Neben der Anfechtung, dem Rücktritt und der Vertragsanpassung kann der Versicherer auch die Kündigung der Berufsunfähigkeitsversicherung aussprechen und sich innerhalb einer Monatsfrist vom Vertrag lösen. Doch welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit der Versicherer kündigen kann? Wer trägt die Beweislast für die maßgeblichen Umstände und welche Konsequenzen drohen dem Versicherungsnehmer? Was kann der Versicherungsnehmer tun, wenn sein Versicherungsvertrag vom Versicherer gekündigt wurde? Diese und weitere Fragen sollen im Folgenden beantwortet werden.
Ein ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers für den Versicherungsvertrag ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Jedoch kann der Versicherer gem. § 19 Abs. 3 S. 2 VVG zur Kündigung berechtigt sein, wenn im Vorfeld des Vertragsschlusses eine Anzeigepflicht verletzt und der Versicherer ohne diese Pflichtverletzung den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte. Das Kündigungsrecht entsteht nur, wenn die Anzeigepflichtverletzung mindestens grob fahrlässig verletzt wurde. Denn dann steht dem Versicherer ein Kündigungsrecht gem. § 19 Abs. 2 VVG zu.
Vorrangig ist jedoch auf eine Vertragsanpassung gem. § 19 Abs. 4 VVG hinzuwirken. Kommt eine solche nicht in Frage, kann eine Kündigung des Versicherungsvertrags wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung in Betracht kommen.
Vor Vertragsschluss stellt der Versicherer dem späteren Versicherten einige Gesundheitsfragen. Diese Fragen dienen der Risikoeinschätzung und der Prämienberechnung. Werden diese Fragen unvollständig oder falsch beantwortet, kann die Anzeigepflicht verletzt sein. Die Anzeigepflicht erstreckt sich grundsätzlich auf alle ausdrücklich gestellten Fragen im Versicherungsantrag.
In Ausnahmefällen kann den Versicherungsnehmer eine sogenannte „spontane Anzeigeobliegenheit“ hinsichtlich Informationen treffen, nach denen der Versicherer nicht ausdrücklich gefragt hat. Dies gilt aber nur bei Informationen, die für jeden erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in elementarer Weise betreffen und es für den Versicherten auf der Hand liegt, dass es sich um eine bedeutende Information handelt (BGH, Urteil vom 19.05.2011 – Az. IV ZR 154/10).
Die Ausübung der Gestaltungsrechte des Versicherers setzen unterschiedliche Verschuldensmaßstäbe hinsichtlich der Anzeigepflichtverletzung voraus.
Das Kündigungsrecht des Versicherers aufgrund einer Anzeigepflichtverletzung besteht erst dann, wenn der Versicherte diese entweder vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Eine Anzeigepflichtverletzung, die mit nur einfacher Fahrlässigkeit begangen wurde, führt hingegen zu keinem Kündigungsrecht des Versicherers. Gem. § 276 Abs. 2 BGB handelt mit einfacher Fahrlässigkeit, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Maßgeblich ist dabei, dass sich der Verschuldensvorwurf nicht auf die Kenntnis/Unkenntnis der Krankheit o.ä. bezieht, sondern auf das Verschweigen der Antwort der jeweils konkret gestellten Frage (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Rn. 271). Enthält der Gesundheitsfragebogen mehrdeutige oder unpräzise Fragen, die der Versicherungsnehmer anders als der Versicherer versteht, scheidet eine grobe Fahrlässigkeit hingegen in der Regel aus (OLG Dresden v. 06.12.2022 – 4 U 1215/22).
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Bei Bestehen eines Kündigungsrechts des Versicherers kann er den Versicherungsvertrag mit einer Frist von einem Monat kündigen. Gem. § 21 Abs. 3 VVG erlischt das Kündigungsrecht jedoch fünf Jahre nach Vertragsschluss, es sei denn, innerhalb dieser Zeit ist ein Versicherungsfall aufgetreten.
Hinsichtlich der Beweislast ist es grundsätzlich so, dass jede Partei die für sie günstigen Umstände darlegen und beweisen muss. Der Versicherer muss demnach die anspruchsbegründende Anzeigepflichtverletzung beweisen. Dazu gehört auch der Beweis darüber, dass der Versicherungsnehmer überhaupt Kenntnis von dem gefahrerheblichen Umstand hatte. Der Versicherte hingegen muss beweisen, dass die gesetzlich vermutete grobe Fahrlässigkeit nicht vorliegt, das fehlende Verschulden muss von ihm nachgewiesen werden (OLG Karlsruhe v. 29.11.2016 – 12 U 94/16).
Liegen die Voraussetzungen der Kündigung vor, kann sich der Versicherer innerhalb eines Monats vom Versicherungsvertrag lösen. Nach Ablauf der Kündigungsfrist besteht für den Versicherten kein Versicherungsschutz mehr.
Beitragszahlungen sind gem. § 39 Abs. 1 VVG ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu leisten.
Liegen die Kündigungsvoraussetzungen vor, kann sich der Versicherer also vom Vertrag lösen, so dass der Versicherungsschutz damit entfällt. Dieses hat weitreichende Konsequenzen für Versicherungsnehmer, welche keine Leistungen mehr aus dem Vertrag erhalten.
Sollte der Versicherer den Versicherungsvertrag gekündigt haben, empfiehlt es sich umgehend anwaltlichen Rat einzuholen. Denn auch Leistungsentscheidungen der Versicherungen können unzulässig und rechtlich nicht tragfähig sein. Auch kann unter Umständen der Versicherungsschutz mittels anwaltlicher Hilfe wiederhergestellt werden.
Weitere wissenswerte Beiträge zum Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung sind nachstehend zu finden: „Berufsunfähigkeitsversicherung“.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
Rechtsanwalt Bernhard Gramlich ist seit 2019 angestellter Anwalt der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2020 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Als Rechtsanwalt hat er bereits einer Vielzahl von Versicherungsnehmern bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Versicherern geholfen.
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