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Gliedertaxe: Mehrfache Beeinträchtigung desselben Körperteils

Der BGH hatte in seinem Urteil vom 14.12.2011 (Az.: IV ZR 34/11) zu entscheiden, ob Invaliditätswerte bei mehrfacher Beeinträchtigung desselben Körperteils zu addieren sind.

Addition der Invaliditätswerte?

Der Versicherungsnehmer unterhielt eine Unfallversicherung. Am 09.08.2003 stützte er, wobei er sich unter anderem das Schultergelenk des rechten Armes auskugelte und es zu einer Schädigung des den Arm und die Hand versorgenden Nervengeflechts kam. Der Versicherungsnehmer machte auf dieser Grundlage Invaliditätsansprüche aus der Unfallversicherung geltend. Hierzu behauptet er, bei ihm liege eine vollständige Funktionslosigkeit des rechten Arms vor, weshalb gemäß Gliedertaxe ein Invaliditätsgrad von 70% zu Grunde zu legen sei. Dabei addierte er die Beeinträchtigungen der Schulter und der Hand.

Der Versicherer hingegen erkannte eine Funktionsbeeinträchtigung von 50% Armwert an und zahlte entsprechend. Daraufhin machte der Versicherungsnehmer den Differenzbetrag mit der Klage geltend.

Auslegung der Versicherungsbedingungen

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss, so der BGH. Es komme hierbei auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an.

Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers

Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnehme der Regelung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zunächst, dass der Versicherer eine Versicherungsleistung für den Fall verspricht, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistlichen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität bilden die Grundlage zur Berechnung der Leistung.

Wie sich die Höhe der Leistungen im Einzelfall bemisst, könne der Versicherte den Versicherungsbedingungen für die dort genannten Körperteilen und Sinnesorganen entnehmen. Die Gliedertaxe bestimme mithin nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder – diesem gleichgestellter – Funktionslosigkeit der in der Gliedertaxe benannten Glieder. Die Regelung beschreibe abgrenzbare Teilbereiche eines Armes und Beines und ordne jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des Teilgliedes steige. Die Gliedertaxe stelle damit für den Verlust und für die Funktionsunfähigkeit der in der Gliedertaxe genannten Gliedmaßen oder deren Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab.

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Systematik der Gliedertaxe

Der Versicherungsnehmer könne der Systematik der Gliedertaxe ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein zusammenhängenden Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festgesetzt werden, die beim Arm mit der Bewertung der Invalidität eines Fingers mit 5% beginnen und mit dem Arm im Schultergelenk mit 70% enden. Die Gliedertaxe trage hiermit dem Umstand Rechnung, dass Gliedverluste mit zunehmender Rumpfnähe an der Stelle, an der das Körperglied verloren gegangen ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Leistungsfähigkeit von Menschen führen. Gleiches gelte bei der vollständigen oder teilweisen Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedes.

Vor diesem Hintergrund erkenne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, dass der Verlust bzw. die Funktionsunfähigkeit des Armes im Schultergelenk (nur) deshalb mit dem höchsten Invaliditätsgrad von 70% bemessen werde, da hierin zugleich eine Beeinträchtigung der übrigen Teilglieder des Armes mit enthalten sei. Insbesondere sei in jedem Invaliditätssatz der Gliedertaxe bereits die Auswirkung des unfallbedingten Verlustes eines Gliedes auf den verbleibenden Gliedrest mitberücksichtigt. Hieraus folge schließlich auch das Ansteigen des Invaliditätsgrades mit zunehmender Rumpfnähe des Gliedverlustes bzw. der Funktionsstörung.

Keine Addition einzelner Invaliditätswerte

Es finde keine Addition der Invaliditätswerte statt, wenn neben Verlust der Funktionsunfähigkeit eines rumpfnäheren Körperteils zugleich Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines rumpfferneren Körperteils vorliege. Diesen Grundsatz könne der Versicherungsnehmer auch daraus entnehmen, dass für den gesamten Arm im Schultergelenk lediglich eine maximale Invalidität von 70% vorgesehen ist. Denn seien die einzelnen Invaliditätsgrade der Teilglieder zu addieren, so würde der Versicherungsnehmer bereits bei vollständiger Invalidität der Hand im Handgelenk, des Daumens sowie der Finger eine Invalidität von 100% erreichen. Käme noch der Arm unterhalb oder oberhalb des Ellenbogengelenkes hinzu, so ergäbe sich häufig eine Invalidität von deutlich über 100%.

Bei Beeinträchtigungen mehrerer Körperteile oder Sinnesorgane seien hingegen die ermittelten Invaliditätsgrade zusammenzurechnen. Diese Addition greife jedoch nur ein, wenn isolierte Invaliditätsgrade anzusetzen sind. Dies könne etwa in Betracht kommen, wenn der Arm und das Bein gleichzeitig beeinträchtigt sind. Ein solcher Fall liege hier allerdings nicht vor.

Im Ergebnis entschied der BGH zu Lasten des Versicherungsnehmers: Ihm stehe eine über 52,5% hinausgehende Invaliditätsentschädigung jedenfalls nicht zu.

Fazit

Ob einzelne Invaliditätswerte addiert werden können, hängt nach der Entscheidung des BGH also davon ab, ob eine mehrfache Beeinträchtigung desselben Körperteils vorliegt oder aber mehrere Körperteile unabhängig voneinander betroffen sind. Diese Unterscheidung kann erhebliche Auswirkungen haben, gerade wenn im Versicherungsvertrag eine Progression vereinbart wurde. Eine Progression führt nämlich dazu, dass bei höheren Invaliditätsgraden die Versicherungsleistungen überproportional steigen.

Es kann daher durchaus empfehlenswert sein, eine Leistungsabrechnung der Unfallversicherung einer rechtlichen Prüfung durch einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt unterziehen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Einen weiterführenden Artikel zu Gliedertaxe finden Sie hier: Die Gliedertaxe in der Unfallversicherung

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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