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Die Gliedertaxe und der Sitz der unfallbedingten Schädigung (BGH)

Der BGH entschied mit Urteil vom 01.04.2015 – IV ZR 104/13 darüber, auf welches Körperteil bei der Ermittlung der Invalidität im Rahmen der Gliedertaxe abzustellen ist und welche Rolle der Sitz der unfallbedingten Schädigung dabei spielt.

Unfallbedingte Schädigung an der Schulter

Zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer bestand eine Unfallversicherung. Der Versicherungsnehmer schlug am 08.10.2005 bei einem Sturz mit der linken Schulter auf und zog sich dabei eine Schulterprellung und eine Sprengung des linken Schultereckgelenkes – der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Schulterblatt – mit positivem Klaviertastenphänomen zu. Innerhalb eines Jahres nach dem Sturz traten dauerhafte Beeinträchtigungen im Bereich der linken Schulter auf, deren Umfang streitig ist. Der den Versicherungsnehmer behandelnde Arzt attestierte am 13.010.2006 eine Gebrauchsminderung der linken Schulter als Dauerschaden.

Der Versicherte war bereits im Jahre 1999 auf seinen linken Arm gestürzt. Der Versicherer hatte seinerzeit unter Heranziehung der Gliedertaxe eine Invaliditätsleistung auf Grundlage einer Invalidität von 1/7 Armwert erbracht. Für die Folgen des Unfalls vom 08.10.2005 lehnte der Versicherer jedoch die Zahlung ab, weil eine dauerhafte Schädigung nicht objektivierbar sei. Der Versicherungsnehmer machte hingegen einen Invaliditätsgrad von mindestens 3/7 Armwert geltend.

Das Landgericht bestimmte den Invaliditätsgrad des Versicherten nach Einholung zweier medizinischer Gutachten mit 1/10 Armwert und sprach dem Versicherten die entsprechende Invaliditätsleistung zu. Das Berufungsgericht wies die dagegen gerichtete Berufung des Versicherten zurück. Mit der Revision verfolgt der Versicherungsnehmer nunmehr sein ursprüngliches Klagebegehren weiter und fordert den Differenzbetrag zwischen seiner ursprünglichen Klagforderung und der vom Landgericht zugesprochenen Summe.

Auslegung der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen

Der Bundesgerichtshof führte in seinem Urteil zunächst aus, dass die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen so auszulegen seien, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Es komme dabei auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Die Versicherungsbedingungen seien aus sich heraus zu interpretieren, wobei in erster Linie vom Bedingungswortlaut auszugehen sei. Zusätzlich sei der verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherten erkennbar sind.

Feste Invaliditätsgrade nach generellem Maßstab

Nach Auffassung des BGH entnehme ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer den Regelungen der Gliedertaxe in den Versicherungsbedingungen zunächst, dass der Versicherer ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Die Gliedertaxe bestimme dann nach einem abstrakten und generellen Maßstab festgesetzte Invaliditätsgrade bei Verlust bzw. Funktionsunfähigkeit der Glieder oder abgegrenzten Teilbereiche eines Gliedes. Die Gliedertaxe stelle damit für den Verlust und für die Funktionsunfähigkeit der Gliedmaßen oder deren Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab.

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Nur die in der Gliedertaxe benannten Glieder sind erfasst

Der Systematik der Gliedertaxe könne der Versicherungsnehmer ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein zusammenhängende Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festgesetzt werden, die beim Arm mit der Bewertung der Invalidität eines Fingers mit 5 % beginnen und des (gesamten) Armes mit 70 % enden. Hiermit trage die Gliedertaxe dem Umstand Rechnung, dass Gliedverluste mit zunehmender Rumpfnähe der Stelle, an der das Körperglied verloren gegangen ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Leistungsfähigkeit von Menschen führen.

Betrachte der Versicherte die für Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Armes getroffene Regelung vor diesem Hintergrund, so weise ihn nichts darauf hin, dass der gesamte Schultergürtel zum Arm zählen und eine dort eintretende Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als bedingungsgemäße Funktionsstörung des Armes gelten soll. Vielmehr werde der durchschnittliche Versicherungsnehmer der von 5 % bis 70 % reichenden Staffelung entnehmen, dass zum Arm nur die in der Gliedertaxe im Einzelnen benannte Teile, nämlich die Finger, die Hand, der Arm unterhalb und bis oberhalb des Ellenbogens und schließlich der restliche Arm zählen sollen. Teile der Schulterpartie, mögen sie auch funktionell dazu bestimmt sein, die zwischen Arm und Rumpf auftretenden Kräfte aufzunehmen und somit die Funktionsfähigkeit des Armes zu gewährleisten, werde er nicht als vom Bedingungswortlaut erfasst ansehen.

Abstellen auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung

Weiterhin deute nichts darauf hin, dass auch die Schädigung von nicht in der Gliedertaxe aufgeführten Körperpartien nach der Gliedertaxe eingestuft werden soll, sofern sich diese Schädigung lediglich auf den Gebrauch der in der Gliedertaxe aufgeführten Gliedmaßen auswirkt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkenne vielmehr, dass die Gliedertaxe durchgängig auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung abstelle. Dies gelte entgegen der Auffassung des Versicherers nicht nur für die Einordnung einer Schädigung in die von der Gliedertaxe angeführten Teilbereiche eines Armes oder Beines, sondern auch für die Abgrenzung zu nicht in der Gliedertaxe aufgeführten Körperteilen.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte hielt es der BGH einen höheren Invaliditätsgrad als vom erstinstanzlichen Landgericht angenommen für möglich und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Fazit

Die Gliedertaxe ist in den Allgemeinen Unfallversicherungen geregelt und unter Zugrundelegung des Verständnisses eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen. Für die Bemessung des Invaliditätsgrades kommt es daher auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung.

Im Einzelfall kann es aber durchaus schwierig sein, den Sitz der unfallbedingten Schädigung und damit die Invaliditätsleistung anhand der Gliedertaxe genau zu bestimmen. Daher kann es kann durchaus sinnvoll sein, im Zweifelsfall einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen zur Gliedertaxe finden Sie hier: Die Gliedertaxe in der Unfallversicherung

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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