Aussagen wie „größter unabhängiger Finanzdienstleister” sind wettbewerbswidrig! (OLG Frankfurt a.M.)

Ist die Werbung mit der “Unabhängigkeit” eines Finanzdienstleistungen vermittelnden Unternehmens irreführend, wenn 97% der Aktien dieses Finanzvermittlers von einem Versicherungsunternehmen gehalten werden? Darüber hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu entscheiden (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 02.10.2010 – 6 U 238/09).

Was war vorliegend geschehen?

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagten sind / waren im Zeitpunkt dieses Rechtsstreits „konkurrierende“ Finanzdienstleistungsunternehmen und somit Mitbewerber im Sinne des UWG. Die Beklagten traten auf dem Markt u. a. mit folgenden Werbeaussagen auf:

  • „X ist Europas größter unabhängiger Finanzdienstleister“
  • „X – Europas Nr. 1 für unabhängige Finanzoptimierung“
  • „X bietet eine unabhängige, ganzheitliche Finanzberatung“

Die Frage war nun, ob diese werblichen Aussagen rechtlich zulässig, oder irreführend waren.

Die rechtlichen Vorwürfe des Klägers

Die Klägerin machte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche in Bezug auf die von den Beklagten verwendeten Werbeslogans (siehe oben) geltend. Sie vertritt die Ansicht, dass diese Werbeaussagen der Beklagten irreführend und damit wettbewerbswidrig sind. Es werde eine Fehlvorstellung der Verbraucher dahingehend hervorgerufen, dass die Beklagten von keinem der Anbieter, dessen Finanzprodukte sie vermitteln, wirtschaftlich abhängig sind als auch dahingehend, dass sie demzufolge eine unabhängige Beratungsdienstleistung erbringen. Dies sei irreführend, da ein Schweizer Versicherungsunternehmen 97 % der Aktien der Beklagten hält.

Die Beklagten vertreten hingegen die Auffassung, dass die Beklagte tatsächlich ohne Rücksicht auf die Anteilseignerschaft des Versicherungsunternehmens unabhängig sei. Hierzu führt sie aus, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates sei nach der Übernahme der Aktienmehrheit durch das Schweizer Versicherungsunternehmen unverändert geblieben sei. Die Beklagten hätten mit diesem Unternehmen zwar einen Gewinnabführungs- aber keinen Beherrschungsvertrag abgeschlossen. Daher sei die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Tagesgeschäft gerade nicht gegeben.

Das Landgericht hatte die Beklagten zur Unterlassung verurteilt. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Beklagten.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M.

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagten haben es zu unterlassen, mit den Aussagen:

  • „X ist Europas größter unabhängiger Finanzdienstleister“
  • „X – Europas Nr. 1 für unabhängige Finanzoptimierung“
  • „X bietet eine unabhängige, ganzheitliche Finanzberatung“

zu werben. Die Klage sei demnach begründet. Gegenstand dieser Klage sei sowohl die Fehlvorstellung der Verbraucher dahin, dass die Beklagten von keinem Anbieter, dessen Finanzprodukte sie vermitteln, wirtschaftlich abhängig sind als auch dahin, dass sie demzufolge eine unabhängige Beratungsdienstleistung erbringen.

Der Senat führt aus, dass es dafür, wie die angesprochenen Verkehrskreise die streitgegenständlichen Aussagen verstehen, auf die Anschauungen des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen sei. Das Tatbestandsmerkmal enthalte ein normatives Element, sei gleichwohl (auch) eine Tatsache, die dem Beweis zugänglich ist, aber auch aufgrund eigener Sachkunde und Lebenserfahrung des Richters festgestellt werden könne. Dementsprechend sei die Ermittlung des Verkehrsverständnisses keine Tatsachenfeststellung, sondern Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens.

Richtig sei sicher, dass der Verkehr in keiner der angegriffenen Aussagen unter dem Begriff „unabhängig“ eine Unabhängigkeit im Sinne des Fehlens einer jeglichen aktienrechtlichen, wirtschaftlichen oder durch bindende Verträge begründeten Abhängigkeit versteht. Der Senat habe jedoch keinen Zweifel, dass der Verkehr die Aussagen „X ist Europas größter unabhängiger Finanzdienstleister“ und „X – Europas Nr. 1 für unabhängige Finanzoptimierung“ im Sinne einer wirtschaftlichen und rechtlichen Unabhängigkeit von denjenigen Unternehmen versteht, deren Finanzprodukte vermittelt werden. Diese Vorstellung entspreche jedoch mit Rücksicht darauf, dass das Schweizer Versicherungsunternehmen 97% der Aktien der Beklagten zu hält, nicht den Tatsachen, so das OLG.

Weiter führt das OLG aus, dass hinsichtlich der angegriffenen Aussagen „X ist Europas größter unabhängiger Finanzdienstleister“ und „X – Europas Nr. 1 für unabhängige Finanzoptimierung“ verfangen die oben genannten Einwände der Beklagten schon deshalb nicht, weil sich die nicht vorhandene unternehmerische Unabhängigkeit schlicht aus der 97%igen Beteiligung der Schweizer Versicherungsunternehmen an der Beklagten ergebe.

Ferner könne nach Ansicht des Senats auch die Aussage „X bietet eine unabhängige, ganzheitliche Finanzberatung“ nicht mit dem Hinweis auf die tatsächliche Unabhängigkeit der Beratungsleistung „gerettet“ werden. Entscheidend sei, dass das Schweizer Versicherungsunternehmen jederzeit die Möglichkeit hat, den Aufsichtsrat mit von ihr ausgewählten Personen zu besetzen, die dann auch einen entsprechenden Einfluss auf die Entscheidungen des Unternehmens haben können. Schon dann könne eine Beratung nicht mehr als unabhängig bezeichnet werden, meint der Senat.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. kann im Ergebnis durchaus überzeugen und ist nachvollziehbar, zumal Versicherungsvermittler in der Branche relativ häufig mit den Begriffen wie zum Beispiel “Unabhängigkeit/ ihr unabhängiger Versicherungsvermittler” oder mit “Neutralität” werben.

Dieses ist rechtlich kritisch zu sehen, wie dieses Urteil auch zeigt. In dem vorliegenden Fall war der Fall jedoch sogar ziemlich „einfach gelagert“. Denn hier war es so, dass eine Versicherung die mehrheitlichen Unternehmensanteile an dem Finanzdienstleistungsunternehmen hielt und damit eine „Unabhängigkeit“ rein gesellschaftsrechtlich schon nicht mehr gegeben war.  Es bestand vorliegend also die Besonderheit darin, dass ein Versicherungsunternehmen durch die Mehrheitsbeteiligung gesellschaftsrechtlichen Einfluss auf Entscheidungen des Versicherungsvermittlers nehmen und sogar das Unternehmen an sich „lenken“ konnte. Folglich war es den Beklagten zu untersagen mit „Ihr unabhängiger Finanzdienstleister“ werben, da die Beklagten als jederzeit den Einflussmöglichkeiten des Versicherungsunternehmens ausgesetzt waren.

Wohlgemerkt ging es in diesem Verfahren um Versicherungsvertreter, so dass es – nach Ansicht der Kanzlei – nicht auf eine Unternehmensbeteiligung eines Versicherers ankam, sondern Versicherungsvertreter Kraft Ihrer Stellung als Auftragnehmer des auftraggebenden Versicherers nicht unabhängig sind und auch keine unabhängige Beratung anbieten können. Wer von einer Versicherung beauftragt wird Versicherungen zu vermitteln, und damit rechtlich ausschließlich „im Lager des Versicherers“ und nicht „im Lager des Versicherungsnehmers“ steht, der kann nicht unabhängig sein. Vielmehr liegt gerade dadurch die Abhängigkeit vor.

Siehe dazu auch § 59 Absatz 2 VVG:

„Versicherungsvertreter im Sinn dieses Gesetzes ist, wer von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.“

Siehe dazu ebenso § 70 Satz 1 VVG:

„Soweit nach diesem Gesetz die Kenntnis des Versicherers erheblich ist, steht die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des Versicherers gleich.“

Bereits aus diesem Grunde hätte das OLG – nach Ansicht der Kanzlei – diesen Rechtsstreit entscheiden können.

Die Kanzlei Jöhnke & Reichow hatte in Rahmen dieser Thematik bereits ein Urteil des OLG München vom 16.1.2020 (Az. 29 U 1834/18) besprochen (vgl.: OLG München: Darf ein Versicherungsmakler mit „neutral und unabhängig“ werben?). In dem Fall das Gericht hatte es zu entscheiden, ob ein Versicherungsmakler mit Mehrheitsbeteiligung einer Versicherung mit “neutral und unabhängig” werben darf. Das Ergebnis ist ebenso und zu Recht: Nein!

In einem Fall wie diesem, hatte auch das LG Hannover am 30.06.2009 (Az. 18 O 193/08) entschieden, dass die Werbeaussagen der Finanzdienstleistungsunternehmen wettbewerbswidrig und daher zu unterlassen sind. Eine Besprechung der Kanzlei Jöhnke & Reichow dazu finden Sie HIER.

Womit darf der Versicherungsmakler nun werben?

Festzustellen ist in solchen Fällen, dass Gerichte stets die „Neutralität und Unabhängigkeit“ von Versicherungsvermittlern kritisch sehen und dieses im Einzelfall auch stringent überprüfen. Versicherungsvermittler, also Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter, sollten daher genauestens prüfen (lassen), ob die Verwendung entsprechender Claims zu rechtlichen Problemen führen kann.

Man kann jedoch im Umkehrschluss zu diesem Urteil die Ansicht vertreten, dass Versicherungsmakler, bei denen keine Versicherungen beteiligt sind, sehr wohl mit „Unabhängigkeit“ werben dürfen, da der Versicherungsmakler – anders als der Versicherungsvertreter – in der Tat – und auch nur – die Interessen des Kunden vertreten kann, ohne dass es zu Interessenskollisionen kommen könnte.

Siehe dazu auch § 59 Absatz 3 Satz 1 VVG:

„Versicherungsmakler im Sinn dieses Gesetzes ist, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein.“

Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser interessanten Frage der „Unabhängigkeit des Versicherungsvermittlers“ liege jedoch noch nicht vor.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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