Anzeigepflicht einer Krankschreibung wegen psychischer Belastung (OLG Saarbrücken)

Versicherungsnehmer trifft bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine Anzeigepflicht, doch erstreckt sich diese auch auf eine Krankschreibung wegen psychischer Belastung? Ob eine zweiwöchige Krankschreibung wegen psychischer Belastung ausreichend ist, um eine solche Anzeigepflicht bei Nichtangabe zu verletzen, war Gegenstand des Urteils des OLG Saarbrücken (OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.11.2022 – Az. 5 U 8/22).

Krankschreibung wegen psychischer Belastung

Die Versicherte stellte bei dem Versicherer im November 2013 einen Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. In den Gesundheitsfragen des Versicherungsantrags wurde unter anderem nach der psychischen Gesundheit der Versicherten gefragt: „Wurden sie in den letzten 10 Jahren aus einem oder mehreren der nachstehend genannten Gründen beraten, untersucht oder behandelt oder sind solche Maßnahmen vorgesehen? … e.) Erkrankungen oder Störungen der Psyche (z.B. depressive Stimmungen, Angstzustände, Belastungsreaktionen, Essstörungen, Erschöpfungszustände)?“ Diese Frage wurde vom Versicherten verneint.

Im Mai 2018 beantragte dieser Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Er könne aufgrund psychischer Beschwerden die Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpfleger nicht weiter ausüben. Er sei bereits seit September 2015 arbeitsunfähig geschrieben. Ab Mitte Juni wolle er eine neue Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter beginnen.

Die sodann durch den Versicherer durchgeführte Leistungsprüfung brachte ein Attest aus dem Jahre 2009 zutage. Aus diesem ergab sich, dass der Versicherte bereits vor Antragstellung zwei Wochen lang aufgrund psychischer Belastungen durch die Arbeit krankgeschrieben worden war. Dies nahm der Versicherer zum Anlass von einer objektiv wahrheitswidrigen Beantwortung der Gesundheitsfragen auszugehen und aufgrund dieser vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung den Rücktritt vom Versicherungsvertrag zu erklären.

Der Versicherte ist jedoch der Auffassung, dass er weder an einer Anpassungsstörung erkrankt noch mit einer solchen diagnostiziert worden sei. Er habe sich bloß über seinen Arbeitgeber geärgert und sei deshalb zu seiner Ärztin gegangen.

Nachdem der Versicherte vor dem LG Saarbrücken keinen Erfolg mit seinem Anliegen hatte, wandte er sich mittels einer Berufung an das OLG Saarbrücken.

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Verletzung der Anzeigepflicht wegen Nichtangabe

Der Versicherungsnehmer unterlag jedoch. Dem OLG Saarbrücken nach hat der Versicherte seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt, indem er die Gesundheitsfrage verneinte. Denn die zweiwöchige Krankschreibung stelle für den Versicherer einen gefahrerheblichen Umstand dar. Deshalb sei der Versicherte verpflichtet gewesen, diese in den Gesundheitsfragen zu erwähnen.

Der Versicherer habe im Vorfeld seiner Gesundheitsfragen ordnungsgemäß darauf hingewiesen, dass der Versicherte diese Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten habe. Es seien ausdrücklich auch solche Umstände anzugeben, denen der Versicherte nur geringe Bedeutung beimesse. Indem der Versicherte trotz diesen Hinweisen die Krankschreibung nicht erwähnte, habe sowohl objektiv als auch subjektiv ein Verschweigen von gefahrerheblichen Umständen stattgefunden (siehe hierzu auch Muss jeder Arztbesuch bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung angegeben werden? ).

Denn sowohl die Gesundheitsfragen als auch die vorgeschalteten Hinweise des Versicherers ließen deutlich erkennen, dass auch unterhalb einer Diagnose stehende Indizien wie eine Krankschreibung von diesen erfasst sein sollten. Arbeitsplatzbedingte Belastungsreaktionen seien zweifelsohne als für den Versicherer erkennbar gewesen.

Bei verständiger Würdigung habe dies auch dem Versicherten einleuchten müssen, von der erforderlichen positiven Kenntnis betreffend den gefahrerheblichen Umstand auszugehen. Denn der Versicherte habe sich sogar dahingehend eingelassen, dass er tatsächlich aufgrund seiner Arbeit stark belastet gewesen sei, obwohl die gegenständliche Kündigung nur aus taktischen Gründen erfolgt sei.

Für den Versicherten sei zudem erkennbar gewesen, dass durch die Nichtangabe des Attestes beim Versicherer der Eindruck einer unauffälligen Psyche des Versicherten entstehen würde. Auf dieser Grundlage habe der Versicherer den Entschluss gefasst, mit dem Versicherten zu kontrahieren. Somit sei die Nichtangabe auch kausal für den Vertragsschluss gewesen. Der Versicherte habe seine vorvertragliche Anzeigepflicht durch die Nichtangabe der Krankschreibung demnach verletzt.

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Rücktrittsrecht des Versicherers

Aus dieser vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung folge ein Rücktrittsrecht des Versicherers. Denn dieser habe die Anzeigepflichtverletzung vorsätzlich mit Wissen und Wollen des Erfolges herbeigeführt.

Der Wirksamkeit stehe auch nicht entgegen, dass der Versicherte nicht ordnungsgemäß über die Folgen einer etwaigen Anzeigepflichtverletzung belehrt worden wäre. Der Versicherte sei durch schriftliche und gesonderte Mitteilung darüber informiert worden, dass eine Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen ein Rücktrittsrecht des Versicherers zur Folge habe. Die Belehrung habe im Übrigen ausdrücklich Bezug auf die gestellten Gesundheitsfragen genommen. Ebenfalls sei ausreichend darauf hingewiesen worden, dass eine etwaige Rückforderung nicht nur für zukünftige, sondern auch vergangene Umstände gefordert werden könne.

Weiterhin sei dem Versicherten der Kausalitätsgegenbeweis gem. § 21 Abs. 2 S. 2 VVG nicht gelungen. Die Leistungspflicht könne im Falle eines Rücktritts ausnahmsweise weiterhin bestehen, wenn der für den Eintritt des Versicherungsfalles maßgebliche Umstand keinerlei Bezug zum Gegenstand der Anzeigepflichtverletzung aufweise. So liege der Fall hier gerade nicht. Denn der Versicherte habe Umstände verschwiegen, die mit einer psychischen Belastung zusammenhängen. Gerade aufgrund einer solchen psychischen Belastung beantragt der Versicherte jedoch die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Ein innerer Bezug dieser Umstände liege demnach auf der Hand, sodass der Kausalitätsgegenbeweis nicht erfolgreich geführt worden sei.

Aufgrund der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung habe dem Versicherer demnach ein Rücktrittsrecht zugestanden, welches dieser auch ordnungsgemäß ausgeübt habe. Ein Anspruch auf Leistung gegen den Versicherer bestehe somit nicht.

Fazit

Versicherte, die eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen, müssen die Gesundheitsfragen des Versicherers wahrheitsgemäß beantworten. Auch Krankschreibungen, denen keine Diagnose oder Therapie folgte, können dabei relevant sein. Gerade wenn der Versicherer ausdrücklich darauf hinweist, dass auch möglicherweise unwesentliche Umstände angegeben werden sollen, muss der Versicherte davon ausgehen, dass auch zurückliegende Krankschreibungen angegeben werden sollen. Tut er dies nicht, kann dem Versicherer aufgrund einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung ein Rücktrittsrecht zustehen. Dieser kann sich damit vom gesamten Vertrag lösen und wird somit leistungsfrei.

Verweigert der Versicherer die Leistung aufgrund einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung empfiehlt es sich, frühzeitig einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu konsultieren und das weitere Vorgehen zu besprechen.

Weitere interessante Artikel zu dem Thema sind nachstehend zu finden: „Berufsunfähigkeitsversicherung“ und „Anzeigeobliegenheit“.

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt Björn Jöhnke berichtet über Urteil zur Anzeigepflicht einer Krankschreibung wegen psychischer Belastung.

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