Der BGH hatte in dem Verfahren darüber zu entscheiden, ob bei Nichtangabe einer Behandlung wegen Depression auf eine Gesundheitsfrage in den Versicherungsanträgen eine schuldlose Anzeigepflichtverletzung der Versicherungsnehmerin vorliegt (BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 133/06).
Die Versicherungsnehmerin nimmt den Versicherer aus zwei Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen in Anspruch. Sie war seit Oktober 1979 im Beamtenverhältnis im amtsärztlichen Dienst tätig. Von Februar 1990 bis Mai 1992 war sie wegen einer Depression dienstunfähig erkrankt. Ihr Dienstherr ordnete Ende 1994 eine amtsärztliche Untersuchung an, wogegen sie Widerspruch einlegte. Schließlich wurde sie von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachtet, der keine Anzeichen einer Depression und einer darauf beruhenden Dienstunfähigkeit feststellen konnte.
Daraufhin schloss die Versicherte beim Versicherer Lebensversicherungsverträge mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen ab. In ihren Anträgen beantwortete sie die Gesundheitsfrage des Versicherers „4. Sind Sie in den letzten fünf Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden? Weshalb? … ” mit „ja”. Ergänzend gab sie an, „Februar 1990 – Mai 1992 Depression, seitdem gesund. 1990 (oder 1991) zehn Tage Krankenhausbehandlung wegen Depression”. Auf die Frage „8. Bezogen, beziehen oder beantragten Sie eine Rente oder Pension aus gesundheitlichen Gründen?” kreuzte sie „nein” an. Darüber hinaus wurde unter anderem folgende Klausel Vertragsbestandteil: „(4) Hat der Versicherte bei Eintritt von Berufsunfähigkeit im bisherigen Beruf i.S. der Nrn. 1 bis 3 das 55. Lebensjahr vollendet und beträgt die restliche Versicherungs- oder Leistungsdauer der Zusatzversicherung noch maximal fünf Jahre, verzichten wir auf die Prüfung, ob der Versicherte eine andere Tätigkeit ausüben könnte.“
Eine Amtsärztin bescheinigte sodann im Februar 2003 das Vorliegen einer Dienstunfähigkeit, woraufhin die Versicherungsnehmerin aus dem amtsärztlichen Dienst entlassen wurde. Sie begehrt seitdem Versicherungsleistungen wegen Berufsunfähigkeit.
Der Versicherer trat daraufhin vom Versicherungsvertrag zurück und erklärte überdies die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Zur Begründung führte der Versicherer auf, die Versicherungsnehmerin habe die psychiatrische Untersuchung aus dem Jahr 1994 in den Versicherungsanträgen nicht angegeben und auch ihre Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit von Februar 1990 bis Mai 1992 verschwiegen. Die Versicherungsnehmerin hält an ihrem Begehren fest und mach den Anspruch auf Versicherungsleistungen gerichtlich geltend.
Die Versicherungsnehmerin habe keine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt, die den Versicherer zum Rücktritt berechtigen würde, so der BGH. Die Versicherte sei mit der weit gefassten Gesundheitsfrage unter Nr. 4 unter anderem nach Untersuchungen in den letzten fünf Jahren gefragt worden. Insbesondere habe es keine Einschränkung dahingehend gegeben, ob die Untersuchung durch den künftigen Versicherungsnehmer selbst oder durch einen Dritten veranlasst worden ist. Die Frage werde noch nicht einmal dahin eingegrenzt, ob es eine Untersuchung aus Anlass einer gesundheitlichen Störung gewesen ist. Davon abgesehen solle das Gutachten aus dem Jahre 1994 gerade der Abklärung einer vom Dienstherrn behaupteten gesundheitlichen Störung dienen. Es sei somit allgemein nach „Untersuchungen“ gefragt worden, weshalb die Versicherte die psychiatrische Begutachtung aus dem Jahr 1994 anzugeben hatte. Des Weiteren komme es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob sich die Versicherungsnehmerin aus eigener Sorge um ihre Gesundheit einer ärztlichen Untersuchung unterzogen habe oder nicht. Eine solche Deutung lasse die Frage unter Nr. 4 nicht zu.
Die Versicherungsnehmerin habe Fragen nach ihren Gesundheitszuständen grundsätzlich so zu beantworten, wie sie ihr durch den Versicherer gestellt werden. Dabei habe sie die angeforderten Angaben wahrheitsgemäß und vollständig zu machen. Sie habe die Gefahrerheblichkeit nicht aus eigener Sicht zu beurteilen, sondern die Prüfung und Bewertung dem Versicherer zu überlassen. Somit liege eine objektive Anzeigepflichtverletzung vor.
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Allerdings scheitere das Rücktrittsrecht des Versicherers daran, dass die Anzeige ohne Verschulden der Versicherungsnehmerin unterblieben ist. Da die Untersuchung aus dem Jahre 1994 keine pathologischen Befunde ergeben habe, habe sich für die Versicherte daraus nicht die Erkenntnis gefolgert, an einer gesundheitlichen Störung – insbesondere einer Depression – zu leiden mit der Folge, dass sie – anders als im Antragsformular angegeben – seit Mai 1992 in dieser Hinsicht nicht „gesund” gewesen sei. Vielmehr sei sie durch das Gutachten in ihrem Standpunkt bestätigt worden, nicht an einer Depression und auch an keiner anderen psychischen Erkrankung zu leiden. Jedenfalls habe die unterbliebene Anzeige ohnehin keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls sowie den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt.
Weiterhin habe die Versicherungsnehmerin die Frage nach dem Bezug einer Rente aus gesundheitlichen Gründen bereits objektiv nicht unrichtig beantwortet. Vielmehr habe sie zutreffend angegeben, über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren mit teils stationärer Behandlung an einer Depression gelitten zu haben. Sie habe lediglich nicht vermerkt, deswegen durchgängig krankgeschrieben gewesen zu sein. Seitens des Versicherers sei ihr eine entsprechende Frage allerdings auch nicht gestellt worden. Dienstunfähigkeit als solche sei keine eigene offenbarungspflichtige Erkrankung, sondern bloße Folge der – von der Versicherten wahrheitsgemäß angegebenen – über einen langen Zeitraum währenden Depression. Es habe dem Versicherer freigestanden, auf die übrigen Angaben der Versicherungsnehmerin hin zur Wahrung eigener Interessen in eine nähere Risikoprüfung einzutreten. Da dies jedoch unterblieben sei, könne der Versicherer der Versicherten keine „Verharmlosung“ der depressiven Erkrankung vorwerfen.
Das Berufungsgericht habe unter anderem weitere Feststellungen über das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit zu treffen. Liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor, so komme es angesichts des Lebensalters der Versicherungsnehmerin von damals 59 Jahren nicht mehr darauf an, ob sie in der Lage wäre, einen Vergleichsberuf auszuüben.
Der Versicherungsnehmer unterliegt einer vorvertraglichen Anzeigepflicht, deren Verletzung den Versicherer zum Rücktritt berechtigt. Unter weit gefasste Gesundheitsfragen nach Untersuchungen im Versicherungsantrag sind auch Behandlungen wegen einer Depression anzugeben. Unterlässt der Versicherungsnehmer eine diesbezügliche Angabe, liegt darin eine objektive Anzeigepflichtverletzung. Diese kann indessen schuldlos erfolgt sein, wenn die einschlägigen Untersuchungen ergeben haben, dass eben keine Anzeichen einer Depression vorlagen. Ein weiterführender Artikel zu dem Themenbereich „Antragsfragen des Versicherers“ ist nachstehend zu finden: Auslegung von Antragsfragen des Versicherers.
Es kann bei besonders krassen Erkrankungen sogar zu einer „spontanen Mitteilungsobliegenheit“ des Antragstellers kommen, bei welcher der Antragssteller Angaben zu seinem Gesundheitszustand machen muss, obwohl der Versicherer nicht danach gefragt hat. Ein weiterführender Artikel zu diesem Themenbereich ist nachfolgend zu finden: „Die spontane Anzeigeobliegenheit – ein Mythos oder gelebte Pflicht?“
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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