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Verschuldete Falschangabe bei verschwiegener Angststörung? (OLG Saarbrücken)

Das OLG Saarbrücken entschied über die Frage, ob in der verschwiegenen Behandlung einer Angststörung eine verschuldete Falschangabe durch den Versicherungsnehmer im Versicherungsantrag des Versicherers liegt (OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 5 U 105/06).

Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung

Der zu Versichernde begehrte mit Versicherungsantrag vom 19.09.2002 den Abschluss eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages. Der Antrag wurde vom Versicherungsagenten des Versicherers aufgenommen. Der zu Versichernde beantwortete die Gesundheitsfragen in dem Antragsformular mit „Nein“. Auf ein anschließend erfolgtes Telefonat mit einem Mitarbeiter des Versicherers wegen der Gesundheitsfragen schickte dieser dem zu Versichernden ein neues Antragsformular zu, welches der zu Versichernde selbst am 30. 9. 2003 ausfüllte. Die Frage, „Bestehen oder bestanden in den letzten 10 Jahren Krankheiten, Unfallfolgen, körperliche oder geistige Schäden, Gesundheitsstörungen oder sonstige Beschwerden?”, beantwortete er mit „ja, ca. 1991, Hüftfehlstellung, zeitweise Rückenschmerzen”. Die Frage, „Haben sie sich in den letzten 5 Jahren bei Ärzten und/oder Heilkundigen Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen unterzogen bzw. sind solche vorgesehen oder angeraten?” beantwortete er mit „ja, ca. 1997, OP, Ganglion rechte Hand”.

Daraufhin vereinbarten die Parteien in ihrem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag, dass Erkrankungen und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und Folgen und/oder Minderbelastbarkeiten sowie alle Bewegungsstörungen und Schmerzsymptome hervorgerufen durch Beckenschiefstand eine Dienstunfähigkeits- oder Berufsunfähigkeitsleistungen nicht bedingen und bei der Feststellung der Dienstunfähigkeit bzw. des Grads der Berufsunfähigkeit unberücksichtigt bleiben.

Im Juli 2004 wurde der Versicherungsnehmer wegen dauernder gesundheitlicher Dienstunfähigkeit aufgrund einer progredienten depressiven Entwicklung und eines Tinnitus in den Ruhestand versetzt.

Im Rahmen der Leistungsprüfung erfuhr der Versicherer, dass sich der Versicherungsnehmer vom 21.09.2001 bis 09.09.2002 wegen Angststörungen in Behandlung befand und erhielt weitere Informationen über Behandlungen des Versicherten in der Zeit vom 01.09.1998 bis 19.09.2003. Zudem ergab sich aus einem Arztbericht, dass der Versicherte am 22.12.1997 wegen eines Cervikal-Schulter-Armsyndrom links, Cervicocephalgie in Behandlung war.

Daraufhin erklärte der Versicherer den endgültigen Rücktritt vom Vertrag. Der Versicherungsnehmer verfolgt seinen Anspruch auf Versicherungsleistungen so dann gerichtlich weiter.

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Heilkundliche Behandlung einer Angststörung

Der Vertrag sei auf Grundlage des Versicherungsantrag vom 30.09.2003 zustande gekommen. Das entsprechende Antragsformular enthalte Fragen nach gesundheitlichen Umständen des Versicherten, für deren Richtigkeit er allein verantwortlich gewesen sei. Dort fehlen Angaben zu Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers, die er selbst später im Rahmen der Eigenbefragung angegeben habe und die sich aus beigefügten Arztberichten ergeben haben. So habe sich im Rahmen der Leistungsprüfung herausgestellt, dass er sich wegen Angststörungen in psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Der Versicherte habe insoweit die Frage nach „geistigen Schäden“ in den letzten zehn Jahren vor Antragsstellung nicht falsch beantwortet. Denn eine psychologisch behandelte Angststörung stelle keinen „geistigen Schaden“ dar.

Allerdings habe sich der Versicherungsnehmer im erfragten Zeitraum von fünf Jahren in heilkundlicher Behandlung befunden. Heilkunde sei jede berufs- oder gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Menschen. Zu den Heilkundigen zählen daher auch zur Durchführung einer Psychotherapie befugte Psychologen. Damit habe der Versicherungsnehmer durch Verschweigen der Behandlung seiner Angststörung seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt.

Verletzung der Anzeigepflicht ohne Verschulden

Der Versicherungsnehmer habe allerdings jedenfalls zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass die Anzeige der Behandlung seiner Angststörung in dem Antrag vom 30.09.2003 ohne sein Verschulden unterblieben sei.

Ein Versicherungsnehmer handele bei einer – objektiven – Anzeigepflichtverletzung ohne Verschulden, wenn er die im „kommunikativen Verkehr“ mit dem Versicherer erforderliche Sorgfalt bei seiner Beantwortung von Fragen gewahrt habe. Das sei der Fall, wenn der Versicherungsnehmer durch ein dem Versicherer zuzurechnendes Verhalten von einer zutreffenden Beantwortung von Antragsfragen abgehalten worden ist, der Versicherer also selbst oder durch seinen Vertreter dem Versicherungsinteressenten den Blick dafür verstellt habe, was anzugeben gewesen wäre. So liege der Fall hier. Dies führe schließlich dazu, dass eine objektive Verletzung der Anzeigepflicht entschuldigt sei.

Entscheidung des OLG zugunsten des Versicherten

Die vom Versicherungsnehmer verschwiegene hausärztlich behandelnde Erkrankung der Bronchien und Verdauungsorgane und eines Schulter-Arm-Syndroms habe jedenfalls offenkundig keinen Einfluss auf den Versicherungsfall gehabt. Im Übrigen habe er seine vorvertragliche Anzeigepflicht nicht schuldhaft verletzt. Da der Versicherer nicht leistungsbefreiend vom Vertrag zurückgetreten sei, stehe dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente zu.

Fazit und Hinweise

Den Versicherungsnehmer trifft vor Abschluss eines Versicherungsvertrages eine vorvertragliche Anzeigepflicht. Verletzt er diese, indem er etwa die heilkundliche Behandlung von Angststörungen verschweigt, berechtigt dies den Versicherer zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Der Versicherte könnte indes die Anzeigepflicht ohne Verschulden verletzt haben. Es solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn der Versicherte vom Versicherer selbst oder durch seinen Mitarbeiter von einer korrekten Beantwortung der Antragsfragen abgehalten worden ist.

Ein weiterführender Artikel zu dem Themenbereich „Antragsfragen des Versicherers“ ist nachstehend zu finden: Auslegung von Antragsfragen des Versicherers.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt erklärt wann die Falschangabe bei verschwiegener Angststörung verschuldet ist

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