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Anforderungen an die Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BGH)

Der Bundesgerichtshof hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit dem Tätigkeitsbild eines Versicherten einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu befassen gehabt (BGH v. 21.04.2021 – IV ZR 88/20). Dabei hat der BGH zu der äußerst interessante Frage Stellung genommen, wie weit die Darlegungslast des Versicherten geht und wie detailliert er seine zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübte Tätigkeit beschreiben muss. Dieses ist ein häufiger Streitpunkt zwischen Versicherern und Versicherten. Denn Versicherungen wünschen sich eher hohe Anforderungen an die Darlegungslast, Versicherte typischerweise nicht.

Der Sachverhalt vor dem BGH

Der Kläger ist ein selbstständiger Zahntechnikermeister. Er begehrt von der beklagten Versicherung vertragsgemäße Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen orthopädischer Probleme. Der Versicherer bestreitet jedoch das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit von mindestens 50% und lehnt seine Leistungsverpflichtung mangels Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen.

Die Klage des Versicherten hatte in den Vorinstanzen jedoch keinen Erfolg (LG Nürnberg-Fürth v. 31.05.2019 – 11 O 3211/17; OLG Nürnberg v. 17.03.2020 – 8 U 1929/19). Da eine Revision nicht zugelassen wurde, beschwerte sich der Versicherte so dann vor dem BGH.

Die rechtliche Wertung des BGH

Auf die Beschwerde des Klägers hin ließ der BGH die Revision zu, hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das OLG zurück. In der Sache selbst entschied der BGH, das OLG habe mit seiner Auffassung, der Kläger habe eine Verringerung auch seiner nicht-handwerklichen Tätigkeiten um 50% infolge seiner gesundheitlichen Einschränkung nicht ausreichend dargelegt, den grundrechtlichen Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Der Kläger hatte nämlich vorgetragen, er könne seine handwerkliche Tätigkeit als Zahntechniker aufgrund seiner orthopädischen Probleme nur noch in einem Umfang von 50% ausüben. Das OLG befand, der Kläger habe im Hinblick auf seine sonstigen Tätigkeiten (etwa eine Stunde pro Tag Bürotätigkeit, etwa eine halbe Stunde pro Tag Termine bei Zahnärzten zur Besprechung des herzustellenden Zahnersatzes) keine gesundheitlich bedingte Einschränkung dargelegt, so dass insgesamt kein Grad der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% dargelegt sei.

Anforderungen an die Darlegungslast dürfen nicht überspannt werden!

Nach Auffassung des BGH übersah das OLG jedoch, dass der Kläger vorgetragen hatte, dass sich als Folge der gesundheitsbedingten Reduzierung seiner handwerklichen Tätigkeit auch der Zeitaufwand seiner Bürotätigkeit und die Erforderlichkeit von Besprechungen in Zahnarztpraxen entsprechend reduziere und daher ebenfalls eine Folge der gesundheitlichen Beeinträchtigung sei.

Die Anforderungen an die Darlegungslast dürfen dabei nicht überspannt werden, entschied der BGH. Eine Partei genügt nämlich nach ständiger Rechtsprechung des BGH ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als bestehend erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH v. 19.11. 2014 – IV ZR 317/13; BGH v. 18.04.2012 – IV ZR 147/10).

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Der Versicherte hatte ausreichend zu seinen Tätigkeiten vorgetragen!

Vorliegend war jedenfalls der Vortrag des Klägers, wonach der Umfang seiner Bürotätigkeit und der Termine bei Zahnärzten von seiner handwerklichen Produktion abhänge und deren Reduzierung sich entsprechend auf den Umfang der vor- und nachbereitenden Tätigkeiten auswirke, sei als Tatsachenbehauptung geeignet, die Rechtsfolge einer insgesamt 50%igen Berufsunfähigkeit des Klägers zu begründen.

Fazit und Praxishinweis für Vermittler und Versicherte

Die nachvollziehbare Entscheidung des BGH ist äußerst begrüßenswert und überzeugt vollumfänglich. Denn erfahrungsgemäß setzen Versicherungen sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich die Vortragslast des Versicherungsnehmers sehr hoch an und fordern stetig weitere Angaben von den Versicherten bezüglich der ausgeübten Tätigkeiten. Dem kann mit dieser Entscheidung jedoch nunmehr etwas Einhalt geboten werden.

Zwar ist der Versicherte zweifelsohne in der Beweislast für das Vorliegen der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Jedoch entschied dazu auch bereits das OLG Dresden, dass bei der Geltendmachung von Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung keine übersteigerten Anforderungen an die Darlegung des Berufsbildes in gesunden Tagen gestellt werden dürfen. Vielmehr genügt eine nachvollziehbare Beschreibung in Stichworten (siehe OLG Dresden v. 09.10.2018 – 4 U 448/18). Übt der Versicherte beispielsweise mehrere Tätigkeiten aus, so müssen diese stets im Einzelfall bewertet werden (siehe BGH v. 16.01.2019 – IV ZR 182/17).

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Auch an dieser Entscheidung ist zu erkennen, dass es sinnvoll ist frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden.

Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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