliche Unterstützung benötigen oder Fragen zu einem laufenden Versicherungsfall haben.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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