Das OLG Saarbrücken hatte sich mit Urteil vom 03.12.1997 (Az.: 5 U 646/97-62) mit der Berücksichtigung von mitwirkenden Krankheiten bei der Berechnung des Invaliditätsgrades in der Unfallversicherung zu befassen.
Der Versicherungsnehmer schloss eine Unfallversicherung ab, welcher die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen sowie Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel zugrunde lagen. In § 10 AUB 61 heißt es:
1) Haben bei den Unfallfolgen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt, so ist die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu kürzen, sofern dieser Anteil mindestens 25 % beträgt. (…)
(4) Wenn vor Eintritt des Unfalls der Versicherte schon durch Krankheit oder Gebrechen in seiner Arbeitsfähigkeit dauernd behindert war (…), so wird von der nach dem Unfall vorhandenen Gesamtinvalidität ein Abzug gemacht, der der schon vorher vorhanden gewesenen Invalidität entspricht. Für dessen Bemessung werden die Grundsätze unter § 8 II mit der Maßgabe angewandt, daß gegebenenfalls auch ein höherer Grad der Gesamtinvalidität als 100 % anzunehmen ist, sofern der Unfall Körperteile oder Sinnesorgane betrifft, die nicht schon vor diesem Unfall beschädigt waren.
Zudem wurde eine Versicherungssumme in Höhe von 285.000 DM, sowie eine progressive Invaliditätsstaffel vereinbart.
Am 13.09.1992 erlitt der Versicherungsnehmer einen Bandscheibenvorfall. Der Versicherer erbrachte daraufhin eine Invaliditätsleistung, wobei er einen Invaliditätsgrad von 20% zugrunde legte. Allerdings erfolgte eine Berücksichtigung von mitwirkenden Krankheiten, was zu einer Reduzierung der Invaliditätsleistung führte. Hiermit war der Versicherungsnehmer nicht einverstanden. Er erhob daraufhin Klage vor dem zuständigen Landgericht.
Das Landgericht nahm nach sachverständiger Beratung eine Invalidität des Versicherungsnehmers in Höhe von 30% an. Davon seien 30% unfallbedingt und 70% durch Vorschäden an der Wirbelsäule verursacht. Die Invaliditätsleistung berechnete das Landgericht sodann wie folgt: Zunächst seien die 30% entsprechend der progressiven Invaliditätsstaffel auf 40% zu erhöhen. Dies ergebe bei einer Versicherungssumme von 285.000 DM einen Betrag in Höhe von 114.000 DM. 30% hiervon seien 34.200 DM. Diese ständen dem Versicherten zu. Da dieser bereits 17.100 DM erhalten habe, habe der Versicherer noch weitere 17.100 DM zu zahlen.
Der Versicherer legte daraufhin Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken stellte fest, dass das Landgericht die Berechnung der Invaliditätsleistung richtig vorgenommen habe. § 10 AUB 61 sehe nämlich vor, dass dann, wenn bei den Unfallfolgen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt haben, die Leistung entsprechend den Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu kürzen ist, sofern dieser Anteil mindestens 25% beträgt. Mit dieser Regelung werde sichergestellt, dass unfallfremde Ursachen vom Versicherungsschutz abgegrenzt und ausgenommen werden. Krankheiten oder Gebrechen haben jedenfalls dann mitgewirkt, wenn sie zusammen mit dem Unfallereignis die Gesundheitsschädigung oder deren Folgen verursacht haben und keine der beiden Ursachen das Ergebnis allein herbeigeführt hat.
Allerdings seien nach Auffassung des OLG Saarbrücken altersbedingte Veränderungen des Körpers – etwa in Form von normalen Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen – oder eine erhöhte Empfänglichkeit für Krankheiten gerade kein Kürzungsgrund. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten hierzu ausgeführt, dass der zum Unfallzeitpunkt 32-jährige Versicherungsnehmer eine leichte bis mittelschwere Vorschädigung gehabt habe. Grund dafür sei, dass in der CPT vom Jahre 1992 bereits arthrotische Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke beschrieben wurden. Darüber hinaus sei eine mediale Protrusion, also eine Vorwölbung der Bandscheibe über die Wirbelsäulenkante hinaus, erkennbar gewesen. Diese entstehe im Gegensatz zum plötzlichen Bandscheibenvorfall durch eine allmähliche Verlagerung des Bandscheibenkerns. Der Nachweis einer solchen Protrusion sei zudem nahezu beweisend für die degenerative Vorschädigung. Somit haben beim Versicherungsnehmer über die normalen, altersgemäßen Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen hinausgehende Krankheiten und Gebrechen vorgelegen.
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Es stelle sich weiterhin die Frage, in welchem Berechnungsstadium die progressive Invaliditätsstaffel eingreift, also ob zunächst die Entschädigungsleistung anhand des infolge der Progression erhöhten Invaliditätsgrades zu berechnen und die Entschädigung dann entsprechend den mitwirkenden Krankheiten und Gebrechen zu mindern ist (so hatte es das Landgericht getan) oder aber, ob der Invaliditätsgrad erst um den Grad der Mitwirkung der Vorschäden gekürzt werden muss und dann anschließend ggf. noch aufgrund einer vereinbarten Progression zu erhöhen ist.
Die Frage des Rechenweges könne weder den Versicherungsbedingungen noch der Anwendung des § 10 Abs. 4 AUB 61 entnommen werden. Die Besonderen Bedingungen stellen nämlich allein auf den Invaliditätsgrad ab. Daher richte sich die Ermittlung des maßgebenden Invaliditätsgrades nach § 10 AUB 61.
Zu Absatz 4 dieser Vorschrift hatte der BGH (Urt. v. 24. 2. 1988 – IVa ZR 220/86) bereits entschieden, dass zunächst durch Abzug der „Vorinvalidität“ von der nach dem Unfall vorhandenen Gesamtinvalidität die unfallbedingte Invalidität festzustellen ist. Erst im zweiten Schritt sei die progressive Staffel anzuwenden. Die unfallbedingte Invalidität könne nämlich grundsätzlich nur anhand des tatsächlichen Gesundheitszustandes des Versicherten ermittelt werden. Eine über Unfallfolgen hinausgehende Gesamtinvalidität sei dabei nur ein notwendiges Glied in einer Kette der Schritte, die hin zur Feststellung einer unfallbedingten Invalidität führen. Von einer solchen Gesamtinvalidität sei deshalb ein entsprechender Abzug zu machen, wenn sich unfallunabhängige Teilgrade ermitteln lassen. In der Gesamtinvalidität sei somit die vorher vorhandene Invalidität enthalten, so dass diese abgezogen werden müsse, um die allein versicherte unfallbedingte Invalidität zu ermitteln (siehe auch Auswirkung einer Vorinvalidität für die Invaliditätsleistung (BGH)).
Ein solcher Abzug sei bei § 10 Abs. 1 AUB 61 jedoch nicht möglich. In der nach dem Unfall vorhandenen Invalidität sei nämlich kein bestimmter Teilgrad einer vor dem Unfall vorhanden gewesenen Vorinvalidität enthalten. Vielmehr haben die Krankheiten und Gebrechen zusammen mit dem Unfallereignis die Gesundheitsbeschädigung und deren Folgen gemeinsam verursacht. Keine der beiden Ursachen sei für das eingetretene Ergebnis alleine kausal gewesen, sondern beide Ursachen haben zu dem festgestellten Invaliditätsgrad geführt. Es könne daher anders als bei § 10 Abs. 4 AUB 61 nicht zwischen verschiedenen Invaliditätsgraden, wie Gesamtinvalidität, unfallunabhängige Vorinvalidität oder unfallbedingte (Teil-)Invalidität unterschieden werden. Aus diesem Grund könne die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall des § 10 Abs. 1 AUB 61 übertragen werden. Vielmehr sei eine eigenständige Beurteilung dieser Vorschrift unter Zugrundelegung der Sichtweise eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers vorzunehmen.
Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer falle auf, dass in § 10 Abs. 4 AUB 61 von Invalidität die Rede ist, mit welcher sich ein bestimmter Invaliditätsgrad verbinde. Auf diesen sei in den Besonderen Bedingungen verwiesen, wenn von dem festgestellten Invaliditätsgrad die Rede ist. Diesem festgestellten Grad sei wiederum ein progressiv steigender Prozentsatz der Versicherungssumme zugeordnet, was besonders aus der Tabelle ersichtlich sei.
Anders verhalte es sich aber bei § 10 Abs. 1 AUB 61, wo nicht von Invalidität die Rede ist. Vielmehr heiße es, dass die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu kürzen ist. Unter Leistung werde aber der durchschnittliche Versicherungsnehmer die Versicherungsleistung, also die Entschädigungssumme verstehen, die ihm der Versicherer zu zahlen hat. Diese werde er wiederum in den Besonderen Bedingungen mit dem Entschädigungsprozentsatz von der Versicherungssumme in Verbindung setzen, nicht aber mit dem dort genannten festgestellten Invaliditätsgrad. Er werde mithin davon ausgehen, dass zunächst der Invaliditätsgrad festgestellt wird, dann daraus der entschädigungspflichtige Prozentsatz der Versicherungssumme ermittelt wird und diese Summe dann entsprechend dem Anteil der Krankheiten zu kürzen ist. Hätte der Versicherer gewollt, dass nicht die Leistung, sondern der Invaliditätsgrad gekürzt wird, so hätte er dies in seinen Bedingungen entsprechend vorsehen müssen.
Die Berechnung der konkreten Invaliditätsleistung ist oftmals nicht ganz einfach. Soweit Versicherte nach einem Unfall mit der berechneten Invaliditätsleistung des Versicherers nicht zufrieden sind, kann es daher durchaus sinnvoll einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu konsultieren. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie unter: Die Progression in der Unfallversicherung
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