LG Münster verurteilt INTER Krankenversicherung AG zur Leistung aus Pflegetagegeldversicherung

Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte erreichen vor dem LG Münster eine Verurteilung der INTER Krankenversicherung AG zur Leistung aus einer Pflegetagegeldversicherung. Streitentscheidend war dabei die Frage, ob dem Versicherungsnehmer bei außergewöhnlichen und besonders wesentlichen Informationen eine spontane Anzeigepflicht bei Beantragung einer Pflegetagegeldversicherung obliegt. Über diese Frage hatte das Landgericht Münster mit Urteil vom 03.01.2022 – Az.: 115 O 199/20 – zu entscheiden.

Absicherung über Nachversicherungsgarantie in der Pflegetagegeldversicherung

Der Versicherungsnehmer schloss bei der beklagten Versicherung, der INTER Krankenversicherung AG, eine private Pflegetagegeldversicherung ab. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Pflegetagegeldversicherung Teil I (AVB) Teil II zugrunde. Nach den AVB leistet die Beklagte im Falle der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 SGB XI der versicherten Person pro Tag die vereinbarte Tagesleistung.

3 Abs. 2 AVB lautet:

“Besteht bei der INTER am Tag der Geburt für mindestens einen Elternteil eine Pflegetagegeldversicherung, ist die INTER verpflichtet, dessen neugeborenes Kind ab Vollendung der Geburt ohne Risikozuschläge zu versichern, wenn die Anmeldung zur Versicherung spätestens zwei Monate nach dem Tag der Geburt rückwirkend zum Tag der Geburt erfolgt. In diesem Fall besteht Versicherungsschutz auch für Geburtsschäden sowie angeborene Krankheiten und Gebrechen (…)”

Antragsstellung während Schwangerschaft

Zum Zeitpunkt der Beantragung der gewünschten Pflegeversicherung befand sich die Ehefrau des Versicherungsnehmers in der 23./24. Schwangerschaftswoche. Kurz vorher hatte eine durchgeführte Pränataldiagnostik den Verdacht eines hypoplastischen Linksherzsyndroms ergeben. Bei der Beantragung der  streitgegenständlichen Pflegetagegeldversicherung bei der INTER Krankenversicherung AG wies der Versicherungsnehmer auf die ihm (wohl) bekannten Ergebnisse der Pränataldiagnostik jedoch nicht hin. Der Versicherer stellte darauf bezogen jedoch keine Antragsfragen. Erst später hat der Versicherer die folgende Frage in seine Antragsformulare aufgenommen:

“Wurden bei einer derzeit bestehenden Schwangerschaft beim ungeborenen Kind, dessen Elternteil (Mutter oder Vater) Sie werden, im Rahmen einer Pränataldiagnostik Anhaltspunkte für Fehlbildungen oder Störungen festgestellt?”

Nachversicherung des neugeborenen Kindes

Der Versicherer nahm den Antrag im Juli 2019 an. Ende Oktober 2019 zeigte der Versicherungsnehmer dem Versicherer sodann die Geburt des Kindes am 15.10.2019 an und bat um dessen Nachversicherung. Auf das beim Kind diagnostizierte hypoplastische Linksherzsyndrom wies der Versicherungsnehmer auch jetzt nicht hin. Gesundheitsfragen stellte der Versicherer zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht. Der Versicherer schickte dem Versicherungsnehmer daraufhin im November 2019 einen neuen Versicherungsschein. Versicherte Person war nunmehr auch das neugeborene Kind.

Aufgrund der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, mit denen das Kind zur Welt kam, ist dieses nunmehr pflegebedürftig. Die INTER Krankenversicherung AG erbrachte nach der Anzeige der Pflegebedürftigkeit zunächst die vertraglich vereinbarten Leistungen. Im Februar 2020 stellte der Versicherer jedoch die Leistungen ein und hat die Anfechtung des Versicherungsvertrages erklärt. Begründung der Versicherung: der Versicherte habe bei Beantragung der Pflegetagegeldversicherung gegen vorvertragliche Obliegenheiten verstoßen; es habe eine spontane Anzeigeobliegenheit für den Versicherten bestanden, gegen welche er verstoßen habe.

Vertretung durch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Der Versicherungsnehmer beauftragte daraufhin die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen. Das außergerichtliche Verfahren gegen die INTER Krankenversicherung AG brachte jedoch keinen Erfolg, so dass die Erhebung einer Klage erforderlich war.

Mit der Klage vor dem LG Münster wurde das das rückständige Pflegetagegeld sowie die Zahlung zukünftiger Pflegetagegelder für den Versicherungsnehmer geltend gemacht. Zudem begehrt er die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag fortbesteht. Der Versicherer wies die Forderungen auch im gerichtlichen Verfahren zurück. Er berief sich auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs und verwies auf die Erklärte Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Die bereits geleisteten Zahlungen forderte der Versicherer im Rahmen einer Widerklage zurück.

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LG Münster bejaht Ansprüche aus der Pflegetagegeldversicherung

Die Klage des Versicherungsnehmers hatte Erfolg. Das LG Münster folgte vollumfänglich dem Rechtsvortrag der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. Dem Versicherungsnehmer steht damit der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des Pflegetagegeldes für das Kind zu.

Pflegetagegeldversicherung besteht fort!

Nach Ansicht des LG Münster hatte der beklagte Versicherer seine auf den Abschluss des Versicherungsvertrags bzw. der Nachversicherung gerichtete Willenserklärung nicht wirksam angefochten. Es fehle nämlich an einer arglistigen Täuschung.

Ein Anfechtungsrecht setzt voraus, dass der künftige Versicherungsnehmer dem Versicherer trotz Offenbarungspflicht einen Umstand arglistig verschwiegen hat, wobei zwischen Täuschung und der irrtumsbedingten Willenserklärung ein Kausalzusammenhang bestehen müsse. Eine solche Offenbarungspflicht bestehe, wenn der Versicherer fragt, wobei er nicht zwingend in Textform gefragt haben muss. Verschweigt nun der Versicherungsnehmer auf entsprechende Frage einen anzeigepflichtigen und ihm bewussten Umstand, liegt grundsätzlich eine Falschbeantwortung der Gesundheitsfrage vor.

Das LG Münster führt an, dass falsche Angaben in einem Antrag allein nicht den Schluss auf eine arglistige Täuschung rechtfertigen (siehe: „Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen muss nicht Arglist sein“- BGH). Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Frage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gebe es nicht (siehe: „Verschwiegener Arztbesuch nicht immer Arglist“ – OLG Saarbrücken). Daher setze die Annahme von Arglist in subjektiver Hinsicht zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde. Grundsätzlich trägt daher der Versicherer diesbezüglich die Beweislast.

Im Streitfall fehlt es bereits an dem objektiven Tatbestand der Arglist. Der Versicherungsnehmer hatte nämlich gerade keine Gesundheitsfrage falsch beantwortet. Dies machte der Versicherer auch nicht geltend. Im Rahmen der Nachversicherung des Kindes hatte der beklagte Versicherer keine Gesundheitsfragen gestellt. Insbesondere wurde der Versicherungsnehmer im Rahmen des Abschlusses seiner Versicherung nicht nach etwaigen Krankheiten oder Störungen seines ungeborenen Kindes gefragt.

Spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers?

Das LG Münster stellte des Weiteren fest, dass der Kläger seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten auch nicht verletzt hat. Es sei umstritten, ob unter Geltung des novellierten Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) eine arglistige Täuschung auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen kann, nach denen der Versicherer bei Antragstellung gar nicht gefragt hat. Da nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG n.F. jedoch nur noch eine vorvertragliche Anzeigepflicht in Bezug auf solche gefahrerheblichen Umstände besteht, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, sei zweifelhaft, ob noch Raum für die Annahme einer weitergehenden Anzeigepflicht für ungefragte Umstände besteht. Diese müsste sich mangels spezieller gesetzlicher Regelung aus Treu und Glauben nach § 242 BGB ergeben (vgl. BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10).

Das LG Münster führte hierzu aus, dass eine spontane Anzeigepflicht nur dann bestehe, wenn es sich um die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders grundlegender Informationen handelt, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsste (vgl. LG Münster v. 21.06.2019 – 115 O 146/18). Das Gericht fügt dem aber hinzu, dass der Versicherungsnehmer sich dabei grundsätzlich darauf verlassen könne, dass der Versicherer die aus seiner Sicht gefahrerheblichen Umstände erfragt. Versäumt er diese Obliegenheit, könne es dem Versicherungsnehmer nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angelastet werden, wenn er den Fragenkatalog als abschließend ansieht. Hierbei bedürfe es solcher Gefahrumstände, die so selten und fernliegend sind, dass dem Versicherer nicht vorzuwerfen ist, sie nicht abgefragt zu haben. Nur so könne verhindert werden, dass die mit § 19 Abs. 1 VVG bezweckte Abschaffung der ungefragten Anzeigepflicht unterlaufen wird, meint das Landgericht.

Vorliegend sei nach dieser Maßgabe nicht von einer Aufklärungspflicht in Bezug auf das hypoplastische Linksherzsyndrom des Kindes auszugehen. Denn der Versicherer konnte nicht darlegen und beweisen, dass der Gesundheitszustand gefahrerheblich ist. Zur Überzeugung des Gerichts stand nicht fest, dass der beklagte Versicherer aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ein Interesse daran hatte, über den Gesundheitszustand eines nachzuversichernden Kindes aufgeklärt zu werden. Denn der Versicherer sah in § 3 Abs. 2 AVB ausdrücklich die Möglichkeit einer Nachversicherung von neugeborenen Kindern – sogar ohne Risikozuschläge – vor. Ferner beziehe der Versicherer sowohl Geburtsschäden als auch angeborene Krankheiten und Gebrechen in den Versicherungsschutz mit ein. Damit könnten auch neugeborene Kinder unabhängig vom Gesundheitszustand nachversichert werden. Die Möglichkeit, eine Gesundheitsprüfung durchzuführen, habe der beklagte Versicherer dagegen explizit für nachzuversichernde Kinder ausgeschlossen.

Das Landgericht meint schließlich, der Umstand, dass der Versicherer weder beim Vertragsabschluss noch beim Antrag auf Nachversicherung Fragen zum Gesundheitszustand des Kindes stellte, dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu erkennen gebe, dass etwaige Krankheiten des Kindes nicht von Bedeutung sind. Denn es sei dem Versicherer möglich und zumutbar gewesen, solche Fragen zu stellen. Dieser habe vorliegend jedoch eindeutig darauf verzichtet, sodass der Fragenkatalog letztlich als abschließend anzusehen ist. Die spätere Erweiterung der Gesundheitsfragen könne für diesen Fall keine Berücksichtigung finden.

Kein Rechtsmissbrauch des Versicherungsnehmers!

Der Geltendmachung der Leistung steht schließlich auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Im Streitfall hatte der Versicherer sich dafür entschieden, nachzuversichernde Kinder ohne Risikozuschläge zu versichern. Auf die Möglichkeit der Durchführung einer Gesundheitsprüfung habe sie dabei bewusst verzichtet. Soweit der Versicherer meint, der Versicherungsnehmer habe rechtsmissbräuchlich gehandelt, indem er die Versicherung für sich zielgerichtet mit Blick auf die garantierte Kindernachversicherung abgeschlossen und damit ein bekanntes Risiko versichert habe, kann dieser Einwand des Rechtsmissbrauchs aus den oben genannten Gründen nicht durchgreifen, so das LG Münster.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Das LG Münster entschied damit zugunsten des Versicherungsnehmers und folgte damit der Rechtsauffassung der Fachanwälte der Kanzlei Jöhnke & Reichow. Es verurteilte den Versicherer u.a. zur Zahlung rückständiger Pflegetagegelder und wies auch die Widerklage des Versicherers ab.

Eine spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers hat die Kammer im vorliegenden Streitfall abgelehnt. Damit wird abermals die Position des Versicherungsnehmers hinsichtlich einer etwaigen spontanen Anzeigepflicht gestärkt. Eine eindeutige und einheitliche, höchstrichterliche Regelung für den Fall der sogenannten „spontanen Anzeigeobliegenheit bzw. Anzeigepflicht“ im Versicherungsfall liegt aber bisher nicht vor. Es bleibt daher spannend, wie sich andere Gerichte zu dieser Fragestellung positionieren werden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“  und „Pflegetagegeldversicherung“ zusammengefasst. Informationen zum Thema “spontane Anzeigeobliegenheit” finden Sie zudem hier: „Die spontane Anzeigeobliegenheit der Versicherten – ein Mythos oder gelebte Pflicht?“

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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