Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob in dem Verschweigen von röntgenologisch untersuchte Rückenbeschwerden eine arglistige Täuschung der Versicherungsnehmerin gesehen werden kann (OLG Hamm, Urt. v. 20.02.2019 – 20 U 126/18).
Die klagende Versicherungsnehmerin, eine Krankenschwester, unterhält bei der beklagten Versicherung eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Der Versicherer erklärte vorliegend die Anfechtung, den Rücktritt und die Vertragsanpassung wegen Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen. Die Versicherungsnehmerin begehrte so dann gerichtlich die Feststellung des Fortbestandes des Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrags.
Die Versicherungsnehmerin erklärte, dass sie die im Versicherungsantrag nicht aufgenommenen Rückenbeschwerden dem Agenten des Versicherers in Gegenwart ihrer Mutter als „Hexenschuss“ aufgrund des Verhebens an Patienten bei ihrer Tätigkeit als Krankenschwester mitgeteilt habe. Der Agent meinte jedoch, dass es sich hierbei um eine unerhebliche, nicht anzeigepflichtige Erkrankung handele. Der Versicherungsnehmerin seien Röntgenbefunde und eine degenerative Wirbelsäulenerkrankung nicht bekannt gewesen. Die behandelnden Ärzte hätten ihr die genauen Diagnosen nicht mitgeteilt, daher habe die Versicherte auch die früheren Rückenbeschwerden nicht erwähnt.
Das Landgericht hatte die Klage der Versicherungsnehmerin abgewiesen. Gegen dieses Urteil wendete sich die Klägerin mit der Berufung zum OLG Hamm.
Das OLG Hamm hat jedoch entschieden, dass die Berufung der Klägerin keinen Erfolg habe. Das Landgericht habe die Klage nämlich zu Recht abgewiesen. Der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag sei aufgrund der wirksamen Anfechtung des Versicherers gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin gegenüber dem Agenten der Beklagten vorsätzlich und arglistig nicht angegeben habe, dass sie noch knapp ein Vierteljahr vor Antragstellung unter röntgenologisch untersuchten Rückenbeschwerden litt und daher auch mehrere Tage arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Auch ihre Rückenbeschwerden zwei Jahre vor Antragstellung habe sie nicht angegeben. Hätte die Versicherungsnehmerin dieses gegenüber dem Versicherer angegeben, hätte dieser den Vertrag nicht ohne Ausschlussklausel abgeschlossen.
Das Oberlandesgericht führte weiter aus, dass die Versicherte bei Antragstellung trotz bestehender Offenbarungspflicht objektiv falsche Angaben gegenüber der Beklagten gemacht habe. Der Senat stellte fest, dass der Agent der Beklagten insbesondere folgende Frage für die Klägerin verständlich vorgelesen habe und diese keine Angaben zu den Rückenbeschwerden machte:
„1. In den letzten 5 Jahren
Haben Behandlungen, Untersuchungen, Beratungen, ambulante Kuren, Beobachtungen oder Kontrollen durch Behandler stattgefunden? Bitte auch Behandlungszeitraum, Ausheilungszeitpunkt und jeweiligen Behandler mit Adresse angeben! Tipp: Folgende Symptomkomplexe werden oft vergessen: Allergien, Erkrankungen des Bewegungsapparats, Augenerkrankungen, Blutdruck- und Cholesterinerhöhung, erhöhte Urinwerte.“
Die Schilderung, dass der Agent der Versicherungsnehmerin erklärt haben solle, dass der Hexenschuss nicht angegeben zu werden brauche, sei unwahr. Der Versicherungsagent habe zudem glaubhaft bekundet, dass er sich zwar an Einzelheiten des Antragsgesprächs mit der Klägerin nicht erinnere, dass er aber sicher sagen könne, dass er die Gesundheitsfragen vollständig vorgelesen und auf keinen Fall erklärt habe, ein Hexenschuss oder derartige Rückenbeschwerden oder ein Verheben an den Patienten mit einer solchen Folge brauche nicht angegeben zu werden, so das Gericht.
Die Klägerin sei dem entgegengetreten, indem sie meinte, dass es auf jeden Fall so gewesen war, dass der Agent gesagt habe, der Hexenschuss brauche nicht angegeben zu werden. Der Senat war vorliegend jedoch davon überzeugt, dass es im Streitfall nicht so war. Dies ergebe sich nach Auffassung des Gerichts aus den folgenden Umständen:
Der Klägerin als Krankenschwester sei, wie sie auch eingeräumt habe, bekannt gewesen, dass Rückenbeschwerden eines der wichtigen Berufsunfähigkeitsrisiken einer Krankenschwester darstelle. Nach ihren eigenen Angaben am Schluss des Senatstermins habe sie sich schon vor dem Antragsgespräch Sorgen wegen des Hexenschusses gemacht und befürchtet, der Vertrag könne deshalb womöglich nicht zustande kommen. Nach Ansicht des Senats sei es bei dieser Sachlage mit der für das praktische Leben brauchbaren und hier erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen, dass ein Bericht der Klägerin über einen Hexenschuss gleichsam unterging und ohne Reaktion des Versicherungsagenten gegenüber der Klägerin blieb. Die Klägerin habe nicht etwa vorgetragen, dass sie davon ausgegangen wäre, dass der Agent des Versicherers den Hexenschuss vermerkt hätte.
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Ferner habe die Versicherungsnehmerin die objektiven Falschangaben vorsätzlich gemacht, so das OLG. Unstreitig habe sie zum Zeitpunkt der Antragstellung Kenntnis von den nicht angezeigten Umständen, hier die röntgenologisch untersuchten Rückenbeschwerden mit mehrtägiger Krankschreibung, gehabt. Die Versicherte habe sich deshalb nach eigenen Angaben Sorgen um das Zustandekommen des Vertrags gemacht. Streitig sein allein, ob sie auch das Ergebnis der röntgenologischen Untersuchung kannte, worauf es hier aber nicht ankomme.
Der Senat führte unter anderem aus, dass Vorsatz im Übrigen selbst dann gegeben wäre, wenn die Klägerin Frage 1 nicht richtig dahin verstanden haben sollte, dass nur gefragt sei, ob sie „krank“ gewesen/unter „Erkrankung“ gelitten habe. Denn als Krankenschwester haben sie gewusst, dass es sich bei dem ihr bekannten Hexenschuss-Ereignis und den Rückenbeschwerden um eine Erkrankung handelte, so das OLG Hamm. Aus diesem Grund stehe fest, dass sie die objektiven falschen Angaben auch wollte. Die Falschangaben der Klägerin waren auch tatsächlich kausal für den Vertragsschluss, die gestellte Frage mithin gefahrerheblich.
Das Gericht stellte ferner fest, dass die Klägerin auch arglistig handelte. Es sei davon überzeugt, dass die Versicherungsnehmerin erkannte und billigend in Kauf nahm, das es dem Versicherer auf die fehlenden Informationen ankam. Dies ergebe sich letztlich aus den Sorgen wegen des Hexenschusses und der Befürchtung der Klägerin, dass der Vertrag gar nicht zu Stande kommen könnte. Ihr war mithin die Bedeutung der Gesundheitsfragen bewusst. Die nachgewiesene objektiv falsche Beantwortung in Kenntnis der wahren Umstände sollte somit die Antragsannahme ermöglichen oder jedenfalls erleichtern.
Die Entscheidung des OLG Hamm kann im Ergebnis überzeugen. Sie zeigt deutlich, dass die wahrheitsgemäße Beantwortung der Gesundheitsfragen im Rahmen einer Antragstellung und damit die Offenbarungspflicht ein wesentlicher Schwerpunkt des Prüfungsverfahrens bei Berufsunfähigkeit ist. Werden hierbei Fehler gemacht, ziehen sich diese durch das gesamte Leistungsprüfungsverfahren. Bei Berufsunfähigkeit ist stets anzuraten, sich kompetente Unterstützung zu suchen. Gerade Leistungsablehnungen von Berufsunfähigkeitsversicherungen sollten juristisch überprüft werden.
Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Auch an dieser Entscheidung ist zu erkennen, dass es sinnvoll ist frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst. Einen Überblick finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt nicht.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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