Zulässigkeit von Werbeaussagen wie „größter unabhängiger Finanzdienstleister” oder „weltweit größter Finanzvertrieb”? (LG Hannover)

Dürfen Finanzdienstleistungsunternehmen mit Aussagen u. a. wie “Europas größter unabhängiger Finanzdienstleister” oder “weltweit größter eigenständiger Finanzvertrieb” werben? Darüber hatte das Landgericht Hannover  im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Finanzdienstleistungsunternehmen zu befinden (LG Hannover, Urt. v. 30.06.2009 – 18 O 193/08).

Was war vorliegend geschehen?

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagten sind / waren im Zeitpunkt dieses Rechtsstreits „konkurrierende“ Finanzdienstleistungsunternehmen und somit Mitbewerber im Sinne des UWG.

Die Beklagten traten auf dem Markt u. a. mit folgenden Werbeaussagen auf:

  • „A. ist Europas größter unabhängiger Finanzdienstleister“
  • „A. – Europas Nr. 1 für unabhängige Finanzoptimierung“
  • „A. bietet eine unabhängige, ganzheitliche Finanzberatung“

Die Klägerin warb selbst mit den folgenden Aussagen:

  • „weltweite Nr. 1 der eigenständigen Finanzvertriebe“ und/oder
  • „weltweit größter eigenständiger Finanzvertrieb“

Wer genau war die Beklagte in diesem Verfahren?

Bei der Beklagten handelte es sich um das 1987/1988 als AWD GmbH (Allgemeiner Wirtschaftsdienst) gegründete Finanzdienstleistungsunternehmen. 2013 ging das Unternehmen in die Swiss Life Select Deutschland GmbH über. Swiss Life Select Deutschland GmbH, auch als SLS abgekürzt, mit Unternehmenssitz in Hannover, ist ein Vermittler für Finanzberatung, Vermittlung von Versicherungen, Kapitalanlagen und Finanzierungen sowie Immobilien von einer Vielzahl an Produktpartnern für Privathaushalte und Unternehmen. Die Swiss Life Select Deutschland GmbH ist bei der Industrie- und Handelskammer Hannover gemäß der EU-Vermittlerrichtlinie als sogenannter Versicherungsvertreter mit Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO (Registrierungsnummer D-G38D-BSUOH-23) registriert. Ebenso der damalige AWD, an welchem Herr Carsten Maschmeyer mehrheitlich beteiligt war, war ein Versicherungsvertreter und gerade kein Versicherungsmakler.

Infolge der Übernahme und der Neuaufstellung von Swiss Life in Deutschland wurde im Jahr 2013 die AWD Holding auf die Swiss Life Deutschland Holding GmbH verschmolzen. Dabei wurde AWD Deutschland als eine der vier Hauptvertriebsgesellschaften der Holding in Swiss Life Select Deutschland umbenannt.

Wer genau ist die Klägerin in diesem Verfahren?

Bei der Klägerin handelte es sich um das 1975 als Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG) gegründete Finanzdienstleistungsunternehmen. Die Deutsche Vermögensberatung, auch als DVAG abgekürzt, mit Unternehmenssitz in Frankfurt am Main, ist ein in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätiger Finanzvertrieb. Die DVAG ist bei der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main gemäß der EU-Vermittlerrichtlinie als sogenannter gebundener Versicherungsvertreter nach § 34d Abs. 7 GewO (Registrierungsnummer D-LYYB-BSPX5-17) registriert. Eine Erlaubnis als Versicherungsmakler besitzt die DVAG nicht.

Wo liegen die rechtlichen Vorwürfe in diesem Verfahren?

Die Klägerin macht wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche in Bezug auf die von den Beklagten verwendeten Werbeslogans (siehe oben) geltend. Sie vertritt die Ansicht, dass diese Werbeaussagen der Beklagten wettbewerbswidrig sind, da sie objektiv unrichtig seien. Die Beklagten hätten ihre Unabhängigkeit, sofern diese tatsächlich einmal bestanden haben sollte, mit der Übernahme der Aktienmehrheit durch die Swiss Life (siehe oben) verloren. Daher könne die Beratung auch nicht mehr als „unabhängig“ bezeichnet, bzw. beworben werden.

Die Beklagten vertreten hingegen die Auffassung, dass die Übernahme der Aktienmehrheit durch die Swiss Life (siehe oben) zu keiner Änderung des Konzepts der unabhängigen Finanzberatung geführt habe. Widerklagend nehmen die Beklagten so dann die Klägerin auch in Anspruch. Sie machen gegen die Klägerin ebenfalls einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch in Bezug auf die von der Klägerin verwendeten Werbeslogans (siehe oben) geltend. Die angeführten Werbeaussagen seien irreführend, da die Klägerin nicht europaweit und erst recht nicht weltweit tätig sei sowie nicht die weltweite Nr. 1 der eigenständigen Finanzvertriebe bzw. der weltweit größte eigenständige Finanzvertrieb sei. Insbesondere Finanzvertriebe aus dem anglo-amerikanischen Ausland wiesen weitaus höhere Umsätze als die Klägerin aus.

Die Klägerin hingegen ist der Ansicht, dass die von ihr verwendeten Slogans nicht irreführend seien. Sie würden keineswegs in dem Sinne verstanden, dass sie auf allen wichtigen Märkten der Welt tätig sei und dort eine Spitzenstellung einnehme. Durch den textlichen Zusammenhang komme zum Ausdruck, dass sie hauptsächlich auf dem deutschen Markt tätig und hier im weltweiten Vergleich die Nr. 1 der eigenständigen Finanzvertriebe sei. Für dieses Verständnis spreche auch ihre aus deutschen Wörtern bestehende Firmenbezeichnung. Insbesondere werde durch die Bezeichnung „Deutsche“ der Unternehmensgegenstand der Vermögensberatung als Dienstleistung in Deutschland charakterisiert.

Die Entscheidung des LG Hannover

Sowohl die Klage als auch die Widerklage sind zulässig und begründet. Beide Parteien haben damit im Ergebnis Erfolg gehabt. Die Klägerin hat gegen die Beklagten und umgekehrt haben die Beklagten gegen die Klägerin gemäß § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2, § 8 Abs. 1, Abs. 3 UWG einen Anspruch auf Unterlassung der von ihnen verwendeten Werbeaussagen.

Zu den Werbeslogans der Beklagten

Die Aussagen werden von den Beklagten unstreitig bei ihrem Marktauftritt als Finanzdienstleister in vielfältiger Weise – z.B. auf ihren Internetseiten – genutzt und stellen somit geschäftliche Handlungen der Beklagten i. S. d. § 2 Abs. 1 Ziff. 1 UWG dar. Diese seien unlauter im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1 UWG, weil die angesprochenen Verkehrskreise hierdurch wettbewerblich in relevanter Weise irregeführt werden, so das Gericht.

Weiter meint das LG, dass entscheidend sei, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Aussage verstehen. Dabei sei auf eine durchschnittlich verständige, informierte und aufmerksame Verbraucherschaft abzustellen. Die Aussage der Beklagten, dass der A. „unabhängiger Finanzdienstleister“ ist, sei bereits nach ihrem objektiven Aussagegehalt irreführend, da sie unwahre Angaben enthalte. Die beklagten Finanzdienstleister seien nämlich nicht mehr unabhängig, nachdem das Versicherungsunternehmen S. nahezu sämtliche Aktien der Beklagten erworben hat, so das LG Hannover. Aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit der Beklagten seien nach Ansicht des Gerichts auch die Aussagen, die Beklagten böten eine unabhängige Finanzoptimierung bzw. eine unabhängige, ganzheitliche Finanzberatung, objektiv unwahr.

Der Begriff “unabhängig” könne sich hier nach seinem Wortsinn nur auf das Unternehmen beziehen, dass die Finanzoptimierung bzw. -beratung anbietet. Ob eine Finanzberatung als unabhängig qualifiziert werden kann, richte sich danach, ob das Beratungsunternehmen selbst unabhängig ist. Ein Finanzdienstleister, der nicht unabhängig ist, könne keine unabhängige Beratung bieten. Das gelte auch dann, wenn sich die Abhängigkeit des Finanzdienstleisters bislang nicht nachteilig auf die Qualität seiner Beratungsleistung ausgewirkt hat. Die Beklagten seien als Tochtergesellschaften von S. weiterhin jederzeit deren vielfältigen Einflussmöglichkeiten ausgesetzt, so das Landgericht.

Schließlich sei die mit der unwahren Werbung der Beklagten verbundene Irreführung der angesprochenen Verbraucher wettbewerbsrechtlich relevant. Dazu führte das LG aus, dass eine irreführende Angabe dann wettbewerbsrechtlich relevant sei, wenn sie geeignet ist, das Marktverhalten der Gegenseite, hier also die Inanspruchnahme von Beratungs- und Vermittlungsleistungen der Beklagten, zu beeinflussen. Ist die durch die unrichtigen Angaben hervorgerufene Fehlvorstellung des Verkehrs wettbewerbsrechtlich relevant, sei regelmäßig auch davon auszugehen, dass die Bagatellgrenze des § 3 Abs. 1 UWG überschritten ist. Die sei hier der Fall, abschließend das Gericht.

Zu den Werbeslogans der Klägerin

Das Gericht nahm hinsichtlich der Werbeaussagen der Klägerin an, dass diese ebenfalls unlautere geschäftliche Handlungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Ziff. 1, § 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 S. 1 UWG darstellen, durch die die angesprochenen Verkehrskreise in wettbewerblich relevanter Weise irregeführt werden. Die Werbung sei nach ihrem objektiven Aussagegehalt irreführend, da sie unwahre Angaben enthält. Es treffe nicht zu, dass die Klägerin weltweit der größte eigenständige Finanzvertrieb bzw. die weltweite Nr. 1 der eigenständigen Finanzvertriebe ist, so das Gericht. Unstreitig erziele nämlich der US-amerikanische Finanzdienstleister L. Financial weitaus größere Umsätze als die Klägerin.

Weiter führt das LG dazu aus, dass derjenige, der sich einer Alleinstellung oder der Zugehörigkeit zu einer Spitzengruppe berühmt, im Rahmen seiner prozessualen Aufklärungspflicht darzulegen und ggf. zu beweisen habe, worauf sich seine Werbebehauptung stützt. Die Klägerin habe aber keine Umstände dargetan, die es rechtfertigen, die Klägerin unter den eigenständigen Finanzvertrieben als weltweit größten bzw. weltweite Nr. 1 zu bezeichnen.

Darüber hinaus sei die Werbung der Klägerin auch deshalb irreführend, weil durch die behauptete „weltweite“ Spitzenstellung bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt werde, die Klägerin sei auf den wichtigen Märkten der Welt tätig, während sich ihre Tätigkeit tatsächlich auf die deutschsprachigen Länder (Deutschland, Österreich und die Schweiz) beschränkt, wobei sie den ganz überwiegenden Teil des Umsatzes in Deutschland erzielt. Letztlich sei auch die mit der Werbung der Klägerin verbundene Irreführung der angesprochenen Verbraucher wettbewerbsrechtlich relevant, da der hervorgerufene Irrtum geeignet sei, deren Marktverhalten zu beeinflussen. Ein erheblicher Teil der Verbraucher werde im Wettbewerb der Finanzdienstleister dem „weltweit größten Finanzvertrieb“ wegen seiner vermeintlichen Marktführerschaft ein besonderes Vertrauen entgegenbringen, abschließend das LG Hannover.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des LG Hannover kann im Ergebnis durchaus überzeugen und ist nachvollziehbar, zumal Versicherungsvermittler in der Branche relativ häufig mit den Begriffen wie zum Beispiel “Unabhängigkeit/ ihr unabhängiger Versicherungsvermittler” oder mit “Neutralität” werben.

Dieses ist rechtlich kritisch zu sehen, wie dieses Urteil auch zeigt. In dem vorliegenden Fall war der Fall jedoch sogar ziemlich „einfach gelagert“. Denn hier war es so, dass eine Versicherung die mehrheitlichen Unternehmensanteile an dem Finanzdienstleistungsunternehmen hielt und damit eine „Unabhängigkeit“ rein gesellschaftsrechtlich schon nicht mehr gegeben war.  Es bestand vorliegend also die Besonderheit darin, dass ein Versicherungsunternehmen durch die Mehrheitsbeteiligung gesellschaftsrechtlichen Einfluss auf Entscheidungen des Versicherungsvermittlers nehmen und sogar das Unternehmen an sich „lenken“ konnte. Folglich war es den Beklagten zu untersagen mit „Ihr unabhängiger Finanzdienstleister“ werben, da die Beklagten als Tochtergesellschaften jederzeit den Einflussmöglichkeiten des Mutterkonzern ausgesetzt waren.

Wohlgemerkt ging es in diesem Verfahren um Versicherungsvertreter, so dass es – nach Ansicht der Kanzlei – nicht auf eine Unternehmensbeteiligung eines Versicherers ankam, sondern Versicherungsvertreter Kraft Ihrer Stellung als Auftragnehmer des auftraggebenden Versicherers nicht unabhängig sind und auch keine unabhängige Beratung anbieten können. Wer von einer Versicherung beauftragt wird Versicherungen zu vermitteln, und damit rechtlich ausschließlich „im Lager des Versicherers“ und nicht „im Lager des Versicherungsnehmers“ steht, der kann nicht unabhängig sein. Vielmehr liegt gerade dadurch die Abhängigkeit vor.

Siehe dazu auch § 59 Absatz 2 VVG:

„Versicherungsvertreter im Sinn dieses Gesetzes ist, wer von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.“

Siehe dazu ebenso § 70 Satz 1 VVG:

„Soweit nach diesem Gesetz die Kenntnis des Versicherers erheblich ist, steht die Kenntnis des Versicherungsvertreters der Kenntnis des Versicherers gleich.“

Bereits aus diesem Grunde hätte das LG Hannover – nach Ansicht der Kanzlei – diesen Rechtsstreit entscheiden und den AWD verurteilen können. Die damalige Mehrheitsbeteiligung der Swiss Life am AWD hat dem ganzen nur die „Krone aufgesetzt“.

Die Kanzlei Jöhnke & Reichow hatte in Rahmen dieser Thematik bereits ein Urteil des OLG München vom 16.1.2020 (Az. 29 U 1834/18) besprochen (siehe HIER). In dem Fall das Gericht hatte es zu entscheiden, ob ein Versicherungsmakler mit Mehrheitsbeteiligung einer Versicherung mit “neutral und unabhängig” werben darf. Das Ergebnis ist ebenso und zu Recht: Nein!

Womit darf der Versicherungsmakler nun werben?

Festzustellen ist in solchen Fällen, dass Gerichte stets die „Neutralität und Unabhängigkeit“ von Versicherungsvermittlern kritisch sehen und dieses im Einzelfall auch stringent überprüfen. Versicherungsvermittler, also Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter, sollten daher genauestens prüfen (lassen), ob die Verwendung entsprechender Claims zu rechtlichen Problemen führen kann.

Man kann jedoch im Umkehrschluss zu diesem Urteil die Ansicht vertreten, dass Versicherungsmakler, bei denen keine Versicherungen beteiligt sind, sehr wohl mit „Unabhängigkeit“ werben dürfen, da der Versicherungsmakler – anders als der Versicherungsvertreter – in der Tat – und auch nur – die Interessen des Kunden vertreten kann, ohne dass es zu Interessenskollisionen kommen könnte.

Siehe dazu auch § 59 Absatz 3 Satz 1 VVG:

„Versicherungsmakler im Sinn dieses Gesetzes ist, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder von einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein.“

Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser interessanten Frage der „Unabhängigkeit des Versicherungsvermittlers“ liege jedoch noch nicht vor.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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