Das Landgericht Darmstadt (LG Darmstadt) hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob der Versicherungsschutz im Rahmen einer Betriebsschließungsversicherung auch das neuartige Coronavirus umfasst und damit dem Versicherungsnehmer der geltend gemachte Leistungsanspruch gegen die Versicherung zusteht oder die tabellarische Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen abschließend ist und damit die Leistungen abzulehnen sind (LG Darmstadt, Urt. 09.12.2020 – 4 O 220/20). In diesem „Corona-Streitfall“ klagte eine Hotelbetreiberin auf Leistungen aus dem Versicherungsvertrag.
Die Klägerin ist Hotelbetreiberin. Für das Hotel, welches sich jedenfalls auch ausdrücklich an Geschäftsreisende wendet, unterhält sie bei der beklagten Versicherung eine Betriebsschließungsversicherung, der insbesondere die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) AVB-BS, die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Versicherungen von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) BBR-BS sowie das Produktinformationsblatt Betriebsschließungsversicherung zugrunde liegen.
Am 17.03.2020 erließ die Landesregierung von Baden-Württemberg eine „Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO)“. Die Hotelbetreiberin hat sodann ihren Betrieb schließen müssen und machte Leistungsansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung bei der Beklagten geltend. Da Versicherung jedoch eine außergerichtliche abgelehnt hatte, machte die Hotelbetreiberin nun klagweise Ansprüche vor dem LG Darmstadt geltend. Wie erwartet, wehrte sich der Versicherer auch gegen die gerichtlich geltend gemachten Ansprüche der Versicherungsnehmerin und beantragte Klageabweisung.
Das LG Darmstadt hat der Klage der Hotelbetreiberin stattgegeben. Der Feststellungsantrag sei begründet. Der Hotelbetreiberin stehen gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigungsleistung wegen Betriebsschließung gemäß § 1 Satz 1 VVG i. V. m. §§ 1 Nr. 1 a), 2 Nr. 3 a) AVB-BS 2016 zu.
Es liege ein Versicherungsfall im Sinne von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS vor, also eine Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) wegen des Auftretens einer meldepflichtigen Krankheit oder eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2, dessen Ausbreitung der Anlass der streitgegenständlichen Rechtsverordnung ist, sei bereits zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Betriebsschließungsanordnung im März 2020 ein meldepflichtiger Krankheitserreger im Sinne von § 1 Nr. 2 AVB-BS gewesen.
„Das rechtliche Instrumentarium der Umsetzung der Betriebsschließung kann nicht über das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungsschutz entscheiden. Ob die Betriebsschließung durch eine Einzelmaßnahme für den konkreten Betrieb oder aber durch eine Allgemeinverfügung erfolgt, ist belanglos. Auch Versicherungsbedingungen sind nach Sinn und Zweck der Regelung auszulegen.“
„1 Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt.“
„2 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger (…)“
Zunächst sei ausgehend vom Wortlaut festzustellen, dass das neuartige Coronavirus in § 1 Nr. 2 AVB-BS nicht genannt wird. Eine Auslegung von § 1 Nr.2 AVB-BS ergebe aber, dass von dieser Bestimmung auch im März 2020 das neuartige Coronavirus erfasst war, so das Gericht. Denn die AVB-BS seien so auszulegen, dass sie allgemein auf nach §§ 6, 7 IfSG meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger verweisen und der Versicherungsschutz nicht auf die in den AVB namentlich aufgelistet Krankheiten und Krankheitserreger beschränkt sein.
Das LG Darmstadt führte weiter aus, dass allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sein, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei komme es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Auf dem ersten Blick spreche für eine Beschränkung auf die in den AVB aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger zwar, dass es sich um eine enumerative Aufzählung handelt mit dem Wortlaut, dass die „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger meldepflichtige im Sinne der AVB-BS sein. Ein solches Auslegungsergebnis werde jedoch nach Auffassung des Gerichts durch die gleichzeitige Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG grundlegend infrage gestellt, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer dadurch den Eindruck gewinnen könne, dass der Versicherungsschutz sich auf die nach diesen Vorschriften meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erstrecken soll.
Festgestellt hat das LG Darmstadt, dass beide Auslegungsmöglichkeiten im Streitfall jedenfalls gleichwertig möglich zu scheinen seien, so dass gemäß § 305c Abs. 2 BGB die dem Versicherungsnehmer günstigere Auslegung maßgeblich sei, so dass Versicherungsschutz umfassend für nach den §§ 6, 7 IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern bestehe. Darüber hinaus liege auch ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor. Wegen dieses Verstoßes sei eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die in den AVB namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserregern gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Daraus folge, dass eine Haftung für alle nach den §§ 6 und 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht. Letztlich sei auch das neuartige Coronavirus bereits ab dem 01.02.2020 meldepflichtig gemäß § 7 IfSG.
Das Gericht stellte ferner fest, dass die nach § 1 Nr. 1 a) AVB-BS erforderliche Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG ebenfalls vorliege. Die Rechtswirksamkeit oder Rechtmäßigkeit in Form einer Verordnung der Landesregierung sei im Zivilverfahren nicht inzident zu prüfen. Aus dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen seien Einschränkungen auf rechtmäßiges oder rechtswirksames Behördenhandeln nicht ersichtlich. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe die Klausel so, dass Versicherungsschutz dann bestehen soll, wenn die Behörde aufgrund des IfSG einschreitet und seinen Betrieb schließt, so das Gericht. Dafür, dass der Versicherungsnehmer das Risiko der rechtlichen Beurteilung des Behördenhandeln tragen sollte, sei nichts ersichtlich.
Das LG Darmstadt vertritt ferner die Auffassung, dass eine bedingungsgemäße Betriebsschließung es auch nicht erfordere, dass die Behörde aufgrund einer betriebsinternen Gefahr die Schließung anordnet. Im Streitfall sei eine solche Einschränkung im Wortlaut der AVB nämlich nicht ersichtlich. Die Beklagte stelle – mit fehlerhaftem Zitat – für ihre Auslegung auf den zweiten Halbsatz von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS ab, der ein Tätigkeitsverbot gegen alle Mitarbeiter eines Betriebs oder einer Betriebsstätte der Schließung gleichstellt. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, wie sich daraus eine Beschränkung auf betriebsinterne Gefahren für die Betriebsschließung selbst ergeben solle, so das Gericht.
Auch könne hier nach Ansicht des LG die Frage, ob nach den streitgegenständlichen AVB nur vollständige oder auch Teilbetriebsschließungen bedingungsgemäß seien, dahinstehen. Die Betriebsschließungsanordnung betreffe gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 15 der CoronaVO der baden-württembergischen Landesregierung vom 17.03.2020 in der Fassung vom 20.03.2020 grundsätzlich alle Beherbergungsbetriebe umfassend. Eine Ausnahme hiervon liege im Streitfall nicht vor, so das LG Darmstadt.
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Das LG Darmstadt hat damit wie insbesondere das LG München I einer Klage gegen eine Versicherung wegen einer coronabedingten Betriebsschließung stattgegeben. Die Hotelbetreiberin erstritt eine Entschädigung in Höhe von 540.000,00 € aufgrund der coronabedingten Betriebsschließung. Damit reiht sich diese Entscheidung in die für Versicherte positiven Entscheidungen der Gerichte ein.
Viele Betreiber von Hotel- und Gaststättenbetrieben befinden sich aktuell in Klageverfahren gegen Versicherungen, bei welchen der Betrieb entsprechend gegen eine Betriebsschließung versichert wurde. So auch in einem weiteren Rechtsstreit vor dem LG München I, in welchem eine Münchener Gastwirtin gegen ihre Betriebsschließungsversicherung geklagt und gewonnen hat (LG München I v. 22.10.2020 – 12 O 5868/20). Auch ein Hotelbetreiber kam vor dem LG Flensburg zu seinem Recht und die Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG wurde entsprechend verurteilt (LG Flensburg, Urt. 19.02.2021 – 4 O 241/20).
Es sind noch viele weitere Entscheidungen zu den Betriebsschließungsfällen zu erwarten. Es wird stets auf das jeweilige erkennende Gericht ankommen, wie die wiederum jeweiligen und unterschiedlichen streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen auszulegen sind. Aus diesem Grunde sollten Versicherte natürlich weiterhin ihre Ansprüche verfolgen. Hierfür steht die Kanzlei Jöhnke & Reichow mit ihren Fachanwälten gern zur Verfügung. Die Kanzlei Jöhnke & Reichow vertritt viele Versicherte in Fällen von Leistungsablehnungen aufgrund einer Betriebsschließung. Weitere Informationen zur Betriebsschließungsversicherung sind hier zu finden. Gern können Vermittler und Versicherte den kostenlosen Erstberatungsservice der Kanzlei Jöhnke & Reichow nutzen.
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Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Betriebsunterbrechungsversicherung“ zusammengefasst.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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