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Auswirkungen einer Vorinvalidität für die Invaliditätsleistung (BGH)

Der BGH befasste sich mit Urteil vom 15. 12. 2010 (Az.: IV ZR 24/10) mit den Auswirkungen einer Vorinvalidität auf die vereinbarte Progression in der Unfallversicherung.

Übergreifende Betrachtung zweier Unfälle?

Der Versicherungsnehmer unterhielt eine Unfallversicherung, der neben den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen auch Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel zu Grunde lagen. Es wird dort unter anderem geregelt:

„(2) Die Höhe der Leistung richtet sich nach dem Grad der Invalidität.

  1. a) Als feste Invaliditätsgrade gelten – unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität – bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit … eines Beines über der Mitte des Oberschenkels 70%.
  2. b) Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines dieser Körperteile oder Sinnesorgane wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach a) angenommen. (…)

(3) Wird durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, so wird ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität vorgenommen. Diese ist nach (2) zu bemessen (…)

„Führt ein Unfall nach den Bemessungsgrundsätzen der Nummern (2) und (3) zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, werden der Berechnung der Invaliditätsleistung folgende Versicherungssummen zugrunde gelegt:

  1. a) für den 25% nicht übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die im VersSchein festgelegte Invaliditätssumme
  2. b) für den 25%, nicht aber 50% übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die doppelte Invaliditätssumme“

Der Versicherungsnehmer erlitt am 27.01.2005 einen Skiunfall und am 08.02.2006 einen Glatteisunfall. Durch beide Unfälle kam es zu Dauerschäden am rechten Bein, woraufhin ein Gutachter die Gesamtinvalidität des Versicherten mit 6/10 Beinwert bemaß und dem ersten und zweiten Unfall jeweils die Invalidität von 3/10 zuordnete. Die Gliedertaxe der Unfallversicherung ging für den vollständigen Funktionsverlust eines Beines von einem Invaliditätsgrad von 70% aus.

Der Versicherer rechnete beide Unfälle gesondert ab. Er zahlte unter Heranziehung der Gliedertaxe einen Gesamtbetrag von 55.296 Euro. Der Leistungsberechnung lag für den ersten Unfall eine Versicherungssumme von 122.880 Euro und für den zweiten Unfall von 138.240 Euro zu Grunde, von der der Versicherer jeweils 21% (3/10 von 70%) ansetzte. Daraus errechneten sich ein Betrag in Höhe von 25.804,80 Euro für den ersten Unfall und 29.030,40 Euro für den zweiten Unfall, also insgesamt 54.835,20 Euro. Den überzahlten Betrag verlangte der Versicherer nicht zurück.

Demgegenüber vertritt der Versicherte die Auffassung, es läge eine Gesamtinvalidität von 42% (6/10 von 70%) vor und diese sei Berechnungsgrundlage für die Invaliditätsleistung. Aufgrund der vereinbarten Progression ergäbe sich hierdurch ein Anspruch auf eine höhere Invaliditätsleistung.

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Auswirkungen auf die Errechnung der Invaliditätsleistung

Der Bundesgerichtshof entscheid, dass dem Versicherungsnehmer keine weitere Versicherungsleistung zusteht. Zwar errechne sich anhand der Versicherungsbedingungen für den ersten Unfall ein Invaliditätsgrad von 21% und für den zweiten Unfall ein Invaliditätsgrad von insgesamt 42%. Allerdings seien die beiden Unfallereignisse getrennt voneinander zu betrachten und die Leistungspflicht des Versicherers für den zweiten Unfall entsprechend der Vorinvalidität durch das erste Unfallereignis zu mindern.

Getrennte Betrachtung der Unfallereignisse

Bei Durchsicht der Versicherungsbedingungen würde der Versicherungsnehmer erkennen, dass für die Versicherungsleistung wegen unfallbedingter Invalidität solche Ursachen außer Betracht zu bleiben haben, die sich für das aktuell zu entschädigende Unfallereignis als unfallfremd darstellen. In diesem Zusammenhang werde deutlich, dass Krankheiten und Gebrechen, wenn und soweit sie als Folge eines früheren Unfalls schon vorhanden waren, nicht dem neuen Unfall zuzurechnen sind. Konkret bedeute dies, dass beide Unfallereignisse getrennt zu betrachten sind.

Daher sei die auf Grund des ersten Unfallereignisses vorhandene Vorschädigung bei der nach dem zweiten Unfallereignis bestehenden Invalidität und der daraus folgenden Versicherungsleistung mindernd zu berücksichtigen. Ein verständiger Versicherungsnehmer dürfe und werde nicht erwarten, dass der Versicherer ihm Versicherungsschutz auch insoweit bietet, als eine nach dem späteren Unfallereignis festgestellte Gesamtinvalidität eine Teilinvalidität einschließt, die sich auf ein früheres Ereignis zurückführen lasse. Eine daraus bedingte (Vor-)Invalidität gehe somit zu seinen Lasten. Somit sei die auf dem früheren Unfallereignis beruhende Vorinvalidität von der zuvor ermittelten Gesamtinvalidität abzuziehen.

Auswirkungen der Vorinvalidität

Zudem verweise der Versicherer in den Versicherungsbedingungen darauf, dass der Invaliditätsgrad auch maßgebend für die Höhe des Abzugs der Vorinvalidität ist. Soweit ein entsprechender Teil des Invaliditätsgrades auf eine Vorschädigung entfällt, führe dies zu einer Verminderung des vom Versicherer für den späteren Unfall zu entschädigenden Invaliditätsgrades.

Vor diesem Hintergrund spreche nichts für eine Mehrdeutigkeit oder sonstige Unklarheit bei der Interpretation der Versicherungsbedingungen. Der Versicherer habe in den Besonderen Bedingungen lediglich für Fälle, in denen die unfallbedingte Invalidität des Versicherten 25% übersteigt, eine Progression versprochen. Folgen also zwei Unfälle aufeinander, komme es auch für den zeitlich späteren Unfall nur auf den Invaliditätsgrad an, der Letzterem zuzuordnen ist. Eine Zusammenrechnung oder eine sonstige übergreifende Betrachtung beider Unfälle scheide für die progressive Invaliditätsstaffel aus. Einen Invaliditätsgrad, der 25% übersteigt, habe der Versicherte allein mit dem zweiten Unfall damit jedenfalls nicht erreicht. Mithin sei der Versicherer zu einer weiteren Versicherungsleistung auch nicht verpflichtet.

Fazit

Erleidet der Versicherungsnehmer zwei separate Unfälle, so werden beide Unfälle getrennt voneinander behandelt. Bei der Bestimmung der Invaliditätsleistung für den zweiten Unfall sind dabei die durch den ersten Unfall entstandenen Unfallverletzungen als Vorinvalidität mindernd berücksichtigt.

Gleichwohl kann es daher durchaus sinnvoll sein, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des konkreten Sachverhaltes zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Einen umfassenden Artikel zu der Progression finden Sie zudem unter Die Progression in der Unfallversicherung

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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