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Folgen der Umsetzung nach Mutterschutz auf Beurteilung der Berufsunfähigkeit (OLG Saarbrücken)

Kann eine vorübergehende Tätigkeit der Versicherungsnehmerin nach Mutterschutz für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit zugrunde gelegt werden? Oder bleibt insoweit ihre “Stammtätigkeit” als ihr eigentlicher Beruf maßgeblich? Darüber hatte das Oberlandesgericht Saarbrücken zu befinden (OLG Saarbrücken, Urt. v.  07.07.2021 – 5 U 17/19).

Umsetzung nach der Mutterschutzzeit in die Verwaltung

Die Versicherungsnehmerin unterhält bei der beklagten Versicherung eine Risiko-Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) und Unfall-Zusatzversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen u. a. die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Comfort-Schutz zu Grunde.

Die Versicherungsnehmerin war seit 2008 bei der X-Firma beruflich tätig. Dort arbeitete sie zunächst an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw, wo sie beim Einfahren der Lkw für die Kontrolle der Ladepapiere, nachfolgend für das Wiegen der Lkw beim Herein- und Herausfahren zuständig war. Dieser Tätigkeit ging sie bis zur Geburt ihres Sohnes nach. Nach der Mutterschutzzeit nahm sie im August 2012 ihren Beruf wieder auf. Sie wechselte dann aber auf eigenen Wunsch vorübergehend (befristet auf 18 Monate) in die Verwaltung (Bereich Instandhaltung-Controlling), da sie wegen des Kindes nicht mehr im Schichtdienst arbeiten wollte. Danach sollte sie wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden.

Berufsunfähigkeit wegen Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankung?

Die Versicherte war seit Oktober 2013 wegen einer Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankung berufsunfähig. Daraufhin stellte sie bei dem Versicherer einen Antrag auf Leistungen aus der BUZ (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Sie sei aufgrund ihrer Erkrankung zur Ausübung ihrer damaligen Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw außerstande gewesen. Daher ging die Versicherungsnehmerin davon aus, dass die Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ zugrunde zu legen sei, bei der es sich nach ihrer Darstellung nicht um eine reine Bürotätigkeit gehandelt habe, weil auch Zuarbeiten zur Dokumentation, zur Unterstützung der Buchhaltung und des Ersatzteillagers beinhaltet gewesen seien und sie deshalb weithin „am Regal“ tätig gewesen sei.

Leistungsentscheidung des Versicherers

Den Antrag lehnte der Versicherer ab. Das Berufsbild der Versicherungsnehmerin sei – bezogen auf die von ihr geschilderte Tätigkeit im Verwaltungsbereich – nicht ausreichend dargestellt worden (siehe hierzu auch Wann liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor). Nach einer Tätigkeitsbeschreibung des Arbeitgebers der Versicherungsnehmerin habe diese eine reine Bürotätigkeit wahrgenommen, die überwiegend im Sitzen ausgeübt worden sei und nicht körperlich belastende oder in Zwangshaltung vorzunehmende Tätigkeiten beinhaltet habe, die die Versicherungsnehmerin auch mit Rücksicht auf etwaige gesundheitliche Einschränkungen auszuüben in der Lage sei. Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege demgemäß bei ihr nicht vor.

Gegen diese Ablehnung richtete sich die erstinstanzliche Klage der Versicherungsnehmerin. Das LG Saarbrücken hat der Klage stattgegeben und die beklagte Versicherung zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente sowie zur Beitragsrückgewähr verurteilt. enden Beitragszahlung freizustellen. Der Versicherer legte gegen diese Entscheidung Berufung zum OLG Saarbrücken ein.

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Die Entscheidung des OLG Saarbrücken

Die Berufung des Versicherers hatte Erfolg. Der Versicherer sei bei Zugrundelegung der für die Beurteilung ihrer Eintrittspflicht maßgeblichen Tatsachen nicht gehalten, der Versicherungsnehmerin Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu erbringen. Die Versicherungsnehmerin habe nicht bewiesen, dass sie bedingungsgemäß berufsunfähig ist. Die Klage sei unbegründet, weil auf der Grundlage des für die Beurteilung der Frage einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit zugrunde zu legenden Sachverhaltes nicht festgestellt werden könne, dass die Versicherungsnehmerin bedingungsgemäß außerstande wäre, ihrem vormals ausgeübten Beruf in seiner hier maßgeblichen Ausgestaltung „in gesunden Tagen“ weiter nachzugehen.

Der Versicherer schulde nach dem Versicherungsvertrag auf der Grundlage der vereinbarten Bedingungen für die BUZ bei bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit von mindestens 50% eine monatliche Rente sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung. Vollständige Berufsunfähigkeit liege danach vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, bereits sechs Monate ununterbrochen außer Stande gewesen ist oder nach ärztlicher Prognose voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außer Stande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Leistungsbeeinträchtigungen ausgestaltet war – auszuüben.

Die Berufsunfähigkeit trete rückwirkend zu dem Zeitpunkt ein, ab dem die versicherte Person ununterbrochen außer Stande war, ihren Beruf auszuüben. Sie liege nicht vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen treffe die Versicherungsnehmerin, führte das OLG Saarbrücken aus.

“Stammtätigkeit” als eigentlicher Beruf ist maßgeblich!

Das Gericht habe festgestellt, dass diese Voraussetzungen im Streitfall nicht vorliegen. Die Versicherungsnehmerin habe nicht bewiesen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihre frühere berufliche Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswage der Firma X im bedingungsgemäßen Umfang nicht mehr ausüben kann oder konnte. Diese Tätigkeit sei trotz des vorübergehenden befristeten Wechsels der Versicherungsnehmerin in den Innendienst für die Beurteilung der Eintrittspflicht des Versicherers maßgeblich geblieben, so das OLG Saabrücken.

Zur Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit der Versicherungsnehmerin in ihrem früheren Beruf vorliegt, sei von der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw auszugehen. Denn diese und nicht die erst kurz vorher und von vornherein nur für einen vorübergehendenden Zeitraum übernommene Tätigkeit in der Verwaltung sei für diese Beurteilung maßgeblich geblieben.

Weiter führte das OLG Saarbrücken aus, dass zwar bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend sei, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war. Habe der Versicherte nämlich vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit seinen Beruf gewechselt, ohne dass gesundheitliche Umstände dafür ursächlich waren, sei deshalb regelmäßig auf die neue Tätigkeit abzustellen.

Tätigkeit muss die Lebensstellung in erheblicher Weise zu prägen

Etwas anderes gelte jedoch, wenn die neue Tätigkeit die Lebensstellung des Versicherten noch gar nicht zu beeinflussen begonnen hat. Nach Auffassung des OLG Saarbrücken sei es Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die Lebensstellung des Versicherten zu wahren, die aber erst dann durch den bisherigen Beruf geprägt wird, wenn dieser eine gewisse Zeit lang ausgeübt wird. Deshalb bleibe eine frühere Tätigkeit maßgeblich, wenn der Versicherungsnehmer sie für die Dauer von Erziehungs- oder Elternzeiten lediglich unterbricht, auch wenn er in dieser Zeit vorübergehend einer anderen Beschäftigung nachgeht.

Gleiches gelte in dem Fall, in dem der Versicherte von seinem Arbeitgeber lediglich vorübergehend mit bestimmten anderen Tätigkeiten betraut wird oder Gelegenheitsarbeiten übernimmt. Die Gemeinsamkeit dieser Fälle liege demnach darin, dass die neue oder geänderte Tätigkeit aus der Sicht des Versicherungsnehmers nicht oder noch nicht geeignet war, dessen Lebensstellung in erheblicher Weise zu prägen, so das Oberlandesgericht Saarbrücken.

Elternzeit kann unbeachtlich sein für die BU-Prüfung

Im Ergebnis sei hier nicht die der Versicherungsnehmerin lediglich vorübergehend zugewiesene Tätigkeit im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ maßgebend, sondern die von ihr ursprünglich ausgeübte Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage. Soweit sie im August 2012 wieder angefangen habe zu arbeiten und dann auf eigenen Wunsch in die Verwaltung gewechselt war, war dieser Wechsel von vornherein auf einen Zeitraum von 18 Monaten befristet.

Nach Ansicht des OLG Saarbrücken sei daher von vornherein geplant gewesen, dass die Versicherte nach Ablauf dieser Zeit wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden würde. Gegenüber dem Sachverständigen habe die Versicherungsnehmerin dementsprechend angegeben, dass sie nach Ablauf der vorgesehenen Zeit bis zu ihrer Entlassung im Februar 2015 wieder „Mitarbeiterin Pforte“ gewesen sei, obwohl sie dorthin wegen Berufsunfähigkeit nicht zurückgekehrt sein mag. Da sie aber nach ihrem vorübergehenden Wechsel in den Innendienst erkrankt und nach wiederholten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ab Oktober 2013 berufsunfähig gewesen sei, war diese erst seit kurzem ausgeübte, ihr lediglich vorübergehend zugewiesene Tätigkeit im Innendienst nicht geeignet, ihre Lebensstellung dergestalt zu prägen. So könne diese für die Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit nicht zugrunde gelegt werden. Vielmehr blieb auch währenddessen ihre „Stammtätigkeit“ an der Ein- und Ausgangswaage maßgeblich, weil sie, von der familiär bedingten vorübergehenden Veränderung abgesehen, ihren „eigentlichen“ Beruf darstellte.

Das OLG Saarbrücken konnte letztlich vorliegend nicht feststellen, dass die Versicherungsnehmerin diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Es fehle mithin am erforderlichen Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Das Vorliegen der behaupteten Erkrankung sei mithin zweifelhaft geblieben. Da das Landgericht die Beklagte zu Unrecht verurteilt habe, musste das angefochtene Urteil auf die Berufung hin entsprechend abgeändert werden.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken kann im Ergebnis überzeugen und hat eine hohe Relevanz für die Praxis. Denn mit dieser Entscheidung wurde auch konkret herausgearbeitet, welche Tätigkeit bei einer Leistungsfallprüfung durch die Versicherung zu Grunde zu legen ist. Gerade hinsichtlich des Mutterschutzes in bei einer Elternzeit stellt sich häufig die Frage, welche Tätigkeiten maßgeblich sind, wenn vor der „Auszeit“ eine andere Tätigkeit ausgeübt wurde als danach. Es kommt stets auf die Prägung der Tätigkeit im Hinblick auf die Lebensstellung an, so das OLG Saarbrücken.

Die Entscheidung zeigt aber auch, dass jede Leistungsablehnung einer Berufsunfähigkeitsversicherung (bzw. Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung) zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet und geprüft werden. Insbesondere sollten dabei die Voraussetzungen im Rahmen der “zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit” genauestens geprüft werden.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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