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Fingiertes Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit nach Gutachten? (LG Nürnberg-Fürth)

Das LG Nürnberg-Fürth hatte zu klären, wann ein fingiertes Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit vorliegen kann (LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 31.01.2023 – 8 O 5649/20).

Berufsunfähigkeit wegen Handgelenkbeschwerden

Zwischen dem Versicherungsnehmer, einem gelernten Elektroinstallateur, und dem Versicherer besteht ein Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag. Das Vertragsverhältnis begann 2016 und läuft bis 2044. Außerdem unterliegt es den Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung.

Bereits im Jahr 2013/2014 traten beim Versicherungsnehmer Beschwerden am rechten Handgelenk auf. Aus diesem Grund wurden bei ihm im Januar 2014 in einer Handchirurgischen Klinik eine ambulante Rissumwandlung (Handgelenksarthroskopie mit Debridement im Discusbereich) und eine Spaltung des ersten Strecksehnenfaches durchgeführt. Danach befand sich der Versicherungsnehmer im Oktober 2014 in stationärer Behandlung in der Klinik.

Mit Leistungsantrag aus Februar 2017 beantragte der Versicherungsnehmer bei dem Versicherer die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente. Dabei nahm er Bezug auf die seit Oktober 2016 wiederkehrenden und seit Dezember 2016 langanhaltenden Schmerzen im rechten Handgelenk. Insbesondere trug er vor, er sei deswegen seit spätestens Februar 2017 nicht mehr in der Lage, seine berufliche Tätigkeit auszuüben.

Daraufhin trat der Versicherer in die Prüfung der Berufsunfähigkeit ein. Er erklärte sodann im März 2017 den Rücktritt sowie die Anfechtung aufgrund einer vermeintlichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers. Hiergegen ging der Versicherungsnehmer gerichtlich vor. Mit Urteil vom 03.08.2018 wurde die Unwirksamkeit des Rücktritts und der Anfechtung, sowie das Fortbestehen des ursprünglichen Versicherungsvertrages festgestellt.

Einholung von Gutachten durch den Versicherer

Nachdem die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig wurde, trat der Versicherer erneut in die Prüfung der Berufsunfähigkeit ein. Er beantragte ein medizinisches Gutachten zum Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers beim Universitätsklinikum Erlangen. In diesem Zusammenhang wurde beim Versicherungsnehmer eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit durchgeführt. Dessen Ergebnisse wiederum wurde demselben Arzt beim Universitätsklinikum zur Erstellung eines ergänzenden Gutachtens vorgelegt. Aus diesem Gutachten geht –unter Bezugnahme auf das vorangegangene Gutachten- hervor, dass die Kriterien für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit weiterhin formal erfüllt seien. Denn der Versicherungsnehmer sei infolge von Krankheit und Kräftefall seit mehr als 6 Monaten zu mindestens 50% außerstand gewesen, seinen zuletzt ausgeübten Beruf -so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war- auszuüben.

Mit einem Schreiben vom Mai 2020 lehnte der Versicherer seine Leistungspflicht erneut ab. Infolgedessen beauftragte der Versicherungsnehmer seine Prozessbevollmächtigten. Diese forderten den Versicherer zur Anerkennung ihrer Leistungspflicht bis Juli 2020 auf. Vor diesem Hintergrund behauptete der Versicherungsnehmer, er sei spätestens seit Februar 2017 nicht mehr in der Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Servicetechniker auszuüben. Er habe am PC und am Telefon gearbeitet, wobei er unter anderem bei längerem Tippen und Bedienen der Maus Schmerzen in der rechten Hand bekommen habe.

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Fingiertes Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit

Der Versicherungsnehmer ist der Auffassung, der Versicherer habe auf Grundlage der im eigenen Auftrag erstatteten Gutachten ein sog. gebotenes Anerkenntnis abgeben müssen. Da der Versicherer dem nicht nachgekommen sei, habe er seine aus § 173 Abs. 1 VVG und dem Versicherungsvertrag folgende Verpflichtung verletzt. Dies habe zur Folge, dass dieses Anerkenntnis fingiert werde.

Darauf stützte der Versicherungsnehmer seine Klage und beantragte sowohl die rückständige Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente von März 2017 bis einschließlich August 2020 als auch die Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente ab September 2020 bis längstens einschließlich Juni 2044. Zudem verlangte er die Rückzahlung der überbezahlten Beiträge für den Monat März 2017.

Verweisung auf Hilfsmittel bezüglich der Handgelenkbeschwerden

Das LG Nürnberg-Fürth befasste sich zunächst mit der Frage, ob eine Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers schon aufgrund der Möglichkeit des Verweises auf bestimmte Hilfsmittel ausgeschlossen sein könnte. Ausweislich der Sachverständigengutachten umfassen die Beschwerden des Versicherungsnehmers Belastungsschmerzen mit einem Schmerzfokus über dem Handgelenk, eine schmerzhafte Umwendbewegung, eine schmerzhafte Dorsalextension sowie einen allgemeinen Kraftverlust in der rechten Hand.

Unter Berücksichtigung dieser Beschwerden entschied das Gericht, eine zeitliche Limitierung bei klassischen Büro-/Verwaltungstätigkeiten könne nicht angenommen werden. Vielmehr sei eine zeitliche Limitierung lediglich bei Ablagearbeiten gegeben, die wiederum mit einem Heben von schwereren Gewichten über 5 kg verbunden seien oder eines kraftvollen Grobgriffs bedürfen. Bei dem Tätigkeitsbild des Versicherungsnehmers führe eine solche Limitierung nicht zur Annahme, dass er zu mindestens 50% nicht in der Lage sei, diese Tätigkeit auszuüben.

Dahingegen sei nach den Ausführungen des Gutachters das Arbeiten an Tastaturen mit Hilfe einer Schiene auch schmerzfrei möglich. Durch diese Tätigkeit würde das Handgelenk nicht stark beansprucht werden. Auch bei dennoch auftretenden Schmerzen gebe es andere Möglichkeiten, wie das Nutzen von Einhandtastaturen oder ähnlichem. Damit könne auf bestimmte Hilfsmittel verwiesen werden, die die Annahme einer Berufsunfähigkeit ausschließen.

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Objektive Gebotenheit des Anerkenntnisses

Das Gericht lehnte einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung auf Grundlage eines fingierten Anerkenntnisses des Versicherers ab. Erklärt der Versicherer sein Anerkenntnis nicht, obwohl er sich bedingungsgemäß erklären musste, so sei er gleichwohl so zu behandeln, als ob er anerkannt hätte. Dann läge ein fingiertes Anerkenntnis vor, von dem sich der Versicherer nur im Wege eines Nachprüfungsverfahrens lösen könne (Zum Nachprüfungsverfahren des Berufsunfähigkeitsversicherers siehe auch: „Die Nachuntersuchung in der Berufsunfähigkeitsversicherung“).

Nach Auffassung des Gerichts sei die alleinige Voraussetzung für die Annahme eines fingierten Anerkenntnisses dessen objektive Gebotenheit, also dass bedingungsgemäß Berufsunfähigkeit vorgelegen hat (Zu den Anforderungen des fingierten Anerkenntnisses siehe auch: „Leistungsdauer nach einem fingierten Anerkenntnis“). In Anbetracht dessen sei im vorliegenden Fall nicht von einem fingierten Anerkenntnis auszugehen. Insbesondere liege ein solches nicht bereits vor, wenn der Versicherer aufgrund der ihm vorliegenden Gutachten von einer Berufsunfähigkeit hätte ausgehen müssen. Bei dem Versicherungsnehmer habe eine erforderliche bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit aufgrund der Verweisbarkeit auf Hilfsmittel gerade nicht vorgelegen. Unerheblich sei indessen, dass die vom Versicherungsnehmer eingeholten Gutachten womöglich zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

Ferner sei das Abweichen des Versicherers von der Einschätzung des von ihm beauftragten Sachverständigen und damit die Ablehnung der Berufsunfähigkeit nicht rechtsmissbräuchlich. Die Frage der Berufsunfähigkeit sei schließlich juristischer Natur.

Fazit

Es ist nicht von einer fingierten Anerkenntnis der Berufsunfähigkeit auszugehen, wenn lediglich der Versicherer aufgrund seiner der ihm vorliegenden und von ihm eingeholten Gutachtenlage von einer Berufsunfähigkeit ausgehen konnte. Vielmehr muss ein Anerkenntnis objektiv geboten sein. Dafür müsste im streitgegenständlichen Zeitraum eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorgelegen haben. Arbeitnehmer, deren Tätigkeitsbild von der Arbeit an Tastaturen geprägt ist, können auf die Verwendung von Hilfsmitteln, wie Gelenkschienen oder Einhandtastaturen verwiesen werden, sodass keine Berufsunfähigkeit vorliegt.

Weitere interessante Artikel zum Thema Berufsunfähigkeit sind nachfolgend zu finden: „Berufsunfähigkeitsversicherung“.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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