Rechtsanwalt für Versicherungsrecht

Auslegung von Antragsfragen des Versicherers

Eines der Kernprobleme in Berufsunfähigkeits-Fällen zur Anzeigepflichtverletzung ist die Auslegung von Antragsfragen zum Gesundheitszustand. Bei ungenauen, schwammigen oder unpräzisen Fragen ist häufig unklar, was den Versicherer wirklich interessiert und was gegebenenfalls gefahrerheblich ist. Es kommt dann in Betracht, dass der Versicherungsnehmer schon aus Verständnisgründen nicht gezwungen ist, genaue Angaben im Versicherungsantrag zu machen. Sehr oft geht es um die Abgrenzung einer in der Regel nicht anzeigepflichtigen Bagatelle zu „echten” Krankheiten, Störungen oder Beschwerden. Im Nachfolgenden soll diese Problematik aufzeigt werden. Insbesondere wird dabei auf Begrifflichkeiten wie “Untersuchung, Behandlung, Beratung und Beschwerden” eingegangen.

Rechtliche Einordnung von Antragsfragen

Der zu Versichernde hat gemäß § 19 Abs. 1 VVG abgefragte Gefahrumstände anzuzeigen, soweit sie ihm bekannt sind, und so, wie sie ihm bekannt sind. Dem Interesse des Versicherers, durch sprachlich umfassende Fragen möglichst viele Informationen mit möglichst wenig Text zu erlangen, steht das Interesse des Antragstellers gegenüber, nicht aufgrund von Fragen, die aus seiner Sicht nicht eindeutig sind, wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflicht belangt zu werden. Viele Versicherer haben aufgrund der VVG-Reform „sicherheitshalber” ihre Antragsfragen erheblich ausgeweitet. Die Fragenkataloge der Versicherer gliedern sich meist in folgende Bereiche:

  • berufliche Gegebenheiten (z. B. Branche, Berufsbezeichnung, zeitlicher Umfang, Einkommen)
  • besondere Gefährdungen (beruflicher Umgang mit Gefahrstoffen, Risikosportarten, geplante Auslandsaufenthalte etc.)
  • derzeitige gesundheitliche Gegebenheiten
  • gesundheitliche Gegebenheiten der letzten … Jahre (teilweise aufgeteilt in – wenige – Fragen zu den letzten zehn Jahren und – mehr – Fragen zu den letzten fünf Jahren) mit Abfrage zahlreicher Einzelsymptomatiken
  • früher gestellte Versicherungsanträge (Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits-, Pflegeversicherung)

Die rechtliche Einordnung von Antragsfragen und damit auch die Beantwortung der Frage, wie mit ungenauen Fragen umzugehen ist, wird von Rechtsprechung und Literatur wie folgt vorgenommen:

  • Fragen in Antragsvordrucken sind grundsätzlich weder § 32 VVG noch einer AGB-Kontrolle (§§ 305  BGB) unterworfen, da sie keine Regelungen beinhalten. Deshalb können unklare Fragen nicht wegen Intransparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder aus anderen AGB-Gründen „unwirksam” sein.
  • Nach herrschender Meinung sind Antragsfragen im Versicherungsantrag des Versicherers jedoch wie AGB auszulegen. Es kommt daher auf die von der Rechtsprechung im Versicherungsrecht entwickelten allgemeinen Auslegungsgrundsätze an. Fragen sind daher aus der Sicht eines verständigen und um Aufmerksamkeit bemühten Versicherungsnehmers auszulegen. Aus der Sicht eines Versicherers, der einen Antrag auf Abschluss einer Versicherung vorformuliert, kann der den Antrag ausfüllende Versicherungsinteressent seinen Willen mit Unterzeichnung des Antrags nur so erklären, wie er seinerseits den vom Versicherer vorgegebenen Text versteht. Unklare Fragen sind grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen. Systematische Mängel innerhalb des Fragentextes und / oder im Fragenblock können dann in entsprechender Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung der für den Versicherungsnehmer günstigeren Variante führen.

Untersuchungen, Behandlungen, Beratungen, Beschwerden

Bei Antragsfragen im Versicherungsantrag nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen und Beschwerden ist zu prüfen, ob diese überhaupt auslegungsbedürftig sind:

Wird nur nach „Untersuchungen“ etc. gefragt (also ohne deren Anlass und Ergebnis), fehlt es bereits an auslegungsbedürftigen Begriffen, denn es geht nur um das (objektive) „Ob” der Untersuchung etc. Um das Ergebnis geht es dabei nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn dieses nur eine Bagatelle sein sollte (es bleibt dann bei einer möglichen Anzeigepflichtverletzung; Auswirkungen kann es aber auf den Verschuldensgrad der Obliegenheitsverletzung haben).

Solchen Fragen ist klar zu entnehmen, dass der Versicherer ohne Einschränkung nach jeglicher Untersuchung und Beratung fragt, unabhängig davon, ob dabei eine Krankheit festgestellt wurde. Da die „Besuchsfrage” und ihre Varianten grundsätzlich nur die Aktion des Arztbesuchs abfragen, kommt es auf dessen Ergebnis nicht an. Fragt der Versicherer hingegen beispielsweise, ob der Antragsteller

„in den letzten zehn Jahren wegen eines Leidens, einer Erkrankung, eines Unfalls oder wegen    sonstiger Gesundheitsstörungen ärztlich beraten, behandelt, untersucht

worden sei, so erfolgt, wenn der Untersuchung nur eine Bagatellerkrankung zugrunde liegt, keine Verletzung der Anzeigeobliegenheit, weil es schon an einem gefahrerheblichen Umstand, auf den sich die Untersuchung bezogen hat, fehlt.

Die Frage nach „ärztlichen oder anderen Behandlungen” ist weit auszulegen. Unter den Begriff „Behandlungen“ fallen nicht nur ambulante Heiltätigkeiten, sondern auch Krankenhausbehandlungen. Auch ein bloßer Arztbesuch ist eine Behandlung, da man sich landläufig „in Behandlung begibt”, wenn man einen Arzt aufsucht. Der Arzt muss also nicht zwangsläufig diagnostische oder therapeutische Maßnahmen einleiten. Daher stellt die Verordnung von Ruhe durch den Arzt bei gleichzeitiger Ausstellung einer längeren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die später noch auf einen Zeitraum von insgesamt einem Monat verlängert wird, sowie Verordnung jeweils eines Medikaments gegen Kopfschmerzen und gegen Rückenschmerzen eine ärztliche Behandlung dar.

Fragt der Versicherer nach „heilkundlicher Behandlung”, ist jede berufs- oder gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Menschen anzugeben, also auch zur Durchführung einer Psychotherapie befugte Psychologen, ferner bspw. Physio- oder Ergotherapeuten und Heilpraktiker. Fragt der Versicherer hingegen nur nach ärztlicher Behandlung, so hat er sich selbst auf den Arztberuf beschränkt. Auf die Antragsfrage

„Sind Sie in den letzten fünf Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden? Weshalb?”

muss der Antragsteller auch solche Untersuchungen angeben, die von einem Dritten (zum Beispiel: psychiatrische Begutachtung einer Beamtin in einer verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzung über die Dienstfähigkeit) „aufgedrängt” wurden, denn es kommt nicht darauf an, dass sich er nicht aus eigener Sorge um seine Gesundheit einer ärztlichen Untersuchung unterzogen hat. Der Anlass oder Grund der Konsultation ist gleichgültig, denn den Versicherer interessiert erkennbar zunächst nur, ob der Versicherte beim Arzt war. Ferner sind solche Fragen so zu verstehen, dass nicht nur die letzte Untersuchung, sondern sämtliche ärztliche Konsultationen in diesem Zeitraum vor Antragstellung anzugeben sind.

Der Befragte muss aber Beratungen, die nicht bei einer ärztlichen Fachkonsultation, sondern nur „bei Gelegenheit” erfolgt sind, nicht angeben, da er nicht davon ausgehen muss, dass dies den Versicherer ernsthaft interessiert. Wer deshalb auf einer Party einen Arzt kennenlernt und sich mit diesem (auch lange und ausführlich) über Beschwerden unterhält, die dieser „kostenlos” kommentiert, wird nicht beraten (etwas anderes ist es, ob diese Beschwerden dann bei der Frage nach solchen anzugeben sind).

Die Frage nach „Beschwerden“ bildet in der Praxis den häufigsten Streitpunkt. Unter diesen Begriff fallen körperliche oder psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen, die den Betroffenen in seinem Wohlbefinden beeinträchtigen, ohne notwendigerweise selbst schon Krankheitswert zu haben oder die Arbeitsfähigkeit zu beeinflussen. Insbesondere ist eine Zuordnung zu einem bestimmten Krankheitsbild nicht zwingend. Rheumatische Beschwerden im Anfangsstadium, „Hexenschuss“, Reizungen des Ischias-Nervs, häufigeres schweres Sodbrennen oder unmotivierte Schwindelanfälle sind typischerweise davon erfasst. Es gilt hier ebenfalls von einer nicht anzeigepflichtigen Bagatelle abzugrenzen. Der Befragte muss indessen Kenntnis von den Beschwerden in der Gestalt haben, dass er sie auch als solche empfindet und einstuft. Daran fehlt es bei einem normalen Schnupfen ebenso wie bei „blauen Flecken” oder sonstigen alltäglichen Beeinträchtigungen, die erfahrungsgemäß alsbald und folgenlos vorübergehen. Bereits auf objektiver Seite fallen derartige Umstände nicht in die Anzeigeobliegenheit des Antragsstellers, da sie für die Übernahme des Berufsunfähigkeitsrisikos unerheblich sind.

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Rechtsprechung zur Auslegung von Antragsfragen im Versicherungsantrag

OLG Hamm, Urt. v. 19.12.1986 – 20 U 178/86

Das OLG Hamm hat in einem Fall entschieden, dass der Versicherer zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt ist, da der Versicherungsnehmer (Kläger) die ihm gestellte Frage nach „Beschwerden“, die er innerhalb der letzten 5 Jahre gehabt habe, objektiv falsch beantwortet habe. Der Kläger habe sie zu Unrecht verneint, denn er habe jahrelang an Rückenschmerzen gelitten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Beschwerden Anlass zu ärztlichen Untersuchungen bzw. Behandlungen gewesen sind.

Das Oberlandesgericht führte dazu wie folgt aus:

Unerheblich ist, ob die Rückenschmerzen bereits Krankheitswert hatten oder ob der Kläger selbst ihnen Krankheitswert beigemessen hat. Denn im Versicherungsantrag ist nicht nur nach Krankheiten, sondern auch nach „Beschwerden” gefragt worden. Das sind Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens von einigem Gewicht, auch wenn sie noch keinem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden können. Zwar gibt es Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens, die so geringfügig oder, weil jedermann betreffend, so selbstverständlich sind, dass sie im Versicherungsantrag nicht ausdrücklich ausgeführt zu werden brauchen. Die Beschwerden des Klägers zählen dazu jedoch zweifelsfrei nicht. Das ergibt sich daraus, dass die Rückenbeschwerden des Klägers bereits seit etwa 1959 bestanden, 1974 in Australien Anlass für eine Röntgenaufnahme des Rückenmarks gewesen waren und schließlich bis zur Übersiedlung des Kl. nach Deutschland Anlass zu regelmäßiger physiotherapeutischer Behandlung gewesen sind. Der Kläger selbst hat sie als immerhin so schwerwiegend empfunden, dass er sie bei den ärztlichen Untersuchungen im Sommer 1985 den behandelnden Ärzten bei der Anamnese angegeben hat.“

Eine detaillierte Urteilsbesprechung ist nachstehend zu finden: HIER.

OLG Köln, Urt. v. 14.01.1993 – 5 U 94/92

Das OLG Köln hat in diesem Rechtsstreit entschieden, dass der Versicherer nicht wirksam wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den verstorbenen Ehemann der Klägerin vom Restschuldlebensversicherungsvertrag zurücktreten kann. Der Versicherungsnehmer (Ehemann der Klägerin) habe auf die Frage nach Beschwerden die Antwort „keine“ angekreuzt. Nach den Bekundungen des Zeugen V sei dies insoweit objektiv unrichtig gewesen, als dieser den Versicherungsnehmer zweimal wegen Schmerzen in der Brust untersuchte und Medikamente verschrieb. Derartige Beschwerden, die eine ärztliche Hilfe erfordern, seien, auch wenn sie nicht als Krankheit aufgefasst werden können, jedenfalls als Gesundheitsstörungen im Sinne der Fragestellung im Antrag anzusehen. Allerdings berechtigen nur solche Anzeigepflichtverletzungen zum Rücktritt, die einen für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstand betreffen. Es müssen mithin solche sein, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss zu haben. Insbesondere seien Umstände, die auch durch eine Bagatellerkrankung hervorgerufen worden sein können, nicht anzeigepflichtig.

Dazu das Oberlandesgericht weiter:

„Da aber, was auch die Beklagte einräumt, nicht jede Bagatellerkrankung als gefahrerheblicher Umstand angesehen werden kann, kommt es maßgeblich darauf an, von welchen Grundsätzen sich der Versicherer bei der Risikoprüfung leiten lässt, wobei es jeweils auf das spezielle Risiko des in Frage stehenden Vertrages ankommt. Diese Risikoprüfungsgrundsätze sind vom Versicherer im einzelnen darzulegen, sofern die Gefahrerheblichkeit eines Umstandes nicht auf der Hand liegt.“

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OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.03.1995 – 4 U 78/94

Das OLG Düsseldorf hat in einem Fall entschieden, dass der Ehemann der Versicherungsnehmerin (Klägerin) bei der Antragstellung seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit verletzt hat. Die Antwort auf die Frage „Sind Sie in den letzten fünf Jahren ärztlich untersucht, beraten oder behandelt worden?” und „Mit welchem Ergebnis?” mit „Ende 87, Routineuntersuchung, ohne Befund” sei objektiv falsch gewesen und darüber hinaus auch unvollständig.

Das Oberlandesgericht führte dazu wie folgt aus:

„Auf die Antragsfrage nach ärztlicher Untersuchung, Beratung etc. in den letzten fünf Jahren sind nicht nur die jeweils letzten, sondern sämtliche Untersuchungen, Beratungen etc. im letzten Fünf-Jahreszeitraum anzugeben. Gibt der Antragsteller das Ergebnis einer Untersuchung mit „ohne Befund” an, obwohl – wie der Arzt auch mit ihm besprochen hatte – eine Leberzellenverfettung, eine leichte Stoffwechselstörung und ein grenzwertiger Blutzuckerspiegel festgestellt wurden, so handelt es sich nicht um offensichtlich belanglose und alsbald vergangene, sondern um anzeigepflichtige Gesundheitsstörungen.”

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OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 5 U 105/06

In dem Fall hat das OLG Saarbrücken (Urt. v. 29.11.2006 – Az.: 5 U 105/06) entschieden, dass das Landgericht dem Kläger zu Recht die geltend gemachten Leistungen aus dem Berufsunfähigkeitsvertrag zugesprochen hat. Der Kläger habe jedenfalls zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass die Anzeige der Behandlung seiner Angststörung ohne sein Verschulden unterblieben ist. Ohne Verschulden handele ein Versicherungsnehmer bei – objektiver – Verletzung der Anzeigeobliegenheit, wenn er die im „kommunikativen Verkehr” mit dem Versicherer erforderliche Sorgfalt bei seiner Beantwortung von Fragen gewahrt hat. Das sei der Fall, wenn der Versicherungsnehmer durch ein dem Versicherer zuzurechnendes Verhalten von einer zutreffenden Beantwortung von Antragsfragen im Versicherungsantrag abgehalten worden ist, der Versicherer also selbst oder durch seinen Vertreter dem Versicherungsinteressenten den Blick dafür verstellt hat, was anzugeben gewesen wäre. So liege der Fall hier.

Dazu führte der Senat aus:

“Insoweit kann dahinstehen, ob der Kl. bei seinem Anruf bei der Bekl. tatsächlich die Auskunft erhalten hat, eine Angststörung sei kein anzugebender „geistiger Schaden” und dadurch der Eindruck erweckt wurde, in dem Antrag vom 30. 9. 2003 müsse auch eine Behandlung wegen einer solchen Angststörung nicht mitgeteilt werden. Denn es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kl. dem Vertreter der Bekl., dem Zeugen A, bei Aufnahme des Antrags vom 19. 9. 2003 alle seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, darunter die Angststörung und ihre Behandlung, mitgeteilt und von ihm erfahren hat, sie seien nicht von Bedeutung und müssten nicht angegeben werden.”

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BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 133/06

In dem Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof (Urt. v. 07.03.2007 – Az.: IV ZR 133/06) nahm die Klägerin die Beklagte aus zwei Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen in Anspruch. Die Versicherungsnehmerin war im Beamtenverhältnis im amtsärztlichen Dienst tätig. Von Februar 1990 bis Mai 1992 war sie wegen einer Depression dienstunfähig erkrankt. Ende 1994 ordnete ihr Dienstherr eine amtsärztliche Untersuchung an. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Im Zuge des sich anschließenden Verwaltungsrechtsstreits wurde sie durch einen psychiatrischen Sachverständigen begutachtet, der keine Anzeichen für eine Depression und eine darauf beruhende Dienstunfähigkeit feststellen konnte. Später schloss die Klägerin bei der Beklagten Lebensversicherungsverträge mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen ab. In den Versicherungsanträgen beantwortete sie die Frage:

“Sind Sie in den letzten fünf Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden?” mit “ja”.

Ergänzend gab sie dazu an:

„Februar 1990 – Mai 1992 Depression, seitdem gesund. 1990 (oder 1991) 10 Tage Krankenhausbehandlung wg. Depression.“ Auf die Frage „8. Bezogen, beziehen oder beantragten Sie eine Rente oder Pension aus gesundheitlichen Gründen?“ kreuzte sie „nein“ an.

Der BGH führte in diesem Fall wie folgt aus:

„Gibt bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung der Antragsteller auf eine Frage nach Untersuchungen hinsichtlich der Gesundheit eine von seinem Dienstherrn veranlasste Untersuchung, ob eine Depression vorliege, nicht an, so liegt eine objektive Obliegenheitsverletzung vor. Ein Rücktrittsrecht des Versicherers kann daran scheitern, dass die Anzeige ohne Verschulden des Antragstellers unterblieb, weil die Untersuchung ergeben hatte, dass keine Anzeichen einer Depression vorlagen.”

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OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 05.07.2010 – 7 U 118/09

Das OLG Frankfurt (Beschluss v. 05.07.2010 – Az.: 7 U 118/09) hat in diesem Rechtsstreit entschieden, dass das LG zu Recht die vom Kläger begehrte Feststellung nicht getroffen, sondern angenommen, dass der Vertrag über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung infolge einer begründeten Arglistanfechtung durch die Beklagte gem. § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig ist. Die Begründetheit einer vom Versicherer erklärten und auf die Art der Beantwortung der Gesundheitsfragen in dem Antrag auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gestützten Arglistanfechtung setze notwendig voraus, dass der Antragsteller und spätere Versicherungsnehmer Gesundheitsfragen objektiv unzutreffend beantwortet hat, indem er entweder anzeigepflichtige Umstände verschwiegen oder falsche Angaben gemacht hat.

Dazu das Oberlandesgericht weiter:

“Werden bei Antragstellung zwei Operationen vor mehr als zehn Jahren und eine Vorsorgeuntersuchung ohne Hinweis auf gesundheitliche Beeinträchtigungen mitgeteilt, nicht aber eine Vielzahl von weiteren Arztkontakten im erfragten Zeitraum, indiziert dies Arglist.”

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OLG Dresden, Urt. v. 06.12.2022 – 4 U 1215/22

In diesem Rechtsstreit hatte das OLG Dresden darüber zu entscheiden, ob ein Besuch beim Psychologen wegen Lampenfieber in den Gesundheitsfragen hätte angegeben werden müssen, auch wenn nach den probatorischen Sitzungen kein Behandlungsbedarf bestanden habe. Die Versicherungsnehmerin stellte einen Leistungsantrag bei der Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser wurde mit der Begründung abgelehnt, dass psychische Erkrankungen rückwirkend aufgrund einer Vertragsanpassung nach § 19 Abs. 4 S. 2 Variante 1 VVG nicht vom Versicherungsschutz erfasst seien. Der Anspruch auf Vertragsanpassung folge daraus, dass die Versicherungsnehmerin bei den Gesundheitsfragen nicht angab, dass sie fünf Jahre zuvor fünf probatorische Sitzungen bei einem Psychologen aufgrund von Lampenfieber wahrnahm, welches der behandelnde Psychologe für nicht weiter behandlungsbedürftig hielt und darauf auch keine weitere Behandlung folgte.

Das OLG Dresden führte dazu aus:

„Fragt der Versicherer nach „Krankheiten oder Beschwerden“ muss ein bloßes Lampenfieber unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst nicht angegeben werden, auch wenn es Anlass dafür war, einen Arzt aufzusuchen.“

Eine detaillierte Urteilsbesprechung ist nachstehend zu finden: HIER.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Es ist im Ergebnis stets zu empfehlen, jede Leistungseinstellung bzw. Leistungsablehnung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüfen zu lassen. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere sollten dabei die Voraussetzungen einer Tätigkeitsverweisung genauestens geprüft werden.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden.

Nachfolgend ist ein Leitartikel zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung zu finden, in welchem stets aktuelle Verfahren, Urteile und Rechtsstreitigkeiten zusammengefasst werden: Fallstricke Berufsunfähigkeitsversicherung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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