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Nachweis der Berufsunfähigkeit trotz Aggravation (OLG Frankfurt)

Das OLG Frankfurt entschied mit Urteil vom 21.11.2017( Az. 14 U 13/17), dass der Grad der Beeinträchtigung bei vorliegender Aggravation des Versicherungsnehmers anhand objektiver Kriterien bestimmt werden muss.

Ablehnung der Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente

Der Versicherungsnehmer unterhielt zwei Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen zu einer Lebensversicherung und einer Altersrentenversicherung. Bei beiden Versicherungen bestehen Leistungsansprüche ab einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50%.

Der Versicherungsnehmer ist Wirtschaftswissenschaftler und war seit 1994 Gesellschafter und Geschäftsführer eines Raumausstattungsunternehmens. Mit Schreiben vom 18.11.2011 stellte er beim Versicherer einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit (siehe hierzu auch Berufsunfähigkeit beantragen). Auf die im Formular mehrfach vorgesehene Frage, seit wann er seine berufliche Tätigkeit nicht mehr ausführen könne, gab der Versicherte jeweils „Eingeschränkt seit Ende 2008, gar nicht mehr seit 2/11“ an.

Nach Einholung eines nervenärztlich-psychiatrischen Gutachtens vom 28.8.2012 und eines testpsychologischen Zusatzgutachtens erklärte der Versicherer am 6.9.2012 die Leistungsablehnung. Daraufhin klagte der Versicherungsnehmer auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrenten. Das Landgericht Fulda hat der Klage stattgegeben. Hiergegen legte der Versicherer Berufung ein.

Berufsunfähigkeit liegt vor

Die Berufung des Versicherers hatte keinen Erfolg. Die Klage des Versicherungsnehmers ist in vollem Umfang begründet. Ihm stehe ab 2011 ein Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente zu, denn er ist seitdem bedingungsgemäß berufsunfähig.

Nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen liege Berufungsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte in Folge Krankheit voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, seinen Beruf auszuüben. Als Krankheit komme jeder körperliche oder geistige Zustand in Betracht, der vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweicht, dass er geeignet ist, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft auszuschließen oder zu beeinträchtigen, was auch bei psychischen Reaktionen zutreffen kann. Die Krankheit müsse jedoch objektiv vorliegen.

Berücksichtigung der Aggravationstendenzen

Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Aufgrund eines Gutachtens stehe zur Überzeugung des OLG Frankfurt fest, dass beim Versicherungsnehmer bereits zwischen Ende 2010 und Anfang 2011 eine rezidivierende depressive Störung, eine mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom sowie eine mittelgradige Panikstörung vorlag.

Der Sachverständige habe diese Krankheiten auf Grund einer intensiven Exploration des Versicherungsnehmers unter Berücksichtigung der Befunde vorbehandelnder Ärzte und Einrichtungen und unter Anwendung klinischer Testverfahren diagnostiziert. Zwar erfülle der Versicherungsnehmer – rein kriterienbezogen – die Merkmale einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome. Nach Ansicht des OLG Frankfurt müsse aufgrund der Aggravationstendenzen des Versicherten davon ausgegangen werden, dass dieser die Beschwerdeschilderung gravierender darstelle, als sie tatsächlich ist. Aus objektiver Sicht und anhand der Fremdbefunde lasse sich jedoch eine tatsächliche Störung in Form einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer mittelgradigen Panikstörung diagnostizieren.

Das OLG Frankfurt führte hierzu aus, dass der ärztliche Nachweis bei einer Krankheit, die gerade durch das Fehlen naturwissenschaftlich gewonnener Untersuchungsbefunde charakterisiert wird, auch dadurch geführt werden kann, dass ein Arzt seine Diagnose auf die Beschwerdeschilderung des Patienten stützt. Es genüge zwar nicht, auf ärztliche Zeugnisse Bezug zu nehmen, die lediglich Angaben des Versicherungsnehmers wiedergeben. Vielmehr müssen alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft werden. Wenn aber im Rahmen eines psychiatrischen Gutachtens mit dem in der Psychiatrie höchstmöglichen Grad von Gewissheit das Vorliegen einer Erkrankung bejaht wird, müsse der erforderliche Vollbeweis als geführt angesehen werden, denn anderenfalls könne der Nachweis im Streitfall gar nicht geführt werden (siehe auch: Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen bei Berufsunfähigkeit (OLG Hamm)).

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Nur eingeschränkte Bezugnahme auf Beschwerdeschilderung wegen Aggravation

Der Sachverständige habe jedoch dargelegt, dass er mit Rücksicht auf die Aggravationstendenz des Versicherten in diagnostischer Hinsicht nur in eingeschränkter Form auf die Beschwerdeschilderung Bezug nehmen könne und sich hauptsächlich auf objektive Rahmendaten wie Fremdbefunde und den objektiven klinischen Eindruck stützen müsse. Der von ihm dargelegte psychopathologische Befund und die hierauf basierende Diagnostik ergebe sich insbesondere auf Grund objektiver Kriterien, wobei die der Diagnose zugrunde gelegten Symptome nicht auf Angaben des Versicherungsnehmers, sondern auf eigenen Feststellungen und im eingeschränkten Umfang auf Fremdbefunden beruhen. Das OLG Frankfurt ist daher der Überzeugung, dass der Sachverständige, wenn er in seinem Gutachten überhaupt auf Fremdbefunde zurückgegriffen hat, die dort wiedergegebenen Beschwerdeschilderungen des Versicherten nicht als feststehend zugrunde gelegt hat, sondern dieser einer kritischen Würdigung unterzogen hat.

Weiter führte das Gericht aus, dass der Beweis des Versicherungsfalls zwar scheitern kann, wenn der Grad der krankheitsbedingten Beeinträchtigung durch den Sachverständigen in der bedingungsgemäßen Höhe aufgrund von Aggravation nicht sicher ermittelt werden kann. Insoweit habe der Sachverständige jedoch für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass auch, wenn mangels hinreichender Validität der Symptomvalidierungstests nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden könne, dass der Versicherte tatsächlich aggraviert hat, sich nach der psychiatrischen Übereinkunft aus den Testwerten jedoch deutliche Hinweise hierauf ergeben. Dem Sachverständigen sei es mithin gelungen, den Grad der Beeinträchtigung trotz Aggravation des Versicherungsnehmers korrekt festzustellen. Aus diesem Grund sei der Ansicht des Versicherers, der Versicherungsnehmer habe bereits aufgrund der festgestellten Aggravationstendenzen den Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht führen können, nicht zu folgen.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer in Folge der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen ab 2011 zu mindestens 50% außer Stande gewesen ist, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Inhaber und Geschäftsführer des von ihm geführten Unternehmens auszuüben. Aus dem Sachverständigengutachten folge nämlich, dass auch unter Berücksichtigung von Aggravationstendenzen aufgrund des psychopathologischen Zustandes des Versicherungsnehmers eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Frankfurt zeigt, dass trotz Aggravation der Nachweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gelingen kann. Daher kann es nach einer Leistungsablehnung des Versicherers durchaus sinnvoll sein, einem im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt erklärt, wie der Nachweis der Berufsunfähigkeit trotz Aggravation gelingen kann

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