Verletzt der Versicherungsnehmer seine Aufklärungs- und Belegobliegenheit, wenn er nicht offenbart, dass anlässlich des geltend gemachten Versicherungsfalls ein Ermittlungsverfahren gegen diesen eingeleitet wurde? Besteht dabei eine sogenannte „Spontanobliegenheit“? Darüber hatte das Landgericht Stade zu entscheiden (LG Stade, Urt. v. 08.06.2021 – 3 O 260/18).
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung. Sowohl das Holz-Wochenendhaus als auch das Gartenhaus sind versichert. Aus dieser Versicherung begehrt die Klägerin die Zahlung wegen eines Brandes, bei dem das Holz-Wochenendhaus nebst Gartenhaus vollständig abbrannte. Das Gebäude ist zum gleitenden Neuwert versichert. Der Brand ereignete sich am 29.12.2015. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin nicht mehr Pächterin des Grundstücks.
Die Polizei nahm am Abend des Brandes Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Brandstiftung auf und vernahm die Klägerin zunächst als Zeugin. Am 30.12.2015 eröffnete die Polizei der Klägerin, dass sie als Beschuldigte geführt werde. Am 06.01.2016 fand ein Ortstermin mit der Klägerin und einem Vertreter der Beklagten statt. Die Klägerin gab im Schadensformular als Schadensursache “Ursache der VN nicht bekannt” an. Weitere Angaben zum Stand des Ermittlungsverfahrens oder der Stellung der Klägerin in dem Verfahren wurden nicht gemacht. Das Ermittlungsverfahren wurde im März 2016 entsprechend eingestellt.
Sodann schloss die Klägerin einen Vertrag mit einem Holzhaus-Hersteller über den Wiederaufbau eines Wochenendhauses. Die Parteien haben vereinbart, dass der Vertrag dann nicht mehr wirksam ist, wenn die Beklagte nicht auch die Neuwertspitze reguliert. Die Klägerin begehrte nunmehr vorgerichtlich eine Zahlung der Beklagten zum Neuwert. Die Beklagte lehnte eine Leistungspflicht jedoch ab.
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Die Klage hat nur teilweise Erfolg. Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch auf Zahlung des Zeitwerts. Ein Anspruch auf die Neuwertspitze besteht nicht, da eine Wiederherstellung des Gebäudes nicht sichergestellt worden sei.
Dazu führte das Gericht zunächst aus, dass die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf den vollen Zeitwert habe. Die Beklagte könne sich insoweit auf eine Obliegenheitsverletzung nach §§ 26 Nr. 2 hh), 34 Nr. 2 VGB sowie entsprechend Treu und Glauben berufen. Danach könne der Versicherer verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Leistungsumfangs erforderlich ist (§ 31 Abs. 1 S. 1 VVG). Ferner beziehe sich eine auf Treu und Glauben beruhende Offenbarungspflicht ohne Auskunftsverlangen auf die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders wesentlicher Informationen, die das Aufklärungsinteresse so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen muss.
Das Verschweigen des Beschuldigtenstatus stelle einen solchen Umstand dar, so das LG Stade. Es handele sich um einen evidenten Umstand, den der Versicherungsnehmer spontan, also auch ungefragt, zu offenbaren habe. Denn es liege für den Versicherungsnehmer auf der Hand, dass der Versicherer ein erhebliches Interesse an der Mitteilung dieses Umstandes hat. Außerdem habe der Versicherer im Formular auch nach der Brandursache gefragt. Es sei schwer möglich, von dem Formularaufbau auf eine Kenntnis der Beklagten im konkreten Fall zu schließen. Indes sei die Annahme, eine Obliegenheitsverletzung könnte in dem Verschweigen der wirtschaftlichen Situation gesehen werden, nicht geeignet, die Entschädigungspflicht der Beklagten in Gänze infrage zu stellen.
Nach dem Dafürhalten des Gerichts könne davon ausgegangen werden, dass ein arglistiges Handeln vorliege. Arglistig handele der Versicherungsnehmer schon dann, wenn er sich bewusst sei, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Regulierung möglicherweise beeinflussen kann. Von Täuschungsabsicht könne ausgegangen werden, wenn ein anderes Motiv nicht ansatzweise auszumachen sei. Das sei hier der Fall. Das Landgericht war im Streitfall davon überzeugt, dass durch das Verschweigen des Beschuldigtenstatus die Klägerin zumindest versucht habe, die Regulierung nicht über Gebühr zu verzögern.
Weiter führte die Kammer aus, dass die Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung grundsätzlich die vollständige Leistungsfreiheit der Beklagten sei. In diesem Fall sei dies jedoch unbillig. Daher sei die Leistungsfreiheit insoweit nur hälftig einzuschränken, meint das LG. Denn das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin sei eingestellt worden. Auch habe sich die Beklagte nicht (mehr) auf Eigenbrandstiftung berufen. Letztlich habe das arglistige Verschweigen mithin nur auf die Beschleunigung der Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs gezielt. Schließlich sei angesichts des Verbraucherinsolvenzverfahrens der Klägerin bei Versagung des gesamten Versicherungsschutzes eine Existenzbedrohung anzunehmen.
Die Entscheidung des LG Stade ist anzuzweifeln. Das Gericht verneint eine Deckung aufgrund des eigenständigen Verwirkungsgrundes der arglistigen Täuschung, der in fast allen Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Sachversicherung enthalten ist. Eine arglistige Täuschung anzunehmen, dürfte jedoch etwas überspitzt sein, zumal bei Brandschäden häufig gegen die Eigentümer von Amts wegen ermittelt wird, um gerade eine Eigenbrandstiftung – welches ein besonders schweres Delikt im Strafgesetzbuch darstellt – auszuschließen.
Noch weniger überzeugend ist jedoch der Umstand, dass das Gericht nach § 242 BGB eine Anspruchskürzung auf die Hälfte vornimmt. In dieser Hinsicht verkennt das Gericht grundlegend, dass eine Kürzung über § 242 BGB nur bei Täuschungen bezüglich der Anspruchshöhe in Betracht kommt. Sodann sind einerseits eine wirtschaftliche Existenzgefährdung und andererseits weitere Voraussetzungen für eine solche Kürzung auf die Hälfte erforderlich, deren Vorliegen das LG Stade im Streitfall jedoch nicht näher prüft.
In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Rechtsprechung des BGH hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 27.05.1992 – IV ZR 42/921): “Eine unzulässige Rechtsausübung ist hiernach nur dann anzunehmen, wenn die Täuschung lediglich einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und bei der Billigkeitsprüfung weitere Gesichtspunkte ins Gewicht fallen”. Vorliegend ging es jedoch nicht um eine Täuschung – sofern man eine solche überhaupt annimmt – zur Höhe, sondern zum Grund, insbesondere gegenüber dem Versicherer. Nach den Grundsätzen des BGH dürfte das LG daher eine Anspruchskürzung auf die Hälfte über § 242 BGB nicht vornehmen.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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