Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob der Versicherer eine Aussetzung der Rentenzahlung bis zur Nachholung der Mitwirkung des Versicherungsnehmers bei der Nachprüfung vornehmen kann, wenn dieser die eingeforderte Mitwirkung verweigert (OLG Hamm, Beschl. v. 06.08.2020 – 20 U 89/20).
Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei der Beklagten Versicherung zwei Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen aus den Jahren 1986 und 1997. Der Kläger macht aus beiden Versicherungen Ansprüche geltend. Die Beklagte lehnte die Fortzahlung trotz im Jahr 2013 anerkannter Leistungspflicht seit August 2019 als nicht begründet ab, weil der Versicherte die von dem Versicherer eingeforderte ärztliche Untersuchung verweigerte. Die jeweiligen Bedingungswerke enthalten nachfolgende Regelung: „Zur Nachprüfung können wir auf unsere Kosten jederzeit sachdienliche Auskünfte und einmal jährlich eine Untersuchung / umfassende Untersuchungen des Versicherten durch einen von uns zu beauftragenden Arzt verlangen.“
Ferner enthalten beide Bedingungswerke auch eine Regelung über die Rechtsfolgen dieser Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung. Der Versicherer hat die Bedingungswerke nicht an das neue VVG angepasst. Aus diesem Grund ist der Kläger der Auffassung, nach anwaltlicher Beratung, nicht zur Mitwirkung im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens (weiter Infos siehe auch Das Nachprüfungsverfahren) verpflichtet zu sein. Nunmehr fordert der Kläger die Zahlung rückständiger sowie zukünftiger Renten und Beitragsbefreiung.
Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen, weil sich die Beklagte aufgrund der Mitwirkungsverweigerung des Klägers jedenfalls auf § 242 BGB berufen könne. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Das OLG Hamm sah keine Erfolgsaussichten für die Berufung. Das Landgericht habe die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, da die Beklagte die Fortzahlung jedenfalls bis zur Nachholung der eingeforderten Mitwirkung durch den Kläger verweigern dürfe. Nach Auffassung des Senats komme jedoch eine Leistungsfreiheit bzw. -kürzung wegen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nicht in Betracht, selbst wenn diese vorsätzlich oder arglistig begangen wurde. Dennoch sei die in Rede stehende Obliegenheit selbst weiter wirksam. Denn die Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer berechtige den Versicherer, die Leistung bis auf weiteres zu gemäß § 242 BGB zu verweigern.
Der Senat führte weiter aus, dass es hier keiner Entscheidung bedarf, ob allgemein trotz fehlender Bedingungsanpassung und der damit einhergehenden Unwirksamkeit der vereinbarten Rechtsfolgen die vereinbarten Obliegenheiten selbst wirksam bleiben und darauf im Rahmen der Anwendung von §§ 81, 82 VVG und § 242 BGB abgestellt werden könne. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall bleibe die vereinbarte Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit trotz fehlender Bedingungsanpassung bestehen, weiter OLG. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck von Erstprüfung und Anerkenntnis einerseits und dem Recht zur Nachprüfung der Beklagten andererseits.
Nach den jeweiligen Bedingungen der Versicherungsverträge bestehe im Rahmen der Erstprüfung eine Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit des Versicherungsnehmers. Unterlässt er trotz Aufforderung des Versicherers die Mitwirkung, werde sein Stammrecht nach § 14 Abs. 1 VVG nicht fällig. Dies müsse nach Ansicht des Senats nach den jeweiligen Bedingungen auch für den Fall der Nachprüfung und damit für die Ansprüche auf Einzelleistung aus dem Stammrecht gelten.
Der Gesetzgeber zwinge nämlich den Versicherer nach § 173 VVG grundsätzlich dazu, seine Leistungspflicht bei Fälligkeit des Stammrechts zeitlich unbegrenzt anzuerkennen. Andererseits räume er ihm aber in § 174 VVG das Recht zur Nachprüfung ein, das vorliegend vertraglich wirksam vorbehalten sei, so das Gericht. Letztlich setze dieses Zusammenspiel voraus, dass der im Nachprüfungsverfahren beweisbelastete Versicherer taugliche Erkenntnisquellen nutzen könne.
Der Einwand des Klägers, das VVG in seiner neuen Fassung sehe gar kein Nachprüfungsverfahren mehr vor und erlaube es auch nicht, unter anderem weil § 31 Abs. 1 VVG nur eine Auskunftsobliegenheit vorsehe, so dass der Versicherer kein Nachprüfungsverfahren mit Untersuchungsobliegenheit statuieren dürfe, sei unerklärlich. Denn § 174 VVG sehe doch, ohne es als solches zu bezeichnen, ein Nachprüfungsverfahren gerade vor. Auch § 31 Abs. 1 VVG müsse eine Untersuchungsobliegenheit nicht vorsehen. Denn diese Norm lasse doch gerade vertragliche Abweichungen zum Nachteil des Versicherungsnehmers in den Grenzen der §§ 305 ff. BGB unzweifelhaft zu.
Entgegen dem Vorbringen des Klägers sei die Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit damit vertraglich vereinbart und nicht Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung.
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Weiter führt das OLG Hamm aus, dass eine Verwirkung von Ansprüchen gemäß § 242 BGB in Betracht kommen könne. Die Verwirkung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung sei dabei jedoch auf besondere Ausnahmefälle beschränkt, in denen es für den Versicherer unzumutbar wäre, sich an der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festhalten zu lassen. Erforderlich sei dabei eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls, in die vor allem das Maß des Verschuldens des Versicherungsnehmers, die Motivation des Versicherungsnehmers, der Umfang der Gefährdung der schützenswerten Interessen des Versicherers, die Folgen des Anspruchsverlustes für den Versicherungsnehmer und das Verhalten des Versicherers einzubeziehen seien.
Unter Zugrundelegung dieser Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls bestehen im Streitfall keinerlei Zweifel daran, dass der Versicherer sich jedenfalls auf 242 BGB berufen und die Leistung bis auf weiteres verweigern können, so das OLG Hamm. Der Kläger habe vorliegen mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt, da er trotz Aufforderung der Beklagten und damit in Kenntnis der vertraglichen Vereinbarung die Mitwirkung gezielt verweigerte.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers ihm gestützt auf Literatur und im übrigen nicht einschlägige Rechtsprechung mitgeteilt haben, eine Untersuchungsobliegenheit bestehe mangels Bedingungsanpassung der Beklagten nicht. Zwar handele ein Versicherungsnehmer, selbst bei Kenntnis der Versicherungsbedingungen, regelmäßig nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig, wenn er sich anwaltlichen Rat einholt und der Rechtsanwalt ein objektiv falschen Rat gibt. Eine Falschberatung seiner Prozessbevollmächtigten behaupte der Kläger gerade jedoch nicht. Damit sei das Gericht aufgrund der Umstände im vorliegenden Einzelfall ohne erheblichen Zweifel davon überzeugt, dass dem Versicherungsnehmer klar war, dass er mit seiner Rechtsauffassung nicht zwingend durch dringen würde. Das Gericht meinte ferner, dass der Kläger auch mindestens billigend in Kauf nahm, dass die Leistungspflicht des Versicherers jedenfalls temporär entfalle.
Der Senat vertritt ferner die Auffassung, dass die Beklagte mit der fehlenden Bedingungsanpassung nicht auf ihr gesetzlich vorgesehenes und vertraglich vereinbartes Nachprüfungsrecht und die gesetzlich vorgesehene und vertraglich vereinbarte Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit verzichtet habe. Der Versicherer habe allein von einer Bedingungsanpassung in Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2 VVG abgesehen. Eine andere Beurteilung wäre nämlich mit dem vertraglich vorgesehenen Interesse des Versicherers an der Durchführung der Nachprüfung unvereinbar und würde zu einer für die Versicherten nicht hinzunehmenden Belastung führen, so der Senat.
Der Senat kam letztlich zu dem Ergebnis, dass die vorübergehende Leistungsfreiheit den Kläger nicht unangemessen belaste. Er sei jederzeit in der Lage, sich untersuchen zu lassen und damit die Leistungspflicht, je nach Untersuchungsergebnis, rückwirkend wieder aufleben zu lassen. Das Verhalten des Klägers stelle im Ergebnis mithin eine derart grobe Verletzung des in besonderem Maße von Treu und Glauben geprägten Versicherungsverhältnisses dar, dass dies in jedem Fall jedenfalls zur vorübergehenden Leistungsfreiheit des Versicherers führen müsse.
Die Entscheidung des OLG Hamm kann im Ergebnis überzeugen. Sie zeigt deutlich, dass die Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit eines Versicherungsnehmers auf der einen Seite und das Nachprüfungsrecht des Versicherers auf der anderen Seite wesentliche Schwerpunkt des Prüfungsverfahrens bei Berufsunfähigkeit darstellen. Werden hierbei Fehler gemacht, ziehen sich diese durch das gesamte Leistungsprüfungsverfahren. Bei Berufsunfähigkeit ist stets anzuraten, sich kompetente Unterstützung zu suchen. Gerade Leistungsablehnungen von Berufsunfähigkeitsversicherungen sollten juristisch überprüft werden.
Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Auch an dieser Entscheidung ist zu erkennen, dass es sinnvoll ist frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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