Berufsunfähigkeit Invalidität Unfall Versicherung Rechtsanwalt Krankentagegeld

Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung (OLG Celle)

Das OLG Celle hatte sich mit Urteil vom 15.06.2022 (Az.: 14 U 148/21) mit der Frage befasst, welche Voraussetzungen an den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung in einem Gutachten zu stellen sind.

Posttraumatische Belastungsstörung infolge eines Auffahrunfalls?

Die Geschädigte erlitt am 28.12.2015 einen Verkehrsunfall. Sie wartete mit ihren Pkw an einer roten Ampel, als ein beim beklagten Versicherer versicherter Pkw von hinten auffuhr. Dadurch wurde ihr Fahrzeug auf ein davor wartendes Fahrzeug aufgeschoben und beschädigt. Der Versicherer regulierte den Schaden bis auf eine Restforderung von 244,64 Euro.

Nach dem Unfall wurde die Geschädigte in einem Krankenhaus behandelt, wo eine HWS-Distorsion diagnostiziert wurde. Daraufhin suchte sie ihre Hausärztin auf, die unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung, einen Tinnitus und eine HWS-Distorsion diagnostizierte. Die Geschädigte behauptet, durch den Unfall Verletzungen erlitten zu haben, die zu einer Erwerbsunfähigkeit und Erwerbsminderungsschäden geführt hätten, was insbesondere auf einer psychischen Vorbelastung beruhe. Aus diesem Grund nimmt sie den Versicherer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Anspruch.

Nach der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden mit (Teil-) Anerkenntnisurteil hat das Landgericht Lüneburg der Klage der Geschädigten überwiegend stattgegeben. Für das Landgericht stand nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Geschädigte aufgrund des Unfalls unter einer Agoraphobie mit Panikstörung sowie einer mittelgradig depressiven Episode leide und deswegen erwerbsunfähig ist. Das Gutachten des Sachverständigen zeige ein akutes Stressproblem als Primärfolge des Unfalls auf, welches sich zu einer mittelgradig depressiven Episode entwickelte.

Mit seiner Berufung verfolgt der Versicherer die Abweisung der Klage weiter. Er ist der Ansicht, das Gutachten sei unzutreffend, weil es auf Grundlage von unbewiesenem, bestrittenen und nicht aufgeklärten Tatsachenvortrag erstellt worden sei und im Übrigen an wesentlichen Mängeln leide. Eine vollständige Untersuchung des Ursachenzusammenhangs sei bereits dadurch verhindert worden, dass das Landgericht dem Beweisantrag auf Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens nicht nachgegangen sei. Darüber hinaus leide das Gutachten an fehlerhaften Tatsachenfeststellungen und entspreche auch nicht den allgemeinen Anforderungen, die an eine psychiatrische Begutachtung zu stellen seien. Demzufolge hätte die Geschädigte den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erbracht.

Keine hinreichende Berücksichtigung des Vortrages des Versicherers

Die Berufung des Versicherers hatte vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil wurde aufgehoben und die Sache wird an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen. Das Landgericht habe nämlich den entscheidungserheblichen Vortrag des Versicherers übergangen. Der Versicherer habe Kausalität sowie die Höhe des Schadens bestritten. Dieses Bestreiten sei ebenso wie der Beweisantrag auf Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachten übergangen worden.

Dass der Versicherer für den Schaden aus dem Verkehrsunfall eintrittspflichtig ist, stehe zwischen den Parteien außer Streit, einschließlich der Einstandspflicht des Versicherers für die Sachschäden der Geschädigten aus der Beschädigung ihres Fahrzeuges. Strittig seien hingegen die Ansprüche wegen Personenschäden. Vor diesem Hintergrund habe der Versicherer die Schäden, ihre Unfallbedingtheit (Kausalität) sowie ihre Höhe in Abrede gestellt. Nach Auffassung des OLG Celle habe das Landgericht den Unfallhergang unter Berücksichtigung dieses Vortrages weiter aufklären müssen.

Ihre Versicherung zahlt nicht?

Rechtsanwalt für Versicherungsrecht

Bundesweite Vertretung durch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow vertritt ihre Mandanten bundesweit in versicherungsrechtlichen Streitigkeiten. Unsere Rechtsanwälte unterstützen Sie dabei, zu Ihrem Recht zu kommen und stehen Ihnen zunächst gerne für einen kostenfreien Erstkontakt zur Verfügung.

Zur Kontaktaufnahme

Psychische Primärverletzung

Im Grundsatz habe das Landgericht zutreffend gesehen, dass eine rein psychische Primärverletzung unabhängig von einer etwaigen Vorschädigung im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ausreichend ist. Denn die Haftung für eine schuldhaft begangene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erstrecke sich auf alle Folgeschäden, unabhängig davon, ob es sich um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt. Insbesondere setze die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen nicht voraus, dass sie eine organische Ursache haben.

Vielmehr genüge die hinreichende Gewissheit, dass sie ohne den Unfall nicht aufgetreten wären. Dies gelte nach Ansicht des OLG Celle selbst dann, wenn sie auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Grundsätzlich genüge es für eine Haftung also, dass es ohne den Unfall nicht zu einer psychischen Fehlverarbeitung hätte kommen können. Das Oberlandesgericht stellt damit klar, dass es als Ursache im haftungsrechtlichen Sinn genügt, wenn der Unfall Auslöser gewesen ist, selbst wenn es daneben auch andere Ursachen geben könnte. Es spiele insoweit keine Rolle, dass der eigentliche Grund für die Beschwerden in der Persönlichkeit des Verletzten liegt und vom Schädiger nicht zu vertreten ist.

Unvollständigkeit des Gutachtens

Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne jedoch auf Grundlage des Gutachtens weder auf die haftungsbegründende Kausalität hinsichtlich der Primärverletzung festgestellt werden noch die haftungsausfüllende Kausalität hinsichtlich weiterer Gesundheitsschäden, wie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund erheblicher inhaltlicher Schwächen überzeuge das Gutachten schließlich nicht.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts beruhe das Gutachten nicht auf zutreffenden Anknüpfungstatsachen, da der Unfallablauf falsch zugrunde gelegt und die Tatsachenfeststellungen offensichtlich lückenhaft seien. Auch die Begründung des Sachverständigen sei teilweise lückenhaft, insbesondere sei nicht erkennbar, dass er sich um eine ausreichende Objektivierung und Validitätsprüfung bemüht habe.

Hierzu führte das OLG Celle aus, dass der Sachverständige sich nicht allein auf die subjektiven Angaben der Geschädigten verlassen dürfe, gerade wenn er seine Diagnose ohne Rücksicht auf die objektiven und beweisbaren Umstände des Unfallgeschehens stützen will. Zumindest müsse er die Angaben der Geschädigten anhand aller verfügbaren Informationen kritisch würdigen, um eine bestmögliche Objektivierung zu erreichen. Dies sei vorliegend jedoch nicht geschehen.

Lückenhafte Befunderhebung

Darüber hinaus weise das Gutachten Lücken in der Befunderhebung auf. Eine vollständige ärztliche psychologische Untersuchung umfasse im Grundsatz die Erhebung der aktuellen Krankengeschichte und der Vorgeschichte sowohl in Bezug auf psychische als auch körperliche Erkrankungen; die Erhebung der Lebensgeschichte einschließlich familiärer psychischer Erkrankungen; die Beschreibung des aktuellen psychischen Zustands sowie die körperliche Untersuchung. Vorliegend fehle es an einer umfassenden Erhebung zur Lebens- und Leidensgeschichte der Versicherten einschließlich relevanter Vorerkrankungen und familiärer Disposition. Stattdessen beschränke sich der Sachverständige auf die Erfragung der beruflichen Hintergründe vor dem Unfallereignis. Obwohl die Geschädigte in der Klageschrift selbst ausdrücklich zu einer psychischen Vorbelastung und der Bedeutung für den Unfall vorträgt, gehe der Sachverständige nicht darauf ein.

Weiter führte das OLG Celle aus, dass es auch an einer kritischen Überprüfung der Angaben der Geschädigten fehle. Der Sachverständige setze sich weder mit anderen ärztlichen Unterlagen auseinander, die die Angaben der Geschädigten bestätigen könnten, noch gehe er auf die testdiagnostisch festgestellte und nicht auszuschließende Aggravationstendenz ein. Damit habe der Sachverständige nicht ausführlich und einleuchtend dargestellt, weshalb er ausschließen könne, dass die Geschädigte Beschwerden erfinde oder übertreibe.

Im Ergebnis sei das Gutachten des Sachverständigen zum Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung ungeeignet.

Fazit

Das Urteil des Oberlandesgericht Celle zeigt, mit welchen Anforderungen der Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung verbunden sein kann. Dies betrifft dabei neben haftungsrechtlichen Streitigkeiten auch Streitigkeiten mit der Berufsunfähigkeitsversicherung. Ob ärztliche Unterlagen ausreichen, um den Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erbringen, hängt dabei oftmals von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Daher kann es nach einer Leistungsablehnung des Versicherers durchaus sinnvoll sein, einem im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auch unter Berufsunfähigkeitsversicherung

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

Zum Anwaltsprofil

Rechtsanwalt erklärt, wie der Nachweis einer posttraumatischen Belastungsstörung gelingt.

Mandantenstimmen:

Mit unserer Kompetenz streiten wir ehrgeizig für Ihr Ziel, nämlich Ihre Interessen durchzusetzen! Wir freuen uns, dass unsere Mandanten-/-innen unser Engagement schätzen und positiv bewerten.

Hinweise zu Kundenbewertungen

Bleiben Sie informiert – unser Newsletter!

Verpassen Sie auch zukünftig keinen Beitrag unserer Kanzlei. Über unseren 2mal monatlich erscheinenden Newsletter erhalten Sie stets die aktuellen Beiträge unserer Kanzlei zu den Themen Versicherungsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Vertriebsrecht, Handelsvertreterrecht und Wettbewerbsrecht. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung.