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Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen eines MS-Erkrankten (OLG Frankfurt)

Das OLG Frankfurt am Main hatte sich mit der Arglistanfechtung durch den Versicherer bei Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen im Antragsformular zu befassen gehabt (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.07.2010 – 7 U 118/09).

Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag

In dem Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wurde die Gesundheitsfrage 4 nach Operationen und Strahlenbehandlungen sowie die Gesundheitsfrage 7 nach Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen während der letzten 5 Jahre vom Versicherungsnehmer bejaht. Als ergänzende Angaben zur Frage 4 wurden eine Blinddarmoperation und eine Operation wegen einer Darmverschlingung angegeben. Bei Frage 7 kreuzte der Versicherte ergänzend die Antwortalternative a) Vorsorgeuntersuchung ohne medizinischen Anlass und Befund an und gab als Datum der Vorsorgeuntersuchung 99 an. Die Frage 8 nach bestehenden oder während der letzten 10 Jahre bestanden habenden Krankheiten, Störungen oder Beschwerden verneinte er. Der Versicherungsnehmer ist nun der Auffassung, infolge einer Erkrankung an Multipler Sklerose in seinem Beruf als Gehilfe an einer Papiermaschine bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein.

Erklärung der Arglistanfechtung durch die Versicherung

Nach Einholung von Auskünften bei behandelnden Ärzten erklärte der Versicherer mit Schreiben vom 05.06.2008 die Arglistanfechtung seiner auf Abschluss der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gerichteten Willenserklärung. Zur Begründung führte der Versicherer auf, der Versicherte habe bei Antragsstellung eine Behandlung wegen Sehnervenentzündung und Taubheitsgefühls an der rechten Hand sowie die Behandlungen wegen Verdachts auf Multiple Sklerose, wegen Einschränkungen der Mobilität und wegen depressiver Verstimmung verschwiegen. Der Versicherer machte in einem Schreiben vom 12.06.2008 weiter geltend, dass der Versicherungsnehmer die Durchführung einer Computertomographie des Schädels verschwiegen habe. In einem weiteren Schreiben vom 15.07.2008 stützte der Versicherer die Anfechtung auf Behandlungen des Versicherten durch den Hausarzt und einen Augenarzt wegen diverser Beschwerden.

Der Versicherungsnehmer behauptet hierzu, die Diagnose Multiple Sklerose sei erst im Jahr 200… sichergestellt worden und er habe die Antragsfragen entsprechend seinem damaligen Gesundheitszustand beantwortet. Weiterhin vertritt er die Auffassung, dass die Gesundheitsfrage Nr. 8 nicht erkennen lasse, dass auch der Verdacht auf Erkrankungen angegeben werden müsse. Der Versicherer hingegen behauptet, dass die Diagnose Multiple Sklerose bereits im Jahr 199… festgestellt wurde und dass die behandelnden Ärzte dem Versicherten sämtliche Diagnosen eröffnet hätten.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Versicherte die im Antrag nicht aufgeführten Arztbesuche und Beschwerden hätte angeben müssen. Das Landgericht hat eine Arglist des Versicherungsnehmers bejaht und darauf abgestellt, dass dieser zwar eine belanglose Vorsorgeuntersuchung und lange zurückliegende, folgenlose Operationen angegeben habe, nicht aber seine Arztbesuche im erfragten Zeitraum. Nun rügt der Versicherte mit der Berufung die fehlerhafte Beweiswürdigung des Landgerichts.

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Bestimmen des Feststellungsinteresses

Die Berufung des Versicherungsnehmers hat nach Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Seiner Beurteilung legte der Senat zugrunde, dass der Versicherte nicht allein die Feststellung erstrebe, dass der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag nicht durch Anfechtungserklärung vom 05.06.2008 beendet worden ist, sondern dass konkludent auch die Feststellung begehrt werde, dass der Vertrag auch nicht durch die Erklärungen des Versicherers in den Schreiben vom 12.06.2008 und vom 15.07.2008 beendet worden ist.

Wirksamkeit der Anfechtungserklärung

Die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung setze voraus, dass für den Anfechtungsgegner erkennbar ist, auf welche tatsächlichen Umstände die Anfechtung gestützt wird. Dementsprechend können Anfechtungsgründe nach Ablauf der Anfechtungsfrist nicht nachgeschoben werden und jede Erklärung, mit der eine Anfechtung auf neue tatsächliche Umstände gestützt werde, sei als eigenständige Anfechtungserklärung zu beurteilen.

Indes habe der Versicherer in den Schreiben vom 12.06.2008 und vom 15.07.2008 jeweils noch Anfechtungsgründe geltend gemacht, die in dem vorangehenden Schreiben noch nicht angeführt waren. Daher müsse die vom Versicherten letztlich erstrebte Feststellung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung die Feststellung, dass die Versicherung auch nicht durch die Erklärungen vom 12.06.2008 und vom 15.07.2008 beendet worden ist, mit umfassen.

Begründetheit einer Arglistanfechtung

Das Landgericht habe zu Recht die vom Versicherten begehrte Feststellung nicht getroffen, so das OLG Frankfurt am Main. Denn es habe zu Recht angenommen, dass der BU-Zusatzversicherung infolge einer begründeten Arglistanfechtung durch den Versicherer von Anfang an nichtig sei.

Die Begründetheit einer vom Versicherer erklärten und auf die Art der Beantwortung der Gesundheitsfragen in dem Versicherungsantrag gestützten Arglistanfechtung setze notwendig voraus, dass der Versicherungsnehmer Gesundheitsfragen objektiv unzutreffend beantwortet hat, indem er entweder anzeigepflichtige Umstände verschwiegen oder falsche Angaben gemacht hat. Diesbezüglich stehe der Versicherer in der Darlegungs- und Beweislast. Es ergebe sich vorliegend, dass die Gesundheitsfragen 7 und 8 unvollständig und somit objektiv falsch beantwortet wurden.

Gesundheitsfrage nach Untersuchungen, Behandlungen, Beratungen

Der Frage 7 nach Untersuchungen, Behandlungen oder Beratungen sei zu entnehmen, dass der Versicherer ohne Einschränkungen nach jeglicher Untersuchung oder Beratung frage, unabhängig davon, ob dabei eine Krankheit festgestellt wurde. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Fragen verständig würdigt, aufmerksam durchsieht und ihren erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt, werde der Frage entnehmen, dass Untersuchungen und Beratungen, die nicht lediglich aus Gründen der Vorsorge erfolgten anzugeben sind und dass vor diesem Hintergrund jegliche Behandlung ohnehin mitgeteilt werden muss. Daher habe der Versicherungsnehmer die in den Schreiben des Versicherers vom 05.06.2008, 12.06.2008 und 15.07.2008 aufgeführten, unstreitig erfolgten Untersuchungen und Behandlungen offenbaren müssen.

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Gesundheitsfrage nach Krankheiten, Störungen, Beschwerden

Eine mit dem Wortlaut der Antragsfrage 8 gestellte Gesundheitsfrage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden beziehe sich auf jede Gesundheitsbeeinträchtigung, die nicht offenkundig belanglos ist oder alsbald vergeht. Daher habe der Versicherungsnehmer auf diese Frage jedenfalls die in dem Schreiben vom 15.07.2008 angeführten, unstreitigen Beschwerden angeben müssen. Eine offenkundige Belanglosigkeit dieser Beschwerden sei schon deshalb nicht anzunehmen, weil sie den Versicherten dazu veranlasst haben, einen Arzt aufzusuchen. Insbesondere seien diese Beschwerden bereits für sich genommen, auch ohne Zusammenführung zu der Diagnose anzugeben gewesen. Demgemäß habe der Versicherungsnehmer unstreitig objektiv unzutreffende Angaben zu seinen Gesundheitsverhältnissen gemacht.

Beweislast bei inneren Tatsachen

Damit habe der Versicherte die Untersuchungen, Behandlungen und Beschwerden arglistig verschwiegen. Arglist des Versicherungsnehmers habe zwar der Versicherer zu beweisen, da es sich um den Nachweis einer inneren Tatsache handele, könne er den Beweis nur anhand von Indizien führen. Da sich die beim Versicherungsnehmer stattgefundenen inneren Vorgänge dem Versicherer nicht ohne weiteres erschließen, sei es, sobald das Vorliegen objektiv unzutreffender Angaben des Versicherungsnehmers feststeht, dessen Sache, plausibel darzulegen, weshalb es zu den Falschangaben gekommen ist. Gelingt ihm dies nicht, so sei von Arglist auszugehen.

Vorliegend habe der Versicherte das Verschweigen der Untersuchungen, Behandlungen und Beschwerden nicht nachvollziehbar erklärt. Auch ein Vergessen der verschwiegenen Umstände habe er nicht plausibel gemacht. Schließlich habe er nicht plausibel dargetan, dass er es nicht für möglich gehalten haben könnte, dass die verschwiegenen Untersuchungen, Behandlungen und Beschwerden für die Entscheidung des Versicherers, ob und zu welchen Bedingungen er Versicherungsschutz gewährt, erheblich sind. Nun erhalte der Versicherungsnehmer Gelegenheit, zu den Hinweisen des Senats Stellung zu nehmen.

Fazit und Hinweise

Der Versicherungsnehmer hat bei einer Gesundheitsfrage nach Untersuchungen jegliche Untersuchungen ohne Einschränkung anzugeben. Die Antragsrage nach Krankheiten umfasst jede Gesundheitsbeeinträchtigung, die nicht offenkundig belanglos ist oder alsbald vergeht. Verschweigt der Versicherungsnehmer bei Antragsstellung eine einschlägige Untersuchung oder Krankheit, so ist es im Rahmen der Arglistanfechtung seine Pflicht zu beweisen, wie es zu dieser Nichtangabe gekommen ist. Gelingt es dem Versicherten nicht, den Beweis zu führen, so ist von seiner Arglist auszugehen.

Ein weiterführender Artikel zu den Fragen der Versicherung im Versicherungsantrag nach “Untersuchung, Behandlung, Beratung und Beschwerden” ist nachstehend zu finden: „Zur Auslegung von Antragsfragen des Versicherers.“

Es kann bei besonders krassen Erkrankungen sogar zu einer „spontanen Mitteilungsobliegenheit“ des Antragstellers kommen, bei welcher der Antragsteller Angaben zu seinem Gesundheitszustand machen muss, obwohl der Versicherer nicht danach gefragt hat. Ein weiterführender Artikel zu diesem Themenbereich ist nachfolgend zu finden: „Die spontane Anzeigeobliegenheit – ein Mythos oder gelebte Pflicht?

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Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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