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Vortäuschen der Berufsunfähigkeit (OLG Saarbrücken)

OLG Saarbrücken entschied mit Urteil vom 06.02.2013 (Az.: 5 U 106/10) über einen Fall, in dem ein Vortäuschen der Berufsunfähigkeit durch den Versicherungsnehmer erfolgt sein soll.

Berufsunfähig nach Bandscheibenvorfall?

Der Versicherungsnehmer war vom Beruf Versicherungsfachmann, arbeitete überwiegend im Außendienst und war mit der Vermittlung von Versicherungen, Baufinanzierungen und der Erbringung sonstiger Finanzdienstleistungen befasst. Als Gesellschafter einer GmbH war er für den kaufmännischen Bereich zuständig, während seinem Mitgesellschafter die Geschäftsführung im Bereich Personalwesen oblag.

Der Versicherungsnehmer unterhielt eine Risikolebensversicherung nebst Unfall-Zusatzversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Dem Vertrag lagen unter anderem die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zugrunde. Für den Fall der Erwerbsunfähigkeit infolge Unfalls war eine Versicherungssumme von 359.990 Euro vereinbart. Daneben unterhielt der Versicherungsnehmer bei dem Versicherer eine weitere Lebensversicherung nebst Unfall-Zusatzversicherung, die für den Fall der Erwerbsunfähigkeit infolge Unfalls eine Versicherungssumme von 255.646 Euro vorsah.

Im Dezember 2001 wurde bei ihm ein zervikaler Bandscheibenvorfall diagnostiziert. Seitdem war er fortlaufend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Nach einer Operation am 08.01.2002 begab er sich aufgrund fortdauernder Beschwerden weiterhin in fachärztliche Behandlung.

Im Dezember 2002 zeigte der Versicherungsnehmer dem Versicherer den Eintritt der Berufsunfähigkeit an. Als Erkrankung Verletzung gab er in der Selbstauskunft am 14.12.2002 „Cervicaler BS-Vorfall Z.N. Laminektomie“ seit dem 08.12.2001 an. Als deren Ursache benannte er ein Unfallereignis vom 08.12.2001 und schilderte gegenüber dem Versicherer, beim Anheben eines schweren Natursteins umgeknickt und nach hinten mit dem Rücken auf eine Gartenmauer gestürzt zu sein. Als Beschwerden gab er unter Bezugnahme auf das beiliegende Gutachten an: „weiterhin HWS-Schmerzen und zunehmende Verschlechterung der groben Kraft im li. Arm, Kopfschmerzen, Schulter-Arm Schmerzen, Konzentrationsschwäche bzw. Verlust. Rotation in der HWS total eingeschränkt“. Die Frage nach der Beeinträchtigung seiner beruflichen Tätigkeit beantwortete er mit „Tag und Tag extreme Schmerzen, Konzentrationslosigkeit, Müdigkeit, Schwäche und Kraftlosigkeit“. Daneben beantragte er Leistungen aus den beiden vorgenannten Unfallzusatzversicherungen.

Ermittlungsverfahren gegen Versicherungsnehmer eingeleitet

Im Rahmen der Leistungsfallprüfung erklärte der Versicherer die fristlose Kündigung der Versicherungsverträge aus wichtigem Grund. Er argumentierte, dass die vom Versicherungsnehmer behauptete Ursache und Umfang der Gesundheitsbeeinträchtigungen unzutreffend seien und lediglich ein Vortäuschen der Berufsunfähigkeit erfolgt sei.

Gegen den Versicherungsnehmer wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Versicherungsbetruges eingeleitet; welches zwar eingestellt wurde. In dem Ermittlungsverfahren wurden bei einer Durchsuchung der Privatwohnung des Versicherten jedoch Fotoalben und Videobänder sichergestellt. Auf den beschlagnahmten privaten Fotos und Videofilmen waren Urlaubs- und Freizeitaktivitäten des Versicherungsnehmers im Jahr 2002 – wie Laufen, Schwimmen, Fahrradfahren, Tennis spielen – zu sehen, die mit den geschilderten Beschwerden nicht vereinbar waren und belegten, dass der Versicherungsnehmer über einen langen Zeitraum Beschwerden simuliert und aggraviert habe, um sich Versicherungsleistungen zu erschleichen.

Gleichwohl begehrte der Versicherungsnehmer weiterführende Versicherungsleistungen. Mit seiner Klage macht der Versicherungsnehmer Versicherungsleistungen ab März 2003 geltend. Das zuständige Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Versicherungsvertrag durch die außerordentliche Kündigung beendet worden sei und der Versicherungsnehmer für den Zeitraum bis zur Kündigung das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen habe. Hiergegen legte der Versicherungsnehmer Berufung ein.

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Außerordentliche Kündigung gerechtfertigt

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das erstinstanzliche Urteil sei im Ergebnis richtig, so das OLG Saarbrücken. Der Versicherungsvertrag sei durch die außerordentliche Kündigung des Versicherers wirksam beendet worden. Zudem habe der Versicherte nicht nachgewiesen, dass die Berufsunfähigkeit wegen behaupteter orthopädischer oder psychischer Beeinträchtigungen der Gesundheit bereits vor Beendigung des Versicherungsvertrages eingetreten war. Ein später eingetretener Versicherungsfall, der im Übrigen gleichermaßen nicht nachgewiesen ist, wäre nicht mehr vom Versicherungsschutz gedeckt, so das OLG Saarbrücken.

Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung des Versicherungsvertrages

Zunächst stellte das OLG Saarbrücken fest, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung als Dauerschuldverhältnis einer außerordentlichen Kündigung zugänglich ist. Geht diese Kündigung vom Versicherer aus, so sei indes zu berücksichtigen, dass die Interessen des Versicherers gerade für den Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit weitgehend durch die Darlegungs- und Beweislastverteilung und die Möglichkeit der Ausübung von Rücktritts– und Anfechtungsrechten geschützt sind. Ein die fristlose Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund sei aber jedenfalls dann gegeben, wenn das Vertrauen des Versicherers in die Vertragstreue des Versicherungsnehmers so nachhaltig enttäuscht ist, dass ihm eine Fortsetzung des Vertrages auch unter Berücksichtigung dieser Interessenlage nicht mehr zumutbar ist. Nach Auffassung des OLG Saarbrücken könne dies bei einer arglistigen Täuschung des Versicherungsnehmers – wie im vorliegenden Fall – angenommen werden.

Vortäuschen der Berufsunfähigkeit

Nach durchgeführter Beweisaufnahme war das OLG Saarbrücken davon überzeugt, dass die behaupteten Beschwerden und Funktionsstörungen– jedenfalls im angegebenen Umfang – tatsächlich bei weitem nicht vorgelegen haben. Der Versicherer habe damit zu Recht ein bewusstes Vortäuschen der Beschwerden aus der Unvereinbarkeit der geschilderten andauernden Beschwerden mit den auf den sichergestellten Fotos und Videos dokumentierten Urlaubs- und Freizeitaktivitäten des Versicherten abgeleitet. Nach dem Ergebnis eines orthopädischen Gutachtens stehe zudem zur Überzeugung des OLG Saarbrücken fest, dass lediglich ein Vortäuschen der Berufsunfähigkeit vorläge. Das Gericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass es nur durch ein demonstratives und aggravatorisches Verhalten des Versicherungsnehmers während den Untersuchungen zu den entsprechenden Befunden kommen konnte.

Das OLG Saarbrücken ging daher davon aus, dass der in seinem Beruf gescheiterte Versicherungsnehmer die tatsächlich nicht vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgetäuscht hat, um sich beträchtliche Versicherungsleistungen aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag und weiteren Versicherungsverträgen zu erschleichen. Der Versicherer sei mithin zur außerordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages berechtigt gewesen.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken zeigt, dass ein Vortäuschen der Berufsunfähigkeit der Versicherer zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Versicherungsvertrages berechtigt sein kann. Dabei ist natürlich das Verhalten des Versicherungsnehmers kritisch zu beurteilen, gerade im Hinblick auf das Vorliegen einer Aggravation. Daher kann es nach einer Leistungsablehnung des Versicherers durchaus sinnvoll sein, einem im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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