Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich mit der Frage nach den Voraussetzungen und dem Umfang der Auskunftsobliegenheit des Versicherungsnehmers zu befassen gehabt. Dabei ging es auch um die Frage, ob Obliegenheitsverletzungen, die einer der mehreren Versicherungsnehmer, die in der Wohngebäudeversicherung ein einheitliches Risiko versichert haben, begeht, auch den anderen Versicherungsnehmern zuzurechnen ist (BGH, Urt. v. 16.11.2005 – IV ZR 307/04).
Die Kläger sind Miteigentümer eines mit einem Wohn- und Geschäftshausbebauten Grundstücks. Sie unterhalten bei der beklagten Versicherung eine zum Neuwert abgeschlossene Wohngebäudeversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die VGB 88 zugrunde. Infolge einer Brandstiftung brannte das Gebäude vollständig nieder. Ermittelt werden konnte ein Täter dabei nicht. Die klagenden Versicherungsnehmer machen ihre Ansprüche gegen die beklagte Versicherung zur gesamten Hand geltend und begehren Leistungen aus der Wohngebäudeversicherung.
Der Versicherer lehnte die Versicherungsleistungen jedoch ab. Er berief sich u. a. wegen Obliegenheitsverletzung auf Leistungsfreiheit, weil einer der Kläger unvollständige und unrichtige Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen gemacht habe.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Auch die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Dagegen haben sich die Versicherungsnehmer mit der Revision zum BGH gewendet.
Der BGH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht führte aus, dass die Beklagte wegen Verletzung der Auskunftspflichten durch einen der Kläger leistungsfrei gemäß § 20 Nr. 1d VGB 88, § 6 Abs. 3 VVG (alte Fassung, a. F.) bzw. § 28 Abs. 2 VVG (neue Fassung, n. F.) sei. Dessen Fehlverhalten sei dem anderen Kläger zuzurechnen, weil Gegenstand der Sachversicherung das einheitliche, gleichgerichtete Interesse am Erhalt der Sache sei, so das Gericht. Demgemäß könne nur ein einziger, unteilbarer Versicherungsanspruch bestehen, der den beiden Klägern zur gesamten Hand zustehen würde.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sei der Versicherer berechtigt, dem Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles zur Aufklärung des subjektiven Risikos auch unangenehme Fragen zu stellen, die dieser der Wahrheit entsprechende beantworten müsse.
Der Inhalt einer Obliegenheit im Sinne von § 6 Abs. 3 VVG (a. F.) / § 28 Abs. 2 VVG (n. F.), deren schuldhafte Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge hat, ergebe sich aus den zwischen dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen.
Nach § 20 Nr. 1d VGB 88 hat der Versicherungsnehmer dem Versicherer auf dessen Verlangen im Rahmen des Zumutbaren jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang seiner Entschädigungspflicht zu gestatten und jede hierzu dienliche Auskunft zu geben. Diese Obliegenheit sei nach Auffassung des Gerichts weit gefasst. Ihr Zweck bestehe demnach, für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, darin, den Versicherer in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen seiner Einstandspflicht sachgerecht zu prüfen, indem er Ursache und Umfang des Schadens ermittelt. Dazu gehöre auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängenden Tatsachen, aus den sich die Leistungsfreiheit des Versicherers ergeben könne.
Der Versicherungsnehmer habe daher auf entsprechendes Verlangen auch solche Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu offenbaren, selbst wenn die Erfüllung dieser Auskunftspflicht seinen eigenen Interessen widerspricht, weil sie dem Versicherer ermögliche, sich auf die Leistungsfreiheit zu berufen.
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Die Frage nach der Erforderlichkeit der Angaben zur Ermittlung des Sachverhalts, um die Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können, sei grundsätzlich Sache des Versicherers, feststellend das Berufungsgericht. Zu denen können auch Fragen nach den Vermögensverhältnissen des Versicherungsnehmers gehören, weil sich daraus für den Versicherer Anhaltspunkte ergeben können, dass der Eintritt des Versicherungsfalles und die damit verbundene Entschädigungsleistung der finanziellen Interessenlage des Versicherungsnehmers entspreche.
Festzuhalten sei in diesem Zusammenhang, dass es nach dem Inhalt der in § 20 Nr. 1d VGB 88 vereinbarten Obliegenheit ausreiche, dass die vom Versicherungsnehmer geforderten Angaben zur Einschätzung des subjektiven Risikos überhaupt dienen könne. Es komme dabei nicht darauf an, ob sich die Angaben nach dem Ergebnis der Prüfung als für die Frage der Leistungspflicht tatsächlich wesentlich erweisen, abschließend das Gericht.
Allerdings müsse der Versicherungsnehmer Erklärungen, die die Leistungspflicht des Versicherers betreffen, nicht unaufgefordert abgeben. Er dürfe vielmehr abwarten, bis der Versicherer an ihn herantritt und die Informationen anfordert, die er aus seiner Sicht zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistungspflicht benötigt.
Dem Versicherer „auf Zuruf“ etwas mitteilen zu müssen, nennt man in der Praxis „spontane Anzeigeobliegenheit“. Diese Mitteilungsobliegenheit ist ein sehr praktisches Problem. Denn im Einzelfall muss stets geprüft werden, ob die Vorwürfe der Versicherung überhaupt gerechtfertigt sind.
In der Vermittler-Praxis stellt sich relativ häufig die Frage, was denn nun konkret dem Versicherungsunternehmen – unaufgefordert – anzugeben ist. Denn den Versicherungsnehmer könnte auch eine Anzeigepflicht für gefahrerhebliche Umstände treffen, nach denen der Versicherer nicht in Textform gefragt hat (vgl. BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10 „Hausratversicherung“; OLG Hamm v. 27.02.2015 – 20 U 26/15 „Dread-Disease-Versicherung“; OLG Celle v. 09.11.2015 – 8 U 101/15 „Pflegetagegeldversicherung“; OLG Karlsruhe v. 20.04.2018 – 12 U 156/16 „Berufsunfähigkeitsversicherung“; LG Offenburg v. 21.02.2020 – 2 S 6/18 „Private Krankenversicherung“; OLG Braunschweig v. 20.11.1995 – 3 U 61/95 „Hausratversicherung“.
Damit bleibt festzuhalten, dass es unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden.
Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Gebäudeversicherung“ zusammengefasst.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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