Spontane Anzeigeobliegenheit bei Ausfüllen des Antragsformulars?

Trifft den Versicherten eine spontane Anzeigeobliegenheit? Dies wird diskutiert, wenn der Versicherte Umstände verschweigt, nach denen in den Gesundheitsfragen des Versicherers nicht gefragt wurde? Ob es eine solche spontane Anzeigeobliegenheit überhaupt geben kann und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, ist Gegenstand dieses Beitrags.

Die Problematik der spontanen Anzeigeobliegenheit

Rechtsprechung und Literatur sind sich nicht ganz einig in der Frage, ob es für die Figur der spontanen Anzeigeobliegenheit im Versicherungsrecht überhaupt Raum gibt. Denn grundsätzlich ordnet § 19 VVG an, dass der Versicherte ausschließlich diejenigen Fragen des Versicherers wahrheitsgemäß beantworten muss, welche dieser in Textform gestellt hat. Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber die § 16 ff. VVG a.F. abschaffte, welche dem Versicherten eine Anzeigepflicht jedweder gefahrerheblichen Umstände aufbürdete.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ergebe sich aus der Offenbarungspflicht aus § 22 VVG i.V.m. §§ 123, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 242 BGB im „Anfechtungsrecht“. Einige Meinungen lehnen eine derartige Anzeigepflicht abseits des Anfechtungsrechtes ab. Jedoch wollen einige Meinungen eine spontane Anzeigeobliegenheit unter engen Voraussetzungen auch darüber hinaus anerkennen.

Danach bestehe grundsätzlich erstmal keine Pflicht des Versicherten dazu, Erklärungen an den Versicherer auch unaufgefordert abzugeben. Ausnahmsweise könne den Versicherten dennoch in besonders gelagerten und sparsam anzuwendenden Ausnahmefällen eine spontane Anzeigeobliegenheit gegenüber dem Versicherer treffen.

Vorliegen außergewöhnlicher Umstände

Da es sich bei der spontanen Anzeigeobliegenheit um eine Ausnahme der ausdrücklich angeordneten gesetzlichen Wertung handelt, müssen besondere Umstände vorliegen. Ein solcher liege nach dem LG Münster dann vor, wenn es sich um die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders grundlegender Informationen handelt, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsste (vgl. Spontane Anzeigepflicht in der Pflegetagegeldversicherung bei Down-Syndrom (LG Münster)). Sehe der Versicherte dabei den vom Versicherer gestellten Fragenkatalog berechtigterweise als abschließend an, könne dem Versicherten eine Verletzung dieser Obliegenheit jedoch nicht angelastet werden. Denn abgesehen von Umständen, die so fernliegend und für den Versicherer bei jeglicher Anstrengung nicht vorhersehbar seien, könne der Versicherte davon ausgehen, dass der Versicherer für ihn gefahrerhebliche Umstände erfrage.

In einem weiteren durch das LG Münster zu entscheidenden Fall (LG Münster verurteilt INTER Krankenversicherung AG zur Leistung aus Pflegetagegeldversicherung), ging es um die Leistungen aus einer Pflegetagegeldversicherung bei Nichtangabe eines pränatal diagnostizierten hypoplastischen Linksherzsyndroms. Doch selbst in diesem Verfahren wurden derart außergewöhnliche Umstände durch das Gericht nicht angenommen. Der Versicherer habe ausdrücklich die Möglichkeit einer Nachversicherung von neugeborenen Kindern ohne Risikozuschlag vorgesehen. Auch Geburtsschäden sowie angeborene Krankheiten seien vom Versicherungsschutz mit umfasst. Weder beim Vertragsabschluss noch beim Antrag auf Nachversicherung habe der Versicherer Fragen zum Gesundheitszustand des Kindes gestellt. Diese Umstände dürfe der durchschnittliche Versicherungsnehmer dahingehend werten, dass für den Versicherten ein etwaiges pränatal diagnostiziertes hypoplastisches Linksherzsyndrom nicht von Bedeutung sei und somit keinen außergewöhnlichen Umstand darstelle.

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Mitteilungspflicht bei bekannten Diagnosen

Auch wenn eine Diagnose bei Antragstellung bekannt sei, begründe dies nicht zwingend eine Mitteilungspflicht, so das OLG Hamm (Pflegetagegeldversicherung: OLG Hamm bestätigt Urteil gegen die INTER Krankenversicherung AG). Auch wenn vor Antragstellung eine Erkrankung diagnostiziert wurde, müsse diese nicht zwingend mitgeteilt werden, wenn der Versicherer diesbezüglich keine Gesundheitsfragen stellt. Denn der Versicherer trete dem Versicherten gegenüber normalerweise als geschäftserfahren gegenüber. Der Versicherte könne aufgrund dieser Geschäftserfahrenheit grundsätzlich davon ausgehen, dass der Versicherer weiß, welche Umstände er erfahren möchte und welche für diesen obsolet sind. Somit könne auch verlangt werden, dass nicht nur explizit nach Diagnosen gefragt werde, sondern auch nach Beschwerden oder Symptomen.

Stellt der Versicherer keine Fragen, geht dies nicht zu Lasten des Versicherten. Etwas anderes könne nur in evidenten und „krassen“ Fällen gelten, bei denen der durchschnittliche Versicherte einzig und allein den Schluss der Erheblichkeit für den Versicherer ziehen könne. Die durch die Krankenversicherung eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gegen die Entscheidung des OLG Hamm wurde zurückgewiesen (BGH weist Nichtzulassungsbeschwerde der INTER Krankenversicherung AG in Streit um Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung zurück). Der BGH sah sich demnach nicht veranlasst die Entscheidung des OLG Hamm abzuändern.

Fazit

Bejaht man die Anwendbarkeit der Figur der spontanen Anzeigeobliegenheit, so ist eine zurückhaltende Anwendung geboten. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und besonders grundlegender Informationen kann hiervon Gebrauch gemacht werden. Stellt der Versicherer keine entsprechenden Fragen im Versicherungsantrag, kann der durchschnittliche Versicherte davon ausgehen, dass der geschäftserfahrene Versicherer diese Umstände auch nicht für erheblich hält.

Nichtsdestotrotz muss immer im Einzelfall betrachtet werden, ob im konkreten Fall eine spontane Anzeigeobliegenheit besteht oder nicht. Bei Rechtsfragen und Problemen rund um die spontane Anzeigeobliegenheit empfiehlt es sich deshalb stets einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu kontaktieren. Ein weiterführender Beitrag zum Bereich der „spontanen Anzeigeobliegenheit“ ist nachstehend zu finden: „Die spontane Anzeigeobliegenheit – ein Mythos oder gelebte Pflicht?“

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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