Recht des Patienten auf unentgeltliche Kopie der Patientenakte? (EUGH)

Juristisch umstritten war, ob ein Patient von seinem behandelnden Arzt eine unentgeltliche Kopie der Patientenakte verlangen kann. Hierüber hatte der EuGH betreffend eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. März 2022, zu entscheiden (EuGH, Urt. v. 26.10.2023 – C-307/22).

Worum ging es in dem Rechtstreit konkret?

Ein Patient war der Auffassung von seiner Zahnärztin fehlerhaft behandelt worden zu sein. Um die Ärztin in Haftung nehmen zu können, verlangte der Patient eine Kopie seiner Patientenakte. Die Ärztin forderte ihn auf – wie nach deutschem Recht vorgesehen -, die Kosten für die Aushändigung der Kopie zu übernehmen. Hiermit war der Patient nicht einverstanden und zog vor Gericht. Der Bundesgerichtshof legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor. Im Kern ging dabei um bestimmte DSGVO-Regelungen, die ausgelegt werden mussten.

Welche Rechte hat der Patient nach deutschem Recht?

Gemäß § 630f BGB ist der Behandelnde verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Der Behandelnde hat die Patientenakte für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach anderen Vorschriften andere Aufbewahrungsfristen bestehen.

Nach § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB ist dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Gemäß § 630g Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Patient auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung ist dies dahin zu verstehen, dass der Patient wahlweise die Anfertigung physischer oder elektronischer Kopien verlangen kann. Gemäß § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB hat der Patient dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.

Folglich bestand bereits nach deutschem Recht ein Anspruch des Patienten auf Kopie der Patientenakte, jedoch gegen Kostenerstattung zu Gunsten des Behandelnden.

Welche Rechte hat der Patient nun nach der DSGVO?

Der EuGH stellte nunmehr fest, dass Patientinnen und Patienten nach der DSGVO das Recht zustünde, eine erste Kopie ihrer Patientenakte zu erhalten – und zwar ohne dass ihnen hierdurch Kosten entstehen und ohne dass sie ihren Antrag begründen müssen. Nur wer erneut eine Kopie verlange, könne zur Kasse gebeten werden. Die Ärztinnen und Ärzte seien als Verantwortliche für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihrer Patienten anzusehen. Selbst mit Blick auf den Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen seien abweichenden nationale Regelungen unionsrechtswidrig.

Aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO ergibt sich, dass im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses das Recht auf Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, umfasst, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten überlassen wird. Dieses Recht setzt voraus, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in der Patientenakte befinden und unter anderem diese Daten enthalten, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie erforderlich ist, um der betroffenen Person die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu ermöglichen und die Verständlichkeit der Daten zu gewährleisten. In Bezug auf die Gesundheitsdaten der betroffenen Person schließt dieses Recht jedenfalls das Recht ein, eine Kopie der Daten aus ihrer Patientenakte zu erhalten, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an ihr vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen umfasst.

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Gilt das Auskunftsrecht auch bei datenschutzfremden Zwecken?

Der ursprüngliche Grund dieses Verfahrens war primär die Vorbereitung eines Haftungsprozesses des Patienten gegen eine Zahnärztin, nicht die Geltendmachung von Datenschutzansprüche aus der DGSVO. Mithin war der verfolgte Zweck die Datenerlangung, um so dann einen Haftungsprozess führen zu können. Auch dieser Aspekt war juristisch sehr umstritten, ob nämlich ein Auskunftsersuchen als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei, siehe:

Mit dieser Entscheidung hat der EuGH ebenso festgestellt, dass nach Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 der Verantwortliche der betroffenen Person selbst dann unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen muss, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der DSGVO genannten Zwecken begründet wird.

Fazit und Hinweise für die Praxis

Nach dieser Entscheidung des EuGH haben Patienten nach der DSGVO einen Anspruch darauf, eine kostenlose Kopie ihrer Patientenakte zu erhalten. Dies gilt laut EuGH aber nur für die erste Kopie. Die Kosten für jede weitere Kopie dürften die Ärzte ihren Patienten in Rechnung stellen. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich den Auskunftsanspruch geltend zu machen, obwohl primär andere Zwecke verfolgt werden.

Die Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen des BGH ist äußerst begrüßenswert. Denn mit diesem Urteil wurden umstrittene Fragen der DSGVO ausgeräumt und klargestellt, so dass die nationalen Gerichte mehr Klarheit haben, um entsprechende Entscheidungen zu treffen bzw. Urteile zu erlassen. Gerade aus der DSGVO heraus ergaben und ergeben sich sehr viele Rechtsfragen, die nach dem Inkrafttreten und der Umsetzung des DSGVO entstanden sind und wahrscheinlich auch noch weiterhin entstehen werden.

Für die Praxis ist diese Entscheidung ebenso für Versicherungsvermittler und Versicherte wichtig. Denn häufig werden bei der Vermittlung von biometrischen Versicherungsprodukten die Patientenakten der Versicherten von den Behandlern gefordert. Nicht selten werden diese Patientenansprüche zurückgewiesen (siehe dazu auch: „Die Falle: Patientenakte“ – Teil 1/2 sowie „Die Falle: Patientenakte“ – Teil 2/2). Ebenso nicht selten verlangen Behandler Kosten für die Kopie der Patientenakte. Mit dieser Entscheidung dürften Versicherungsvermittler und Versicherte es einfacher haben, an die Daten des Versicherten zu gelangen.

Auch in der Begleitung von Berufsunfähigkeitsverfahren spielt die Patientenakte eine wichtige Rolle. Denn in Leistungsprüfungsverfahren (siehe auch: Der BU-Leistungsantrag) verlangen nicht selten auch Versicherungen die Patientenakte von den Behandlern heraus und müssen diesen dafür die Kosten erstatten. Auf Basis dieser Entscheidung dürfte nun klar sein, dass der Auskunftsanspruch auf die erste Kopie der Patientenakte kostenfrei für den Patienten bzw. Versicherten ist.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt berichtet über Urteil des EUGH zur Frage des Anspruches auf unentgeltliche Kopie der Patientenakte

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