Rechtsanwalt für Versicherungsrecht

Die Unterversicherung

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Nach Eintritt eines Versicherungsfalls werden Versicherte manchmal mit einer Leistungskürzung des Versicherers wegen einer Unterversicherung konfrontiert. Aber was genau ist eine solche Unterversicherung? Der folgende Artikel soll einen Überblick darüber verschaffen, wann eine Unterversicherung vorliegt und welche möglichen Auswirkungen diese auf den Schadensausgleich hat.

Was ist eine Unterversicherung?

Bei Abschluss eines Versicherungsvertrags wird nicht nur bestimmt, welches versicherte Risiko abgesichert werden soll, sondern auch eine Versicherungssumme muss oftmals festgelegt werden. Besonders bei der Angabe von Sachmehrheiten können schnell Fehler passieren. Infolgedessen kann es zu einer Unterversicherung kommen. Eine Unterversicherung liegt vor, wenn bei Eintritt des Versicherungsfalls die Versicherungssumme niedriger ist als der Wert des versicherten Interesses (siehe hierzu auch Unterversicherung in der Wohngebäudeversicherung (OLG Köln)). Es kommt also zu einer Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wert des versicherten Interesses und der im Versicherungsvertrag festgelegten Versicherungssumme.

Handelt es sich bei dem versicherten Interesse um eine versicherte Sachmehrheit ist auf den Gesamtwert abzustellen (siehe auch Erheblichkeit der Unterversicherung bei Sachmehrheiten (LG Berlin)). Anders ist es, wenn in einem Versicherungsvertrag mehrere Versicherungssummen für verschiedene Positionen geregelt sind. Dann muss für die Frage des Bestehens einer Unterversicherung eine Beurteilung jeder Position einzeln erfolgen.

Erheblichkeit der Unterversicherung

Damit der Fall der Unterversicherung eintritt, müsste es sich um eine erhebliche Unterschreitung der Versicherungssumme handeln. Eine erhebliche Überschreitung der Versicherungssumme wird regelmäßig von der Rechtsprechung ab einer Differenz von mehr als 10% angenommen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine starre Grenze. Eine Beurteilung der Unterversicherung wird in jedem Einzelfall gesondert vorgenommen (siehe hierzu auch Die Erheblichkeit der Unterversicherung in der Reisegepäckversicherung (LG Lübeck)).

Bei der Ermittlung der Unterversicherung kommt es auf den Zeitpunkt des Schadeneintritts an. Wurden nachträglich wertsteigernde Maßnahmen am versicherten Objekt ergriffen, so sind auch diese mit in die Berechnung mit einzubeziehen (siehe auch Unterversicherung durch nachträgliche Maßnahmen (OLG Saarbrücken) und Keine Haftung des Versicherungsmaklers für Unterversicherung durch nachträgliche Anschaffungen (OLG Frankfurt)). Dies gilt auch, wenn die Wertsteigerung durch äußere Umstände herbeigeführt wird.

Folgen der Unterversicherung

Das Bestehen einer Unterversicherung hat Auswirkungen auf die Höhe der vom Versicherer im Schadensfall zu erbringende Versicherungsleistung. Dabei ist es jedoch nicht so, dass bei einer Unterversicherung Schäden bis zur Höhe der Versicherungssumme vollständig durch den Versicherer zu regulieren wären. Vielmehr berechtigt § 75 VVG den Versicherer generell bei Schäden – mithin also auch bei Schadenssummen unterhalb der festgelegten Versicherungssumme – die Versicherungsleistung anteilig zu kürzen. Nach der gesetzlichen Regelung hat der Versicherer im Fall der Unterversicherung den Schaden nur im Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert zu ersetzen. Zudem ist die Versicherungsleistung in Höhe der Versicherungssumme begrenzt.

Ausnahmen gelten jedoch bei Versicherungen auf erstes Risiko. Hier trägt der Versicherer den Schaden bis zur Höhe der Versicherungssumme.

Der Unterversicherungsverzicht

Um eine Unterversicherung zu vermeiden, können zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer Vereinbarungen geschlossen werden – z.B. einen sogenannten Unterversicherungsverzicht. Dabei verzichtet der Versichere auf die Anwendung des § 75 VVG.

Eine weitere Vereinbarung zur Vermeidung von Unterversicherung ist die Summenanpassungsklausel. Dabei wird die Versicherungssumme nach Maßgabe eines vereinbarten Index angepasst. Dies bewirkt eine Wertanpassung an äußere Umstände. Ähnliches bezweckt die Vereinbarung einer Wertzuschlagsklausel.

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Haftung des Versicherers oder Versicherungsvermittlers?

Kommt es zu einem Fall der Unterversicherung, stellt sich oftmals auch die Frage, ob dem Versicherer oder dem Versicherungsvermittler eine Falschberatung im Zusammenhang mit der Ermittlung der Versicherungssummen anzulasten ist. Einen Überblick zur Haftungssystematik zwischen Versicherer und Versicherungsvermittler finden Sie auch unter Haftung & Beweislast für Beratungsfehler bei der Vermittlung einer Versicherung

Auch bei der Ermittlung des Bestehens einer Beratungspflicht bedarf es einer Beurteilung des Einzelfalles. Entscheidend ist dabei oftmals auch die rechtliche Stellung des Versicherungsvermittlers als Versicherungsvertreter oder Versicherungsmakler. Die Haftung des Versicherungsvertreters unterscheidet sich nämlich durchaus von der Haftung des Versicherungsmaklers, wenngleich beide auf der gesetzlichen Regelung des § 61 VVG beruhen.

Dabei ist allerdings anzumerken, dass den Versicherungsnehmer grundsätzlich eine Pflicht trifft, den Versicherungswert selbst zu ermitteln. Ist der Versicherungsnehmer jedoch im Hinblick auf die Festlegung der Versicherungssumme beratungsbedürftig oder unterstützt der Versicherer bzw. dessen Versicherungsvertreter bei der Festlegung der Versicherungssumme, so kann sich durchaus eine Haftung des Versicherers und des Versicherungsvertreters ergeben (siehe hierzu auch Unterversicherung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht (OLG Koblenz)). Entscheidend ist dabei natürlich oftmals auch die Frage der Beweislast (siehe hierzu Beweis der Falschberatung bei der Unterversicherung (OLG Hamm)). Bedient sich der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrages hingegen der Dienste eine Versicherungsmaklers, so können den Versicherungsmakler auch weitreichendere Pflichten treffen (siehe hierzu Haftung der Versicherungsmaklerin für die Unterversicherung (OLG Stuttgart)). Danach kann sogar die Pflicht zur Objektprüfung bestehen (siehe Objektprüfungspflicht des Versicherungsmaklers?).

Hat der Versicherer bzw. der Versicherungsvermittler eine Pflicht zur Ermittlung des Versicherungswertes und der Versicherungssummen verletzt, so können sich hieraus Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers ergeben. Der Versicherungsnehmer ist im Fall des Schadensersatzes so zu stellen, als wäre er ordnungsgemäß beraten worden (siehe Quasideckung: So ermittelt der BGH den Schaden bei einer Pflichtverletzung des Versicherungsvermittlers).

Fazit zur Unterversicherung

Ob der Versicherer im Schadensfall zur Leistungskürzung wegen einer Unterversicherung berechtigt ist, hängt von vielen Faktoren ab. Beruft sich der Versicherer auf eine Unterversicherung, so kann es daher durchaus sinnvoll sein das Regulierungsverhalten des Versicherers durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt rechtlich überprüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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