Nach einem Suizid der versicherten Person stellen sich viele Hinterbliebene die Frage, ob eine Lebensversicherung zur Zahlung der im Versicherungsvertrag vereinbarten Todesfallsumme verpflichtet ist. Sowohl das Versicherungsvertragsgesetz als auch viele Lebensversicherungsverträge enthalten zum Versicherungsschutz nach einem Selbstmord explizite Regelungen. Im Rahmen des vorliegenden Artikels soll ein Überblick über die Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen aus der Lebensversicherung trotz Suizid der versicherten Person gegeben werden.
Im Bereich der Lebensversicherung enthält § 161 VVG eine gesetzliche Regelung zur Frage des Versicherungsschutzes bei Suizid der versicherten Person. Der Versicherer ist danach nicht zur Zahlung der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme verpflichtet, wenn die versicherte Person sich vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Versicherungsvertrags vorsätzlich selbst getötet hat.
Damit der Versicherungsschutz in der Lebensversicherung ausgeschlossen ist, müsste zunächst also eine „vorsätzliche Selbsttötung“ bzw. ein „Selbstmord“, wie es in älteren Gesetzestexten oder Versicherungsbedingungen oftmals heißt, vorliegen. Strittig ist allerdings, welches Maß an den Vorsatz des Versicherten zu setzen sind. Eine „vorsätzliche Selbsttötung“ im Sinne der gesetzlichen Regelung des § 161 VVG liegt jedenfalls dann vor, wenn die versicherte Person absichtlich den eigenen Tod herbeiführt oder aber sicher weiß, bei einer bestimmten Handlung zu sterben und dies in Kauf nimmt, um ein anderes Ziel zu erreichen (z.B. Märtyrer).
Umstritten ist jedoch, ob auch ein Eventualvorsatz ausreicht, um den Versicherungsschutz auszuschließen. Bei einem Eventualvorsatz nimmt die versicherte Person den eigenen Tod zwar ebenfalls billigend in Kauf, betrachtet diesen bei der Tötungshandlung jedoch nur als möglich, aber nicht als sicher. Im Einzelfall ist der Eventualvorsatz daher durchaus schwer von einer bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen. Im Falle einer Fahrlässigkeit – selbst bei grober Fahrlässigkeit – ist der Versicherungsschutz jedoch nicht nach § 161 VVG ausgeschlossen.
Die Dreijahresfrist beginnt mit Abschluss des Versicherungsvertrages. Der im Versicherungsschein genannte Versicherungsbeginn ist also nicht maßgeblich. Es kommt auch nicht auf die Antragsstellung, sondern auf die Annahmeerklärung an (vgl. Vorsätzliche Selbsttötung bei Tod eines Jägers durch Jagdgewehr? (OLG Celle)).
Ältere Versicherungsbedingungen stellen hingegen teilweise noch auf die Zahlung der Erstprämie ab, was regelmäßig erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages erfolgt. Soweit der Versicherer diese Versicherungsbedingungen nicht an die im Zuge der VVG-Reform eingeführten Regelung des § 161 VVG angepasst hat, so kann dies zur Unwirksamkeit der Regelungen der Versicherungsbedingungen führen. Da nach § 171 VVG von der Regelung des § 161 nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf. Allerdings kann der Versicherer sich in diesem Fall gleichwohl auf die gesetzliche Regelung des § 161 VVG berufen (vgl. Karenzzeit für Suizid bei veralteten Versicherungsbedingungen (OLG Saarbrücken)).
Fraglich ist auch, welche Auswirkungen im Laufe der Lebensversicherung vorgenommene Änderungen (z.B. Erhöhung der Versicherungssumme) auf die Berechnung der Frist haben. Hierzu wird teilweise argumentiert, dass bzgl. des geänderten Teils die Dreijahresfrist neu zu laufen beginne. Argumentativ wird dies damit begründet, dass die Erweiterung des Versicherungsvertrages einem Neuabschluss gleichkäme. Dies überzeugt natürlich nicht, wenn man eine Begrenzung des Versicherungsschutzes vornimmt. Soweit Versicherer diese Argumentation in ihre Versicherungsbedingungen aufnehmen, so stellt sich daher die Frage, ob Gerichte solche Klauseln als wirksam erachten werden. Anders ist es hingegen bei einer vollständigen Novation der Lebensversicherung, wobei sich dann durchaus die Frage nach einer Haftung wegen einer Beratungspflichtverletzung stellen kann (siehe hierzu auch Haftung und Beweislast für Beratungsfehler bei Vermittlung einer Versicherung).
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Im Rahmen des Versicherungsvertrages kann von der Dreijahresfrist auch abgewichen werden. Für einer Erhöhung der Dreijahresfrist bedarf es nach § 161 Abs.2 VVG jedoch einer Einzelvereinbarung. Eine Reduzierung der Frist wäre hingegen jedoch auch im Rahmen einer in den allgemeinen Versicherungsbedingungen enthaltenen Selbstmordklausel möglich.
Grundsätzlich trägt der Versicherer die Beweislast dafür, dass die versicherte Person Suizid begangen hat. Der Versicherer muss also die vorsätzliche Selbsttötung nachweisen.
Die Anforderungen an die Erbringung des Nachweises der Selbsttötung sind nicht unerheblich. Allerdings erfordert der Nachweis des Suizids keine unumstößliche Gewissheit, sondern es reicht ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGHZ 53, 245, 256 = NJW 1970, 946). Auf einen Anscheinsbeweis kann sich der Versicherer nicht berufen (vgl. Anscheinsbeweis bei Suizid?). Der Versicherer kann zur Beweisführung aber auch einen Anspruch auf Exhumierung des Leichnams haben (vgl. Exhumierung des Leichnams zum Beweis einer vorsätzlichen Selbsttötung (BGH)).
Maßgeblich ist danach oftmals, ob die Todesumstände so eindeutig sind, dass eine Selbsttötung naheliegt oder gar zwingend ist. Hierzu hat sich in der Rechtsprechung eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen herausgebildet:
Der Versicherer ist jedoch nach § 161 VVG gleichwohl zur Zahlung der Todesfallsumme verpflichtet, wenn der Suizid „in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist.“ In Betracht kommt dafür auch ein Suizid im Zustand des Vollrausches (siehe Suizid eines stark alkoholisierten Versicherten (OLG Düsseldorf)).
Bei psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere im Falle einer Depression, kommt es auf das Ausmaß der Erkrankung an. Das Landgericht Mönchengladbach bejahte Versicherungsschutz bei einer endogenen Depression (siehe Versicherungsschutz bei Suizid wegen Depressionen (LG Mönchengladbach)). Trotz eines Suizids im Zuge einer depressiven Stimmung wegen bestehender Eheprobleme ließ das OLG Köln jedoch den Versicherungsschutz entfallen (siehe Versicherungsleistung bei Selbsttötung unter depressiven Verstimmungen? (OLG Köln)).
Das aufgeworfene Thema hat durchaus praktische Relevanz. Lehnt ein Versicherer die Zahlung einer Todesfallsumme mit der Begründung eines Suizids ab, so kann dies erhebliche Konsequenz für die Hinterbliebenen haben. Dies ist oftmals nicht nur menschlich und familiär belastend, sondern kann auch erhebliche finanzielle Folgen haben. Aus diesem Grund kann es daher empfehlenswert sein, beim Vorliegen einer Leistungsablehnung einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt zu konsultieren.
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