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Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen bei Berufsunfähigkeit (OLG Hamm)

Das OLG Hamm hatte sich mit Urteil vom 21.06.1996 (Az.: 20 U 351/94) mit dem Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen für den Eintritt der Berufsunfähigkeit zu befassen gehabt.

Streit um das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit

Der Versicherungsnehmer war vom Beruf Schreiner und gründete zusammen mit einem Architekten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die das Betreiben eines Schreinereibetriebes und das Ausführen von Architektenleistungen umfasste.

Am 04.06.1993 schrieb der Hausarzt des Versicherungsnehmers ihn wegen Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand mit Wirkung vom 11.11.1991 „bis zur Aussteuerung“ krank. Mit der Begründung, dass er jetzt sechs Monate krankgeschrieben sei, verlangte der Versicherungsnehmer daraufhin am 27.05.1992 die Zahlung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente. Der Versicherer lehnte dies mit Schreiben vom 04.09.1992 jedoch mit der Begründung ab, er könne ja Berater in einem Heimwerker- oder Möbelfachgeschäft werden. Nach der Einholung eines Gutachtens lehnte der Versicherer die Erbringung von Leistungen endgültig ab.

Mit seiner Klage verlangt der Versicherungsnehmer die Zahlung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente ab 01.06.1992. Erstinstanzlich holte das zuständige Landgericht ein Gutachten ein, welches zu dem Ergebnis kam, dass beim Versicherungsnehmer eine Arthralgie im Handgelenk bei carpaler Instabilität und lockerem Unterarmdrehgelenk, mit federnder Elle, bestehe, was eine auch nur teilweise Arbeitsunfähigkeit aber nicht begründe. Aus diesem Grund wies das Landgericht die Klage ab.

Mit seiner Berufung verfolgt der Versicherungsnehmer nun seine erstinstanzlich geltend gemachten Forderung weiter. Er machte hierbei insbesondere geltend, dass in der Berufsunfähigkeitsversicherung auch subjektive Beschwerden abgesichert seien, selbst wenn diese nicht objektiv verifizierbar seien. Deshalb sei es unerheblich, dass die orthopädischen Gutachter nichts finden können. Zudem habe er nun auch Probleme im rechten Handgelenk. Er könne überhaupt nicht mehr arbeiten, wie sein Hausarzt zutreffend bescheinigt habe. Er habe ganztägig in der Werkstatt gearbeitet und sei mit seinen Mitarbeitern ein Team gewesen, wobei die Arbeit auch nur im Team habe erledigt werden können. Eine Umorganisation sei ferner nicht möglich, insbesondere sei es sowohl aus rechtlichen Gründen als auch aus Gründen des Arbeitsablaufes nicht denkbar, die Mitarbeiter etwa alle schweren Arbeiten verrichten zu lassen. Er könne schließlich auch keine weiteren Mitarbeiter einstellen.

OLG Hamm bejaht Berufsunfähigkeit

Die Berufung des Versicherungsnehmers war begründet. Der Versicherte sei seit dem 01.06.1992 in bedingungsgemäßen Umfang außer Stande, seinen früheren Beruf auszuüben, so das OLG Hamm. In orthopädischer Hinsicht ergeben sich zwar Probleme in beiden Handgelenken, die aber nach der übereinstimmenden Auffassung aller (orthopädischen) Gutachter nicht zur bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führen. Gleichwohl sei der Versicherungsnehmer in seinem Beruf berufsunfähig. Denn nach Auffassung des Gerichts liege eine psychiatrische Erkrankung nach höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit vor. Der Nachweis der Berufsunfähigkeit sei damit erbracht worden.

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Berufsunfähigkeit aufgrund psychiatrischer Erkrankungen

Der Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen ergebe sich aus dem Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen, wonach beim Versicherten eine Fixierung auf die mit der Handarbeit verbundenen Schmerzen vorliege, auf die er depressiv reagiere und die er subjektiv als schwere quälende und andauernde Schmerzen empfinde. Dies wiederum führe dazu, dass dem Versicherungsnehmer körperliche Arbeit nicht möglich ist. Es liege auch keine (bewusstseinsnahe) Aggravation vor. Vielmehr handele es sich in diagnostischer Hinsicht um somatoforme Beschwerden im Sinne der Begriffsbestimmungen der WHO. Bei diesen Erwägungen habe der Versicherer lediglich beanstandet, dass es zweifelhaft sei, dass die Feststellungen des Sachverständigen nach seinen eigenen Angaben im Wahrscheinlichkeitsbereich von 80-90% liegen.

Abweichender Maßstab in der Psychiatrie

Zudem führte das OLG Hamm aus, dass der Versicherer zwar zutreffend darauf hinweise, dass Feststellungen einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit erfordern, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Zutreffend sei jedoch ebenso, dass der Sachverständige ausgeführt hat, in der Psychiatrie gebe es keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Vielmehr sei im naturwissenschaftlichen Sinn von einer Trefferquote von 80-90% auszugehen. Ein größeres Maß an Sicherheit sei in der Psychiatrie nämlich nicht erreichbar. Somit gründe das Ergebnis des Sachverständigen auf das höchstmögliche dort erreichbare Maß.

Wahrscheinlichkeit von 80-90% genügt als Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen

Der Sachverständige habe darüber hinaus zutreffend auf die erhebliche und lange Leidensgeschichte des Versicherungsnehmers hingewiesen, die geradezu typisch für derartige Beschwerdebilder sei. Die somatoformen Beschwerden seien insbesondere als Krankheit anerkannt. Wenn die Beschwerden des Versicherungsnehmers mit dem in der Psychiatrie höchstmöglichen Maß an Gewissheit als somatoformes Beschwerdebild eingestuft werden können, genüge dies auch für den erforderlichen Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen, so das OLG.

Infolgedessen bejaht das Gericht die Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers ab 01.06.1992. Da der Versicherer den Versicherten auch nicht mit Erfolg auf Verweisungsberufe verweisen könne, sei der Versicherer zur Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente verpflichtet.

Fazit

Der Versicherungsnehmer ist im Falle der Berufsunfähigkeit zum Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen verpflichtet, wenn er die Berufsunfähigkeit auf solche Erkrankungen stützen will. Grundsätzlich erfordern die Feststellungen dafür einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Allerdings ist beim Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen zu beachten, dass es gerade keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gibt, sondern eine geringere Wahrscheinlichkeit ausreichend sein kann.

Ob die medizinischen Unterlagen ausreichen, um den Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen zu erbringen und damit auch die Berufsunfähigkeit zu belegen, ist allerdings stets im konkreten Einzelfall zu bewerten. Daher kann es nach einer Leistungsablehnung des Versicherers durchaus sinnvoll sein, einem im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt erklärt, wie der Nachweis von psychiatrischen Erkrankungen bei Berufsunfähigkeit erbracht wird

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