Bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung oder bei nachträglichem Eintritt des Versicherungsfalls, kann der Versicherer eine Schweigepflichtenentbindung von dem Versicherungsnehmer verlangen. Aber was ist eine Schweigepflichtentbindung überhaupt? Trifft den Versicherungsnehmer überhaupt eine Obliegenheit zur Abgabe einer solchen Schweigepflichtentbindung? Und welche Folgen kann eine bereits erfolgte Schweigepflichtentbindung mit sich bringen? Diese und weitere Fragen soll der nachfolgende Artikel beantworten.
Beginnt das Verfahren der Leistungsprüfung durch den Versicherer, verlangt dieser meist spätestens zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Schweigepflichtenentbindung vom Versicherten, um die nötigen Informationen einzuholen. Der Versicherer kann dann von den entsprechenden Ärzten umfassende Einblicke in die Patientenakte erhalten, die durch den Versicherungsnehmer jedoch dann nicht mehr überprüfbar sind. Dabei überprüft der Versicherer nicht nur, ob tatsächlich eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, sondern auch, ob bei Antragstellung die angegebenen Daten des Versicherungsnehmers bezüglich seines Gesundheitszustands korrekt waren und keine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung vorliegt (siehe dazu weiterführend: Berufsunfähigkeitsversicherung: „Die Falle: Patientenakte“ – Teil 1/2).
Dies soll in der Theorie das Verfahren der Leistungsprüfung beschleunigen, da so der Versicherungsnehmer als „Schnittstelle“ wegfällt und eine direkte Kommunikation zwischen Arzt und Versicherer erfolgen kann.
Kommt der Versicherer mit einer entsprechenden Schweigepflichtentbindung auf den Versicherungsnehmer zu, stellt sich die Frage, welche besonderen Pflichten den Versicherer treffen.
Zunächst ist festzustellen, dass dem Versicherungsnehmer die Reichweite und Konsequenzen der Erteilung einer Schweigepflichtenentbindung bewusst sein müssen. Dazu treffen den Versicherer besondere Informationspflichten (siehe dazu auch: Die Schweigepflichtentbindung in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BGH)).
Im Dialog mit dem Versicherungsnehmer muss der Versicherer grundsätzlich immer über mögliche Alternativen zu einer umfassenden Schweigepflichtentbindung aufklären. Dem Versicherungsnehmer ist dabei zu erklären, dass die Datenhoheit bei ihm liegt. Dabei sollten dem Versicherungsnehmer mindestens zwei Wahlmöglichkeiten gegeben werden (siehe hierzu auch: Wahlmöglichkeit bei der Schweigepflichtentbindung (Saarländisches OLG)). Eine entsprechende Aufklärung kann neben dem Gespräch mit dem Versicherungsnehmer auch schriftlich erfolgen. Letzteres ist der Regelfall.
Infolgedessen trifft den Versicherer auch eine entsprechende Hinweispflicht, dass er die Grundsätze des gestuften Dialogs darstellen sollte (beschränkte Schweigepflichtentbindung). Unter dem gestuften Dialog versteht man die nach und nach Einholung von Informationen, die zur Leistungsprüfung nötig sind. Er stellt die Mitte zwischen der allgemeinen Schweigepflichtentbindung und der vollständigen Eigenerbringung der nötigen Informationen dar. Dies soll eine Warnfunktion entfalten, die dem Versicherungsnehmer die Auswirkungen einer allgemeinen Schweigepflichtentbindung deutlich machen soll. Da es sich bei einer allgemeinen Schweigepflichtentbindung um mögliche Grundrechtseinschränkungen handelt, sollte ein Hinweis auf den gestuften Dialog durch den Versicherer deutlich hervorgehoben werden.
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In Anbetracht der Hinweispflicht des Versicherers auf entsprechende Alternativen wird klar, dass eine Schweigepflichtentbindung als Obliegenheit des Versicherten nicht ersichtlich ist.
Grundsätzlich treffen den Versicherungsnehmer im Versicherungsfall gewisse Mitwirkungsobliegenheiten. Beziehen sich die entsprechenden Auskünfte aber auf Gesundheitsdaten (siehe: § 31 VVG), sind gewisse Besonderheiten zu beachten (siehe dazu auch: Pauschale Schweigepflichtentbindung in der Berufsunfähigkeitsversicherung (LG Berlin)).
Erteilt der Versicherungsnehmer keine Einwilligung bezüglich der Erhebung der Daten durch den Versicherer, kann darin kein Verstoß gegen eine vertragliche Mitwirkungsobliegenheit gesehen werden, da er im Zuge dessen von seinen verfassungsrechtlich gebotenen Rechten Gebrauch macht (siehe vertiefend dazu: Vertragliche Obliegenheit zur Schweigepflichtentbindung? (BVerfG)).
Infolgedessen können die Leistungsansprüche des Versicherten gegenüber dem Versicherer aber auch nicht fällig werden. Dies gilt aber nur, wenn der Versicherungsnehmer jegliche Informationen verweigert. Verweigert er nur die umfassende Schweigepflichtenentbindung, verschafft dem Versicherer aber gezielt alle nötigen Informationen, wird die Leistung dennoch fällig. Folglich bedeutet eine umfassende Verweigerung des Versicherungsnehmers von Auskünften bezüglich Gesundheitsdaten keine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit und damit erst recht nicht die Verweigerung einer umfassenden Schweigepflichtenentbindung. Eine entsprechende Verweigerung kann lediglich Auswirkungen auf die Fälligkeit der Leistungen haben, die aber durch gezielte Erteilung der nötigen Informationen verhindert werden kann (siehe dazu auch: Berufsunfähigkeitsversicherung: „Die Falle: Patientenakte“ – Teil 2/2).
Bei der Erteilung einer umfassenden Schweigepflichtenentbindung sollte immer mit Vorsicht gehandelt werden. Im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls, kann der Versicherer sonst auf umfassende Gesundheitsdaten des Versicherungsnehmers zurückgreifen. Dabei wird dem Versicherungsnehmer die Chance verwehrt, die entsprechenden Informationen selber zu überprüfen und sicherzugehen, dass der Versicherer nur solche Informationen erhält, zu denen er auch berechtigt ist. Kommt es zu falschen Angaben durch den Arzt in der Krankenakte, so kann es durchaus schwierig sein, diese nachträglich zu widerlegen bzw. korrigieren zu lassen. Dies kann im äußersten Fall zu einer Leistungsverweigerung des Versicherers aufgrund einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten führen. Denkbar ist so dann, dass der Berufsunfähigkeitsversicherer Gestaltungsrechte gegenüber dem Versicherungsnehmer geltend macht. Hierzu werden nachstehend weiterführende Beiträge zu möglichen Gestaltungsrechten und deren Konsequenzen für die Versicherten aufgeführt:
Erfolgt eine entsprechende Anfrage durch den Versicherer kann es sinnvoll sein, auf eine andere Möglichkeit neben der umfassenden Schweigepflichtentbindung zurückzugreifen. Dabei kann sowohl eine selektive Schweigepflichtenbindung erfolgen als auch die Eigenerbringung der geforderten Daten durch den Versicherten selbst.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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