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Die Arbeitsbeschreibung bei Berufsunfähigkeit (BGH)

Ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, eine Arbeitsbeschreibung anzufertigen und dabei seine bisherige Arbeit so konkret zu beschreiben, dass die regelmäßig anfallenden Tätigkeiten nach Art, Umfang und Häufigkeit, insbesondere aber auch nach ihren Anforderungen an die Leistungsfähigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden? Muss der Versicherte im Falle einer Berufsunfähigkeit auch darlegen, dass eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm noch gesundheitlich zu bewältigende Betätigungsmöglichkeiten eröffnet? Darüber hatte der Bundesgerichtshof zu befinden (BGH, Urt. V. 12.06.1996 – IV ZR 117/95).

Was war geschehen?

Die Klägerin (Versicherungsnehmerin) unterhält bei der beklagten Versicherung seit 1981 eine Kapitallebensversicherung, die eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) einschließt. Versicherter ist der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin. Der BUZ liegen Bedingungen zugrunde, die den Begriff Berufsunfähigkeit in Übereinstimmung mit § 2 der Musterbedingungen für die BUZ aus dem Jahre 1975 definieren.

Der 1948 geborene Versicherte schloss 1969 eine Ausbildung zum Krankenpfleger mit dem Staatsexamen ab und war danach bis 1974 als Stationspfleger in einer Klinik tätig. Seit 1974 ist er Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin. Gegenstand des Unternehmens ist die Ausführung von Rettungsfahrten und Kranken- und Behindertentransporten sowie die Personenbeförderung mit Taxen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Versicherte sei aufgrund krankhafter Veränderungen im Wirbelsäulenbereich, den dadurch verursachten Schmerzen und Bewegungseinschränkungen seit Oktober 1989 nicht mehr in der Lage, seiner zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit weiter nachzugehen. Das gelte insbesondere für die von ihm bisher hauptsächlich wahrgenommenen Aufgaben beim Kranken- und Rettungstransport, die 80% seiner bisherigen Tätigkeit ausgemacht hätten. Er sei den körperlichen Anforderungen dieser Tätigkeit gesundheitlich nicht mehr gewachsen. Auf die Wahrnehmung von Geschäftsführeraufgaben sei demgegenüber nur ein Tätigkeitsanteil von 10% entfallen; weitere 10% seiner Arbeitsleistung habe er für Wartungsarbeiten und Materialbeschaffung aufwenden müssen. Er sei demgemäß nicht mehr in der Lage, seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nachzugehen. Auch eine Umorganisation des Betriebes könne ihm kein ausreichendes und ihm auch zumutbares Arbeitsfeld verschaffen, auf dem er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen zu mehr als 50% tätig werden könnte.

Der Versicherer hat behauptet, bei der Größe des Betriebes der Klägerin sei der Versicherte schon vor Eintritt der gesundheitlichen Einschränkungen zu mehr als 50% mit Tätigkeiten befasst gewesen, die keinen körperlichen Einsatz erfordert hätten. Jedenfalls aber könne dem Versicherten ein solches Betätigungsfeld durch Umorganisation des Betriebes geschaffen werden.

Die Versicherungsnehmerin hat mit ihrer Klage rückständige Rentenleistungen ab 1. April 1990 bis zum 31. Dezember 1991 und Rückzahlung der für diesen Zeitraum geleisteten Beiträge sowie fortlaufende Rentenleistungen und Befreiung von der Beitragszahlungspflicht ab 1. Januar 1992 verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

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Wie hat der BGH entschieden?

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf Versicherungsleistungen ab 1. April 1990 für begründet gehalten, weil der Versicherte aufgrund einer Bandscheibenvorwölbung und eines Wurzelsyndroms seit Ende 1989 zu mindestens 50% berufsunfähig sei. Der Versicherte sei nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht verpflichtet, geänderte Tätigkeitsbereiche innerhalb des von ihm betriebenen Unternehmens auszuüben, noch müsse er sich auf eine Tätigkeit außerhalb des Unternehmens verweisen lassen. Das halte rechtlicher Nachprüfung nicht stand, so der BGH.

Zutreffend sei es allerdings, wenn das Berufungsgericht bei seinen Erwägungen, ob die Klägerin den Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit bewiesen hat, zunächst darauf abhebt, zu welchem Grade der Versicherte die Fähigkeit verloren hat, in seinem zuletzt konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein. Denn der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit sei in erster Linie davon abhängig, inwieweit gesundheitliche Beeinträchtigungen den Versicherten außerstande setzen, seinem bislang ausgeübten Beruf nachzugehen. Will ein mitarbeitender Betriebsinhaber gegenüber seinem Versicherer geltend machen, er habe gegen ihn Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit, so habe er deshalb vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, wie sein Betrieb vor seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung organisiert gewesen ist und in welcher Art und in welchem Umfang er bis dahin mitgearbeitet hat. Diese Anforderungen gelten auch für die Klägerin, die ihre Ansprüche auf den Eintritt von Berufsunfähigkeit des im Unternehmen mitarbeitenden Alleingesellschafters und Geschäftsführers stütze.

Konkrete Arbeitsbeschreibung

Weiter führte der BGH aus, dass diese Feststellungen des Berufungsgerichts aber nicht genügen. Es habe nicht ausreichend beachtet, dass es zur Darlegung der bislang ausgeübten Tätigkeit nicht schon ausreicht, wenn die vom Versicherten wahrgenommenen betrieblichen Tätigkeitsbereiche ihrerseits nur durch Sammelbegriffe umschrieben werden, wie dies hier insbesondere mit dem Bereich „Rettungsfahrten, Kranken- und Behindertentransporte“ geschehen sei.

Soll festgestellt werden, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen in einer konkreten Berufsausübung auswirken, müsse bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist, welche Anforderungen im Einzelnen es an ihn stellt. Demnach müsse als Sachvortrag vielmehr eine konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die in diesen betrieblichen Bereichen regelmäßig anfallenden Tätigkeiten nach Art, Umfang und Häufigkeit, insbesondere aber auch nach ihren Anforderungen an die (auch körperliche) Leistungsfähigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden, so der Senat. Sache des Gerichts sei es dann, zu entscheiden, ob zunächst eine Beweisaufnahme zu dem vorgetragenen Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung geboten ist, deren Ergebnis einem dann einzuschaltenden Sachverständigen vorzugeben ist. Jedenfalls müsse der Sachverständige wissen, welchen – für ihn unverrückbaren – außermedizinischen Sachverhalt er zugrunde zu legen hat.

Vortrags- und Beweislast des Versicherungsnehmers

Weiter führte der BGH aus, dass die Klägerin ihrer Vortragslast bislang nur unzureichend nachgekommen sei. Der Senat weise zutreffend darauf hin, es fehle ausreichendes Vorbringen dazu, in welchem Umfang der Versicherte Rettungsfahrten einerseits, Kranken- oder Behindertentransporte andererseits durchgeführt habe. Auch fehle ein erforderliches Vorbringen dazu, welche Anforderungen sich für ihn bei Rettungsfahrten regelmäßig ergeben hätten und inwieweit seine körperliche Leistungsfähigkeit bei Kranken- und Behindertentransporten in Anspruch genommen worden sei. Bisher könne dem Vortrag der Klägerin auch nicht hinreichend deutlich entnommen werden, worin und inwieweit sich die vom Versicherten ausgeführten Krankentransporte von Taxifahrten unterschieden haben, ob diese regelmäßig höhere Leistungsanforderungen stellten oder ob dies nur teilweise der Fall war. Auch insoweit gehe es um die von der Klägerin vorzutragende und zu beweisende Ausgestaltung des konkret ausgeübten Berufes des Versicherten, der bedingungsgemäß den Ausgangspunkt für die Beurteilung gesundheitsbedingter Berufsunfähigkeit abgibt.

Kann eine zumutbare Betriebsumorganisation eine gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit eröffnen?

Nach der Rechtsprechung des Senats habe der Versicherungsnehmer auch vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die Tätigkeitsfelder, in denen der Versicherte mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung noch arbeiten kann, ihm keine Betätigungsmöglichkeiten belassen, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen. Zur Vortrags- und Beweislast gehöre auch, dass dem Versicherten eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnen könnte, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden.

Daher sei auch insoweit von Bedeutung, ob und in welchem Umfang im Bereich der Rettungsfahrten, Kranken- und Behindertentransporte noch Tätigkeiten anfallen, die der Versicherte trotz seiner gesundheitsbedingten Einschränkungen noch wahrnehmen kann. Schon danach werde zu prüfen sein, ob der Versicherte noch in der Lage ist, seiner bisherigen Tätigkeit in einem bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfang nachzugehen. Die insoweit zu treffenden Feststellungen werden aber auch bei der Beurteilung zu berücksichtigen sein, ob dem Versicherten eine zumutbare Betriebsumorganisation ein von ihm gesundheitlich noch wahrnehmbares Betätigungsfeld dieses Umfangs verschaffen kann. Könne dieser nach einer Betriebsumorganisation – gegebenenfalls ergänzend – ein für ihn neues betriebliches Aufgabenfeld gesundheitsbedingt noch wahrnehmen, gehe es für ihn insoweit nicht um eine Verweisung „auf eine andere Tätigkeit“ im Sinne des § 2 (1) BB-BUZ, abschließend der BGH.

Fazit Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass jede Leistungseinstellung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere ist es dabei von Bedeutung, dass der Versicherte seiner Vortrags- und Beweislast nachkommt und eine konkreten Arbeitsbeschreibung vornimmt, um die behauptete Berufsunfähigkeit nachweisen zu können.

Daher ist es für Vermittler und Versicherte von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden. Weitere Informationen und Rechtsprechungen haben wir für Sie unter „Versicherungsrecht“ und themenspezifisch unter „Berufsunfähigkeitsversicherung“ zusammengefasst.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt Björn Jöhnke

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