Der BGH hatte sich mit Hinweisbeschluss vom 25.09.2019 (Az.: IV ZR 247/18) mit dem Erfordernis der positiven Kenntnis von den gefahrerheblichen Umständen bei der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung zu befassen.
Der Versicherungsnehmer schloss über einem für den Versicherer tätigen Versicherungsvertreter eine kapitalbildende Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab. In dem Antragsformular wurden die Fragen nach Krankheiten, Funktionsstörungen, Beschwerden und Behandlungen in den letzten fünf Jahren, nach (ambulanten) Operationen und stationären Aufenthalten in den letzten zehn Jahren sowie die Frage nach Unfällen (unerheblich sind einfache, folgenlos verheilte Knochenbrüche ohne Gelenkbeteiligung) verneint.
Tatsächlich hatte der Versicherungsnehmer jedoch im November 2008 eine Fraktur am linken Wadenbein erlitten, aufgrund der er vom 12.11 bis zum 16.11.2008 stationär behandelt worden war und vom 10.11.2008 bis 13.01.2009 arbeitsunfähig erkrankt war. Der Versicherer erfuhr hiervon im Rahmen einer Leistungsprüfung wegen einer anderen Erkrankung, die in den Jahren 2013 bis 2015 zu Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung führte.
Daraufhin macht der Versicherer von einem Recht zur Vertragsanpassung Gebrauch (siehe hierzu Die Vertragsanpassung des Versicherers). So schloss der Versicherer in die Versicherung rückwirkend ab deren Beginn eine besondere Vereinbarung ein, die sämtliche Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit vom Versicherungsschutz ausschließt, deren Ursache die Unfallverletzung am linken Außenknöchel des Fußes oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens bilden. Dabei berief er sich auf die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers.
Der Versicherungsnehmer berief sich hingegen darauf, dass ihm kein Verstoß gegen seine vorvertragliche Anzeigepflicht zur Last gelegt werden könne und der Versicherer demnach auch nicht zur Vertragsanpassung berechtigt sei. Er habe insbesondere dem Versicherungsvertreter gegenüber korrekt angegeben, im November 2008 eine Wadenbeinfraktur links erlitten zu haben und deshalb auch in stationärer Behandlung und krankgeschrieben gewesen zu sein. Nach seinem damaligen Kenntnisstand habe es sich um einen komplikationslosen und verheilten Bruch ohne Verletzung des Sprunggelenks gehandelt. Der Versicherungsvertreter habe ihm gesagt, die Fraktur müsse unter diesen Voraussetzungen nicht angegeben werden und darauf habe er sich verlassen.
Vor diesem Hintergrund verlangt der Versicherungsnehmer, die nachträglich aufgenommene Klausel wieder aus dem Vertrag herauszunehmen und die dadurch eingetretenen Änderungen rückgängig zu machen.
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Der BGH entschied, dass dem Versicherer kein Recht zur Vertragsanpassung zusteht, da der Versicherungsnehmer seine vorvertragliche Anzeigepflicht bereits objektiv nicht verletzt habe. Das Recht des Versicherers zur Vertragsanpassung entstehe nur dann, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflicht verletzt, dem Versicherer die ihm bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannten Gefahrumstände anzuzeigen. Daran fehle es hier, denn nach den Feststellungen der Vorinstanzen sei dem Versicherten zum Zeitpunkt der Antragsstellung der vom Versicherer erfragte gefahrerhebliche Umstand einer Gelenkbeteiligung an seinem Knochenbruch nicht bekannt gewesen.
Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers setze positive Kenntnis von einem gefahrerheblichen Umstand voraus. Diese positive Kenntnis gehöre zum objektiven Tatbestand der Anzeigepflicht, den der Versicherer zu beweisen habe. Denn die Pflicht, dem Versicherer bestimmte Umstände oder Tatsachen anzuzeigen, setze stets voraus, dass der Versicherungsnehmer Kenntnis von eben diesen Umständen oder Tatsachen hat. Fehlt ihm diese Kenntnis, läuft die Anzeigepflicht ins Leere. Schon objektiv könne der Anzeigepflichtige sie nicht verletzen, denn es gibt nichts, worüber er nach seinem Kenntnisstand seinen Versicherer aufklären könnte.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sei der Versicherungsnehmer bei Antragsstellung davon ausgegangen, dass eine Gelenkbeteiligung bei der Fraktur nicht vorgelegen habe. Bereits in der Klageschrift habe der Versicherte geltend gemacht, die Gesundheitsfragen „nach bestem Wissen und Gewissen“ beantwortet zu haben und immer von einem Wadenbeinbruch ausgegangen zu sein, weshalb ihm keine Anzeigepflichtverletzung angelastet werden könne. Auch bei seiner Anhörung habe er angegeben, dass ihm Schäden am Gelenk und an den Bändern nicht bekannt gewesen seien und er somit die Gesundheitsfragen entsprechend seinem damaligen Kenntnisstand beantwortet habe. Dem insoweit beweisbelasteten Versicherer sei es nicht gelungen, dies zu widerlegen.
Auch eine von den Vorinstanzen angenommene „allenfalls leichteste Fahrlässigkeit“ vermöge eine Anzeigepflichtverletzung nicht zu begründen. Denn ein Versicherungsnehmer verletze seine Anzeigepflicht nicht, wenn er einen Umstand nicht angibt, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Fahrlässige Unkenntnis vermöge mithin die fehlende Kenntnis eines anzeigepflichtigen Umstandes nicht zu ersetzen.
Ein Verstoß des Versicherungsnehmers gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht setzt eine positive Kenntnis von den anzeigepflichtigen, gefahrerheblichen Umständen voraus. Der BGH stärkt mit seinem Urteil dabei nochmals die Rechte der Versicherten.
Die Anforderungen an einen Verstoß gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht sollten nicht unterschätzt werden. Beruft sich ein Versicherer auf einen Verstoß gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht, so kann es durchaus sinnvoll sein, einem im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow zur Verfügung.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
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