Karenzzeit für Suizid bei veralteten Versicherungsbedingungen (OLG Saarbrücken)

Lebensversicherung enthalten in ihren Versicherungsbedingungen oftmals eine Regelung hinsichtlich der Leistung bei einer vorsätzlichen Selbsttötung (Suizid). Viele Versicherer haben es jedoch unterlassen, diese Regelungen im Zuge der VVG-Reform anzupassen. Was gilt, wenn die in den Versicherungsbedingungen festgelegte Karenzzeit nicht mehr den gesetzlichen Regelungen entspricht, war nun Gegenstand des Urteils des OLG Saarbrücken (OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.04.2012 – Az. 5 U 293/11).

Abschluss einer Lebensversicherung bei späterem Suizid

Der später verstorbene Versicherungsnehmer stellte am 26.06.2006 einen Antrag auf Abschluss einer Risikolebensversicherung. Der Versicherungsbeginn sollte der 01.08.2006 sein. Bereits im Antrag erteilte der Versicherte der Versicherungsgesellschaft eine Einzugsermächtigung bzgl. der Versicherungsprämie. Im Zuge des Antrages beantwortete der Versicherte die Gesundheitsfragen wissentlich falsch, indem er eine Hodenkrebserkrankung, sowie eine Hodenamputation aus dem Jahre 2004 verschwieg.

Mit Schreiben vom 28.06.2006 sagte die Versicherung dem Versicherten einen vorläufigen Versicherungsschutz gemäß den Versicherungsbedingungen zu. Am 14.08.2006 wurde dem Versicherten durch die Versicherung mitgeteilt, dass die Versicherung bestehe und Versicherungsbeginn der 01.08.2006 sei. An diesem Tag wurde auch per Einzug die Erstprämie vom Konto des Versicherten eingezogen.

In den Versicherungsbedingungen hieß es, dass der Versicherungsschutz mit der Einlösung der ersten Prämie beginne. Zudem enthielten sie eine Karenzzeit für einen Suizid. Erst drei Jahre nach Einlösung der ersten Prämie sei die Versicherung auch bei Suizid leistungspflichtig.

Am 10.08.2009 beging der Versicherte Suizid. Im Polizeibericht von diesem Tag ging die Krankheitsgeschichte des Versicherten aus Gesprächen mit den Angehörigen hervor. Im November 2009 erlangte die Versicherung Einsicht in die Ermittlungsakte, in welcher auch besagter Polizeibericht beilag. Mehr als ein Jahr später, im Dezember 2010, forderte die Versicherung die bezugsberechtigte Ehefrau des Versicherten auf, Dokumente im Zusammenhang mit dessen Krebserkrankung vorzulegen. Des Weiteren trat die Versicherung an das behandelnde Krankenhaus bezüglich Arztberichten heran. Anfang Februar 2011 erklärte die Versicherung die Anfechtung des Versicherungsvertrages aufgrund arglistiger Täuschung. Sie erklärte sich überdies leistungsfrei, da die Karenzzeit hinsichtlich des Suizids nicht eingehalten worden sei.

Die Ehefrau dagegen fordert vom Versicherer die Auszahlung der Versicherungsleistung, denn die Karenzzeit sei erstens eingehalten und zweitens sei die Anfechtung nicht fristgemäß erfolgt. Nachdem das Landgericht Saarbrücken die Klage der Ehefrau abwies, befasste sich das OLG Saarbrücken mit der Sache.

Beginn der Karenzzeit bei Suizid?

Die Versicherung verweigerte die Leistung unter anderem deshalb, weil mit dem Suizid des Versicherten am 10.08.2009 die dreijährige Karenzzeit aus den allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht eingehalten worden sei. In diesen heiße es ausdrücklich, dass die Karenzzeit erst mit Einlösung beginne, welche mit Einzug der ersten Prämie am 14.08.2006 erfolgt sei. Somit sei der Suizid vier Tage vor Ende der Karenzzeit erfolgt. Dagegen führte die Ehefrau jedoch an, dass es nicht auf das Datum des Einzuges der Prämie ankommen könne, sondern auf das Datum der Erteilung der Einzugsermächtigung (26.06.2006), spätestens jedoch auf den Versicherungsbeginn (01.08.2006) abgestellt werden müsse. Mit Erteilung der Einzugsermächtigung habe der Versicherte schließlich alles seinerseits erforderliche zur Einlöse getan. Das konkrete Einzugsdatum liege dann nur noch in der Hand der Versicherung, die somit einseitig den Beginn der Karenzzeit bestimmen könne.

Nach Ansicht des Gerichts kam es hierauf jedoch nicht an. Soweit die allgemeinen Versicherungsbedingungen hinsichtlich des Beginns der Karenzzeit auf den Einlösezeitpunkt abstellen, so weichen die Versicherungsbedingungen von dem im Zuge der VVG-Reform eingeführten § 161 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers ab. weichen, welcher auf den Abschluss des Versicherungsvertrages abstellt. Grundsätzlich hatte der Versicherer die Möglichkeit seine Versicherungsbedingungen dem neuen Recht anzupassen. Geschehe dies nicht, gelten über § 306 Abs. 2 BGB die gesetzlichen Regelungen. Somit sei der in § 161 VVG für den Beginn der Karenzzeit maßgebliche Zeitpunkt des Vertragsschlusses in die allgemeinen Versicherungsbedingungen hineinzulesen. Da der Versicherungsvertrag erst mit Schreiben vom 14.08.2006 zustande kam, falle der Zeitpunkt des Beginns der Karenzzeit mit dem Zeitpunkt zusammen, der in den Versicherungsbedingungen bezeichnet wurde.  Die Karenzzeit habe somit trotzdem erst am 14.08.2006 begonnen. Der Suizid sei demnach vier Tage vor Ablauf der Karenzzeit begangen worden.

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Anfechtung des Versicherungsvertrages

Darauf käme es dem OLG Saarbrücken nach jedoch ohnehin nicht mehr an, denn der Versicherungsvertrag wurde rückwirkend durch eine wirksame Anfechtung des Versicherers wegen arglistiger Täuschung beseitigt. Indem der Versicherte in den Gesundheitsfragen seine Krebserkrankung nicht angab, verschwieg er einen für den Versicherer gefahrerheblichen Umstand. Dies geschah dem OLG Saarbrücken nach auch bewusst und gewollt, da der Versicherte von seiner Erkrankung wusste.

Zudem sei die Anfechtungsfrist gewahrt worden. Diese betrage ein Jahr ab Entdecken der Täuschung. Bloße Vermutungen oder eine fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus, um die Anfechtungsfrist auszulösen. Vielmehr müsse eine positive Kenntnis der Umstände bestehen, die die arglistige Täuschung begründen.

Zwar waren die Erkenntnisse aus der Ermittlungsakte geeignet, einen Verdacht bei dem Versicherer auszulösen und diesen zu Nachforschungen anzuhalten. Auch wenn der späte Zeitpunkt der weiteren Nachforschungen nachlässig gewesen sein mag, werde die Anfechtungsfrist dadurch trotzdem nicht vorverlagert. Es kam nur auf die sichere Kenntnis an, die durch die Arztberichte im Dezember 2010 erlangt worden sei. Die Anfechtung im Februar 2011 sei somit innerhalb der Jahresfrist erfolgt.

Fazit

Hat der Lebensversicherer es unterlassen seine Versicherungsbedingungen im Zuge der VVG-Reform anzupassen, so können Regelungen zur Karenzzeit in den Versicherungsbedingungen unwirksam sein. Dem Versicherer ist es jedoch unbenommen sich auf die gesetzlichen Regelungen zur Karenzzeit zu berufen. Der gesetzliche Beginn der Karenzzeit kann danach zwar – wie in dem vorliegenden Fall – mit dem Beginn der Karenzzeit gemäß den veralteten Versicherungsbedingungen identisch sein, dürfte in vielen Fällen jedoch früher liegen, sodass auch die Karenzzeit früher abläuft und in vielen Fällen noch Versicherungsschutz bei einem Suizid besteht.

Es ist jedenfalls immer das Einzelfallgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu betrachten. Verweigert die Lebensversicherung bezugsberechtigten Personen die Leistung, kann es sich daher durchaus empfehlen einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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