Das Kammergericht Berlin (KG Berlin) hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob auch die in einem vom Versicherungsmakler erstellten Antragsbogen enthaltenen Gesundheitsfragen Fragen des Versicherers sein können (KG Berlin, Urt. 29.04.2014 – 6 U 172/13).
Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei der beklagten Versicherung eine Krankheitskostenversicherung. Die Beklagte hatte die Anfechtung des Versicherungsvertrages und den Rücktritt von diesem erklärt, weil der Kläger bei Antragstellung nicht alle Fragen umfassend beantwortet habe. Vor dem Landgericht Berlin (LG Berlin) hatte der Kläger den Fortbestand des Versicherungsvertrages begehrt. Das LG Berlin hatte der Klage stattgegeben. Daraufhin legte die beklagte Versicherung Berufung zum KG Berlin ein.
Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Das KG Berlin hat entschieden, dass die erstinstanzliche Feststellung des LG Berlin, dass der Krankheitskostenversicherungsvertrag fortbesteht und nicht durch die Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung der Beklagten beendet worden ist, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalte.
Das Kammergericht war der Auffassung, dass dem Versicherer entgegen der Ansicht des Versicherungsnehmers ein Rücktrittsrecht gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zustehe. Der Versicherungsnehmer habe im Rahmen der Abgabe seiner Vertragserklärung seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt.
Gemäß § 19 Abs. 1 VVG ist der Antragsteller verpflichtet, ihm bekannte Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, anzuzeigen. Diese Verpflichtung habe der Kläger vorliegend verletzt, indem er eine im Antragsformular, mithin in Textform gestellte Gesundheitsfrage objektiv unzutreffend mit „nein“ beantwortet hat, so das Kammergericht.
Der Versicherungsnehmer vertritt die Ansicht, dass es sich bei den Gesundheitsfragen im Antragsformular des Maklers nicht um solche des Versicherers handelte. Das KG Berlin hingegen meint, dass es gerade um Fragen des Versicherers gehe. Zwar sei das Antragsformular nicht ein solches des Beklagten, sondern des Versicherungsmaklers. Und die darin enthaltenen Fragen seien auch im Ausgangspunkt keine Fragen des Versicherers im Sinne des § 19 Abs. 1 VVG.
Der Feststellung, dass die in dem vom Kläger unterschriebenen Antragsformular enthaltenen Gesundheitsfragen solche des Versicherers sind, stehe jedoch grundsätzlich nicht entgegen, dass das Antragsformular nicht von dem Versicherer, sondern von dem Versicherungsmakler erstellt worden ist. Das Gericht führte weiter aus, dass aus der Neuregelung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nicht der Schluss gezogen werden könne, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut des Gesetzes generell ausgeschlossen sein soll, einen von einem Dritten ausgearbeiteten Fragebogen einer Fragestellung durch den Versicherer gleichzusetzen.
Denn der mit der Abschaffung der spontanen Anzeigepflicht verfolgte Zweck, dem Versicherungsnehmer das Risiko einer Fehleinschätzung hinsichtlich der Gefahrerheblichkeit einzelner Umstände abzunehmen, mache es nicht zwingend erforderlich, dass der Versicherer das Antragsformular und die darin enthaltenen Gesundheitsfragen selbst entworfen haben muss. Vielmehr sei dieser Gesetzeszweck auch dann noch gewahrt, wenn sich die Fragen aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers im Einzelfall als solche darstellen, die der Versicherer entweder veranlasst hat oder die er sich zu eigen machen will.
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Das Antragsformular enthalte an diversen Stellen Hinweise, aus denen für einen verständigen Antragsteller deutlich werde, dass nicht der Versicherungsmakler, sondern der Versicherer, an den sich der Antrag richtet, Interesse an den konkret erfragten Informationen hat. Bereits in der Präambel auf der ersten Seite des eigentlichen Antrags finde sich demnach der Hinweis an den Antragsteller, dass die Annahmeentscheidung des Versicherers auf der Grundlage der nachfolgenden Angaben in dem Antragsformular erfolgen wird; dies verbunden mit der Bitte, die Fragen im Antrag vollständig und richtig zu beantworten,
Einen weiteren Hinweis enthalte das Antragsformular in der Einleitung zu den Gesundheitsfragen dahingehend, dass der Antragsteller die Angaben, die er nicht machen möchte, unmittelbar gegenüber der ausgewählten Gesellschaft (Versicherungsunternehmen) schriftlich nachzuholen habe.
Das KG Berlin fasst zusammen, dass aufgrund dieser Hinweise für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ausreichend deutlich werde, dass mit der Beantwortung der Gesundheitsfragen eine vorvertragliche Anzeigepflicht gegenüber dem Versicherer erfüllt werden soll und es sich bei den Gesundheitsfragen dementsprechend um Fragen des Versicherers und nicht um solche des Versicherungsmaklers handelte.
Dem Versicherer „auf Zuruf“ etwas mitteilen zu müssen, nennt man in der Praxis „spontane Anzeigeobliegenheit“. Diese Mitteilungsobliegenheit ist ein sehr praktisches Problem. Denn im Einzelfall muss stets geprüft werden, ob die Vorwürfe der Versicherung überhaupt gerechtfertigt sind.
In der Vermittler-Praxis stellt sich relativ häufig die Frage, was denn nun konkret dem Versicherungsunternehmen – unaufgefordert – anzugeben ist. Denn den Versicherungsnehmer könnte auch eine Anzeigepflicht für gefahrerhebliche Umstände treffen, nach denen der Versicherer nicht in Textform gefragt hat (vgl. BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10 „Hausratversicherung“; OLG Hamm v. 27.02.2015 – 20 U 26/15 „Dread-Disease-Versicherung“; OLG Celle v. 09.11.2015 – 8 U 101/15 „Pflegetagegeldversicherung“; OLG Karlsruhe v. 20.04.2018 – 12 U 156/16 „Berufsunfähigkeitsversicherung“; LG Offenburg v. 21.02.2020 – 2 S 6/18 „Private Krankenversicherung“; OLG Braunschweig v. 20.11.1995 – 3 U 61/95 „Hausratversicherung“; BGH, Urt. v. 16.11.2005 – IV ZR 307/04 „Wohngebäudeversicherung“.
Damit bleibt festzuhalten, dass es unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden.
Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ sowie unter „Vertriebs- und Vermittlerrecht“ zusammengefasst.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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