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Beweis der Invalidität in der Unfallversicherung (OLG Stuttgart)

Das OLG Stuttgart hatte sich mit Urteil vom 14.01.2010 (Az.: 7 U 120/09)  mit der Frage befasst, wann der Beweis der Invalidität bei einer Unfallversicherung erfüllt ist.

Beweis der Invalidität mithilfe von ärztlichen Gutachten

Zwischen der Versicherungsnehmerin und dem Versicherer besteht eine Unfallversicherung, dem die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen zugrunde liegen. Außerdem sind die Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfallrente mit Rentengarantie bei einem Invaliditätsgrad ab 50 Prozent und die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit Zuwachs von Leistung und Beitrag vereinbart worden.

Am 05.06.2004 rutschte die Versicherungsnehmerin aus und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf.  Infolgedessen war sie vom 06.06.2004 bis zum 26.06.2004 in stationärer Behandlung. Am 22.06.2005 meldete sie den Unfall beim Versicherer. Darin gab sie eine schwere Gehirnerschütterung und Blutgerinnsel im Kopf an und machte unfallbedingt den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns geltend. In einem neurologischen Gutachten vom 20.06.2005 wurde festgestellt, dass der Unfall Dauerfolgen hinterlassen werde; gemäß eines HNO-ärztlichen Gutachtens seien der Geruchs- und Geschmackssinn verloren.

Der Versicherer ist jedoch der Auffassung, dass bei der Versicherten aufgrund des Unfalls keine Invalidität von mehr als 50% eingetreten ist und hat seine Leistungspflicht abgelehnt. Daraufhin klagte die Versicherungsnehmerin auf Zahlung einer Unfallrente. Erstinstanzlich hat das zuständige Landgericht die Klage nach Einholung eines neurologischen Gutachtens abgewiesen, da die Versicherungsnehmerin nicht nachweisen konnte, dass bei ihr aufgrund des Unfalls eine Invalidität von mehr als 50 Prozent eingetreten ist. Mit ihrer Berufung verfolgt die Versicherungsnehmerin ihre Forderung weiter.

Versicherungsnehmerin hat erforderlichen Beweis nicht erbracht

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Versicherungsnehmerin steht entgegen ihrer Auffassung kein Anspruch auf Zahlung einer Unfall-Rente zu, denn bei ihr liege aufgrund des Unfalls kein Invaliditätsgrad von mindestens 50 Prozent vor.

Voraussetzungen einer Invaliditätsleistung

Zunächst führte das OLG Stuttgart aus, dass der Versicherten gemäß des geschlossenen Versicherungsvertrages unter Einbeziehung der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen und den Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfallrente eine Unfallrente nur dann zusteht, wenn sie aufgrund eines Unfallereignisses unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten hat, die zu einer innerhalb eines Jahres eingetretenen und innerhalb von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellten und gegenüber der Beklagten geltend gemachten Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) geführt hat und der Grad der Invalidität mindestens 50 Prozent beträgt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe die Versicherungsnehmerin zu beweisen. Nach Ansicht des Gerichts sei ihr dies jedoch nicht hinsichtlich aller Voraussetzungen gelungen.

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Beweis des bedingungsgemäßen Unfalls

Erste Voraussetzung sei demnach, dass ein Unfall vorliegt, also dass die Versicherte durch ein plötzliches von außen auf den Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Vorliegend sei die Versicherungsnehmerin unstreitig am 05.06.2004 ausgerutscht und mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Nach den überzeugenden Ausführungen eines Sachverständigen habe sie durch den Sturz auf den Hinterkopf ein Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen erlitten sowie eine sog. Contre-coup-Hirnkontusion, also eine Hirnschädigung auf der Gegenseite. Außerdem habe sie eine Geruchssinnstörung und eine Geschmackssinnstörung erlitten. Damit sei ihr der Beweis dieser Voraussetzung gelungen.

Beweis der fristgerechten ärztlichen Feststellung der Invalidität

Des Weiteren sei formale Voraussetzung einer Invaliditätsleistung, dass aufgrund der unfallbedingten Gesundheitsschädigung eine Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und bei der Versicherung geltend gemacht wird. Das OLG Stuttgart stellt klar, dass ein Anspruch der Versicherten gerade nicht entsteht, wenn die Invalidität nicht fristgerecht durch einen Arzt festgestellt wird. Dabei müsse die ärztliche Feststellung einen Dauerschaden, der für die Invalidität verantwortlich gemacht wird, zumindest enthalten.

Die Versicherungsnehmerin habe den Unfall am 18.06.2004 telefonisch und am 22.06.2005 schriftlich gemeldet. In der schriftlichen Unfallanzeige habe sie angegeben, dass sie sich aufgrund des Unfalls eine schwere Gehirnerschütterung sowie ein Blutgerinnsel im Kopf zugezogen und außerdem den Geruchsinn und Geschmacksinn verloren habe. Vor diesem Hintergrund sei am 20.06.2005 ein neurologisches Gutachten erstellt worden, welches festgestellt habe, dass der Unfall Dauerfolgen hinterlassen würde und ein Geruchs- und Geschmacksinnverlust vorliege. Ein vom Versicherer in Auftrag gegebenes Gutachten habe zusätzlich eine Invalidität wegen der frontalen Hirnschädigung festgestellt. Somit habe die Versicherungsnehmerin auch diesen erforderlichen Beweis erbracht.

Beweis des Umfangs der Invalidität

Schließlich müsse die Versicherungsnehmerin jedoch den Beweis der Invalidität erbringen. Sie schulde also den Beweis dafür, dass die durch den Unfall verursachten Gesundheitsschäden bei ihr zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit geführt haben (siehe auch Nachweis der unfallbedingten Invalidität (OLG Dresden)). Das erstinstanzliche Landgericht habe zutreffend angenommen, dass bei der Versicherten aufgrund des Unfalls eine Invalidität von mindestens 50 Prozent nicht nachweisbar vorliegt.

Zunächst stellte das OLG Stuttgart fest, dass der Geruchssinn aufgrund der unfallbedingten Gesundheitsschädigung völlig aufgehoben ist. Insoweit liege nach der Gliedertaxe eine Invalidität von 10% vor. Hinsichtlich des Geschmackssinns habe der Sachverständige allerdings nachvollziehbar ausgeführt, dass aufgrund des Unfalls ein vollständiger Verlust des Geschmackssinns nicht erklärbar ist. Angesichts der komplexen Geschmacksbahn seien Geschmacksstörungen traumatischer Ursache nur dann zu erwarten, wenn ausgedehnte Mittelgesichtsfrakturen, Schäden des Hirnstamms oder Schäden des Thalamus vorliegen. Solche Verletzungen seien bei der Versicherungsnehmerin durch den Unfall jedoch nicht eingetreten.

Aggravation der Beschwerden der Versicherungsnehmerin

Der Sachverständige habe weiterhin bekräftigt, dass die Versicherungsnehmerin eine Hirnschädigung erlitten hat. Er sei nach Würdigung der vorliegenden Computer- und Kernspintomographien sowie der Ergebnisse der eigenen Untersuchung mit Durchführung diverser Test zu dieser Erkenntnis gelangt. Die daraus folgende, nicht nach der Gliedertaxe zu bemessende Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit habe er jedoch nur mit 20% bis 30% bemessen.

Insbesondere habe der Sachverständige dabei berücksichtigt, dass eine ausgeprägte Aggravation der Beschwerden der Versicherungsnehmerin zu erkennen war. Als Aggravation werde das bewusst übertriebene Betonen von vorhandenen Krankheitssymptomen aufgrund von Selbstbeobachtung gezeichnet. Beim aggravierenden Patienten bestehe im Unterschied zum Simulanten ein echtes Symptom, dessen Schwere jedoch nicht dem objektiven Krankheitsbefund entspricht (siehe dazu: Aggravation und Berufsunfähigkeit). Zu diesem Schluss sei der Sachverständige nachvollziehbar aufgrund der Ergebnisse seiner Untersuchung und den dabei durchgeführten Simulationstests gekommen. Aufgrund der Aggravationstendenzen der Versicherungsnehmerin sei nach Auffassung des Gerichts ohne weiteres nachvollziehbar, dass eine objektive Einschätzung der körperlich oder geistig bedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit wegen der tatsächlich vorliegenden Hirnschädigung sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist.

Deswegen habe sich der Sachverständige zulässigerweise damit beholfen, seiner Bewertung neben seinen eigenen Feststellungen und Ergebnissen, die in den Vorgutachten plausibel beschriebenen Beschwerdebilder zugrunde zu legen. Nach Ansicht des OLG Stuttgart sei dies nicht zu beanstanden und mache das Gutachten nicht ungenügend. Ein höherer als der vom Sachverständigen als zutreffend angesehene Invaliditätsgrad sei somit aber nicht bewiesen. Nachdem die Versicherungsnehmerin auch die Beweislast für den Umfang der Invalidität trage, gehen verbleibende Zweifel zu ihren Lasten. Der für die Zahlung einer Unfallrente erforderliche Mindestinvaliditätsgrad sei nicht erreicht worden.

Fazit

Der Versicherungsnehmer hat den Beweis für das Vorliegen aller Voraussetzungen seines Leistungsanspruches zu erbringen. Dies kann, wie die Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt, durchaus mit gewissen Hürden verbunden sein. Daher sollte sehr genau geprüft werden, ob die vorliegenden Arztunterlagen ausreichen, um den Beweis der Invalidität zu erbringen. Erbringt der Versicherer nach einem Unfall keine oder nur eine geringe Invaliditätsleistung, so kann es daher durchaus sinnvoll sein, die Leistungsentscheidung des Versicherers durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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Rechtsanwalt erklärt, wie der Beweis der Invalidität in der Unfallversicherung gelingen kann

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