Das OLG Dresden hatte sich mit mit der Frage zu befassen gehabt, ob die Nichtangabe von Lampenfieber zu einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung führen kann (OLG Dresden, Urt. v. 06.12.2022 – 4 U 1215/22).
Die Versicherungsnehmerin bahn ihren Versicherer aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Anspruch. Sie beantragte im Juni 2013 den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. In diesem Zusammenhang füllte die Versicherungsnehmerin den Versicherungsantrag eigenständig aus und verneinte die Gesundheitsfragen jeweils. Im Februar 2016 stellte sie sodann einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit. Daraufhin nahm der Versicherer die Leistungsprüfung auf und sprach mit Schreiben vom 10.10.2026 eine rückwirkende Vertragsanpassung wegen ihres Gesundheitszustands aus. Mit dieser Vertragsanpassung wurden Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab Vertragsbeginn aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen wurden, sofern psychische / psychosomatische Erkrankungen oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens die Ursache für die Berufsunfähigkeit bilden. Dagegen wandte sich die Vertragsnehmerin.
Das Landgericht Dresden hat durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und schriftlicher Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte Beweis erhoben und den Versicherer anschließend vollumfänglich zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag verurteilt (LG Dresden, Urt. v. 09.06.2022 – 8 O 1518/20). Gegen dieses Urteil wandte sich der Versicherer mit der Berufung zum Oberlandesgericht Dresden.
Die zulässige Berufung bleibe in der Sache jedoch ohne Erfolg. Das Landgericht habe zu Recht einen Anspruch der Versicherungsnehmerin aus dem Versicherungsvertrag bejaht, so das Oberlandesgericht.
Es stehe zunächst fest, dass die Versicherungsnehmerin infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung auf Dauer mehr als 50% in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt und damit berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen sei. Darüber hinaus habe die vom Versicherer ausgesprochene Vertragsanpassung nicht rückwirkend zu einer Anpassung des Versicherungsvertrages mit Wirkung auch für den streitgegenständlichen Leistungsfall geführt.
Die formellen Voraussetzungen einer solchen Anpassung lägen nämlich vor. Vorliegend fehle es an einem Anpassungsgrund. Der Versicherer sei nur zur Vertragsanpassung berechtigt, wenn ein Rücktrittsgrund oder ein Kündigungsgrund vorliegt. Diese Rechte kommen dem Versicherer allerdings nur dann zu, wenn die Versicherungsnehmerin ihre Pflicht verletzt hätte, dem Versicherer die ihr bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannten Gefahrumstände anzuzeigen. Hieran fehle es vorliegend.
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme sei bereits zweifelhaft, ob der Versicherten eine unzutreffende Beantwortung der Frage nach Krankheiten, Funktionsstörungen, Beschwerden und Behandlungen der Psyche zur Last falle. Denn Anlass für die Vorstellung der Versicherungsnehmerin beim Hausarzt und die Überweisung an eine Fachärztin sei die Befürchtung der Mutter gewesen, die Versicherte könne in den vor ihr liegenden Abiturprüfungen an „Lampenfieber“ leiden. Eine generalisierte oder spezifische Angststörung im Sinne der ICD-10 Kategorisierung sei nach den von einem Psychologen durchgeführten Untersuchungen jedoch nicht festgestellt worden.
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Als Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung komme jedoch nur ein Zustand in Betracht, der vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweicht, dass er geeignet ist, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft zu beeinträchtigen. Hierzu zähle ein alterstypisch ausgeprägtes „Lampenfieber“ unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst indes nicht. Zwar dürfe der Versicherer auch nach solchen Beeinträchtigungen fragen, die keinen Krankheitswert haben, die weit gefasste Pflicht der Versicherungsnehmerin zur Offenbarung finde aber ihre Grenze bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Ein keiner weiteren Behandlung bedürfendes „Lampenfieber“, das nicht in ein Vermeidungsverhalten münde und unter Umständen der Konzentration des Vortragenden sogar noch dienlich ist, könne somit angesichts dieser immanenten Beschränkung keine Anzeigepflicht begründen.
Es sei ferner davon auszugehen, dass eine positive Kenntnis der Versicherungsnehmerin von den anzeigepflichtigen Umständen im Zeitpunkt der Antragsstellung nicht (mehr) vorgelegen habe. Entscheidend sei hierbei gewesen, dass die Versicherungsnehmerin in ihrer Anhörung für den Senat glaubhaft bekundet hat, sie habe den gesamten Sachverhalt, der im Antragszeitraum nahezu fünf Jahre zurücklag, aus dem Gedächtnis gelöscht, weil sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur auf Drängen ihrer Mutter der Abklärung ihres „Lampenfiebers“ zugestimmt habe. Bis auf ein „nettes Gespräch“ aus den probatorischen Sitzungen sei jedoch nichts hervorgegangen. Anschließend habe es in ihrem Leben auch zahlreiche einschneidende Veränderungen (Auslandsaufenthalt, Studienbeginn) gegeben.
Der Versicherungsnehmerin sei zwar vorzuwerfen, bei Antragstellung in ihrer Erinnerung nicht stärker nachgeforscht und auch ihre Mutter zu Arztterminen im Antragszeitraum nicht befragt zu haben, zumal sie sich den Vertrag selber vermittelt und angegeben habe, über die Folgen einer falsch beantworteten Antragsfrage geschult worden zu sein. Es könne jedoch dahinstehen, ob dieses Versäumnis seinerseits einen Fahrlässigkeitsvorwurf gegen die Versicherte begründen könnte. Hierauf komme es nämlich nicht an. Eine Versicherungsnehmerin verletze bereits ihre Anzeigepflicht nicht, wenn sie einen Umstand nicht angibt, der ihr aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist.
Der Versicherungsnehmer hat bei den Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag des Versicherers nach Krankheiten nur solche Zustände anzugeben, die vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweichen, dass sie geeignet sind, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft zu beeinträchtigen. Ein alterstypisches Lampenfieber, das keiner weiteren Behandlung bedarf, begründet gerade keine Anzeigepflicht. Fahrlässige Unkenntnis, wie sie hier möglicherweise gegeben war, vermag mithin die fehlende Kenntnis eines anzeigepflichtigen Umstandes nicht zu ersetzen. In dem vorliegenden Fall war damit die Vertragsanpassung wieder aus dem Versicherungsvertrag herauszunehmen.
Es kann bei besonders krassen Erkrankungen sogar zu einer „spontanen Mitteilungsobliegenheit“ des Antragstellers kommen, bei welcher der Antragssteller Angaben zu seinem Gesundheitszustand machen muss, obwohl der Versicherer nicht danach gefragt hat. Ein weiterführender Artikel zu diesem Themenbereich ist nachfolgend zu finden: „Die spontane Anzeigeobliegenheit – ein Mythos oder gelebte Pflicht?“ Ein weiterführender Artikel zu dem Themenbereich „Fragen des Versicherers im Versicherungsantrag“ ist nachstehend zu finden: „Zur Auslegung von Antragsfragen des Versicherers.“
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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