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Konkrete Verweisung eines Vorarbeiters bei Berufsunfähigkeit (OLG Saarbrücken)

Meistens finden sich in Verträgen zur Berufsunfähigkeitsversicherung eine Klausel zur konkreten Verweisung. Nimmt ein Versicherungsnehmer wieder eine Tätigkeit auf, werden diese Verweisungsklauseln sehr wichtig. Doch welche Anforderungen müssen für die konkrete Verweisung eines Vorarbeiters erfüllt sein, damit dieser als berufsunfähig gilt? Diese Frage war Gegenstand des Urteils des OLG Saarbrücken (OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.04.2023 – 5 U 43/22).

Berufsunfähigkeit und konkrete Verweisung

Der Versicherte ist seit November 2016 Bezugsberechtigter aus einem Kollektivversicherungsvertrag. Dieser wurde von dessen Arbeitgeber bei der Beklagten Versicherung unterhalten. Er umfasste unter anderem einen Berufsunfähigkeitstarif. Dem Versicherungsvertrag liegen besondere Versicherungsbedingungen zugrunde. Nach diesen liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte „infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate außerstande ist, ihren zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgestaltet war – auszuüben (§ 2 Nr. 1 Satz 1 BB-BU)“.

Weiterhin enthalten die Bedingungen eine konkrete Verweisungsklausel. Danach liegt eine Berufsunfähigkeit nicht oder nicht mehr vor, „wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit tatsächlich ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entspricht. Dies ist der Fall, wenn berufliches Bruttoeinkommen und soziale Wertschätzung der neuen Tätigkeit nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs sinken («konkrete Verweisung»; § 2 Nr. 1 Satz 6 und 7 BB-BU).“

Der Versicherte beantragte im November 2019 Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, und zwar seit August 2018. Seit diesem Zeitpunkt sei der Versicherte aufgrund orthopädischer, kardiologischer und psychischer Probleme nicht mehr in der Lage gewesen, als Vorarbeiter im Labor zu arbeiten und sei somit bedingungsgemäß berufsunfähig. Nach der Leistungsprüfung durch die Berufsunfähigkeitsversicherung verweigerte der Versicherer die Leistung. Da der Versicherte seit Mai 2019 einer anderen Tätigkeit bei seinem ehemaligen Arbeitgeber nachgehe, greife damit die konkrete Verweisungsklausel im Versicherungsvertrag, so dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht gegeben sei.

Nachdem das Landgericht der Klage des Versicherungsnehmers stattgegeben hatte, hatte sich das OLG Saarbrücken als Berufungsgericht mit der Angelegenheit zu beschäftigen.

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Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Vorarbeiters

Dem OLG Saarbrücken nach habe der Versicherte einen Anspruch auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Für das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit sei allein der in gesunden Tagen zuletzt ausgeübte Beruf des Vorarbeiters maßgeblich (siehe hierzu auch Wann liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor?). In dem vorliegenden Fall sei der Versicherte spätestens seit dem 08.11.2018 voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande gewesen, seinen Beruf als Vorarbeiter zu mehr als 50 Prozent auszuüben. Die Tätigkeit seit Mai 2019 sei zudem keine Tätigkeit, auf die sich der Versicherte verweisen lassen müsse.

Die beim Versicherten diagnostizierte Herzerkrankung habe zwei Stens-Operationen notwendig gemacht. Nach diesen sei eine Ausübung des Vorarbeiterberufes in dem vorherigen Ausmaß nicht mehr möglich gewesen. Doch nicht nur die Hinderung an der Ausübung des zuletzt an gesunden Tagen ausgeübten Berufes aufgrund von Krankheiten oder Kräfteverfall könne zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führen. Sie könne auch dann eintreten, wenn die Fortsetzung der Berufstätigkeit generell aufgrund von Gesundheitsbeeinträchtigungen unmöglich erscheine. Das sei dann der Fall, wenn die Gefahr einer weiteren Gesundheitsverschlechterung bei Fortsetzung einer Berufstätigkeit so groß sei, dass nur noch Raubbau an der Gesundheit betrieben werde.

Der kardiologische Sachverständige habe bestätigt, dass die Eigenarten des vorherigen Berufes des Versicherten eine weitere gesundheitliche Verschlechterung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorantreiben. Eine erneute Erkrankung oder die Verschlechterung des Status quo sei danach anzunehmen, sodass von einer bedingungsmäßen Berufsunfähigkeit auszugehen sei.

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Keine konkrete Verweisung auf eine andere Tätigkeit

Die Einstellung der Versicherungsleistungen nach Eintritt des Versicherungsfalles sei zu Unrecht erfolgt, so das Berufungsgericht. Dazu hätte die zunächst bestehende Berufsunfähigkeit des Versicherten im Nachgang wegfallen und eine Geltendmachung dieser Tatsache durch den Versicherer erfolgen müssen. Dafür müsse der Versicherer hinreichend substantiiert und für den Versicherten nachvollziehbar begründen, warum die ursprünglich anerkannte Leistungspflicht nun enden solle. Im Falle einer konkreten Verweisung müssten zwar keine Angaben zu der anderen Tätigkeit gemacht werden, wenn der Versicherte die Tätigkeit bereits konkret ausübe. Dennoch sei eine Begründung erforderlich, warum der Versicherer glaube, den Versicherten auf den anderen Beruf verweisen zu können. Dafür sei notwendig, dass wenigstens ansatzweise begründet werde, warum seines Erachtens nach eine vergleichbare Wertschätzung des bisherigen Berufes und dem Verweisungsberuf vorliege. Denn diese vergleichbare Wertschätzung könne nicht allein aus der Tatsache gewonnen werden, dass der Versicherte den anderen Beruf bereits ausübe.

Ebenfalls unterblieben sei der Nachweis des Versicherers, dass der neue Beruf der bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entspreche, obwohl dies offensichtlich nicht der Fall sei. Denn die soziale Wertschätzung liege im neuen Beruf nicht so hoch wie beim alten Beruf, der Führungsaufgaben beinhalte. Der Versicherer habe den Versicherten demnach nicht auf den neu ausgeübten Beruf verweisen können. Da der Versicherte in seinem an gesunden Tagen zuletzt ausgeübten Beruf bedingungsgemäß berufsunfähig gewesen sei, sei der Versicherer leistungspflichtig.

Fazit

Enthält der Versicherungsvertrag eine konkrete Verweisungsklausel leistet der Versicherer nicht, wenn der Versicherte bereits eine neue Tätigkeit ausübt, die eine vergleichbare Lebensstellung wahrt. Die Berufsunfähigkeit im alten Beruf kann sich indes auch daraus ergeben, dass die weitere Ausführung einer Berufstätigkeit an sich zu weiteren oder intensiveren Gesundheitsbeeinträchtigungen führen kann.

Der Versicherer muss dem Versicherten jedoch eine nachvollziehbare Begründung liefern, weshalb die ursprünglich anerkannte Leistungspflicht enden solle. Macht der Versicherer indes keinerlei Angaben darüber, weshalb er den Verweisungsberuf für vergleichbar erachtet, genügt das einer nachvollziehbaren Begründung der Leistungseinstellung nicht.

Verweigert ein Versicherer die Leistung oder stellt diese ein, empfiehlt es sich stets, einen versierten Fachanwalt für Versicherungsrecht zu konsultieren, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Weitere interessante Artikel zu dem Thema sind nachstehend zu finden: „Berufsunfähigkeit“ und Das Nachprüfungsverfahren der Berufsunfähigkeitsversicherung

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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