Die Antragsfrage nach Beschwerden in der Krankenversicherung (OLG Hamm)

Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage der Auslegung der Antragsfrage nach Beschwerden bezüglich einer privaten Krankenversicherung zu befassen gehabt (OLG Hamm, Urt. v. 19.12.1986 – 20 U 178/86).

Falschbeantwortung der Antragsfrage nach Beschwerden?

Der Versicherungsnehmer unterhielt bei dem Versicherer eine private Krankenversicherung. Das in Rede stehende Antragsformular enthielt unter anderem die Frage:

„Bestanden in den letzten 5 Jahren oder bestehen gegenwärtig Krankheiten, Unfallfolgen oder Beschwerden, oder haben in den letzten 5 Jahren Röntgen-, Radium-, Kobaltbehandlungen stattgefunden?”.

Der Versicherungsnehmer verneinte diese Frage, woraufhin der Versicherer den Antrag annahm. Im Jahre 1985 musste sich der Versicherungsnehmer wegen Schmerzen im Hüftbereich in ärztliche Untersuchung begeben, welche zur Feststellung eines Krebsleidens führte. Aus diesem Grund befand sich der Versicherungsnehmer in ständiger ärztlicher Behandlung. In diesem Zusammenhang nahm er den Versicherer auf Ersatz der von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gedeckten Behandlungskosten in Anspruch.

Der Versicherer holte daraufhin Auskünfte der behandelnden Ärzte ein, aus denen sich ergab, dass der Versicherungsnehmer den Ärzten seit Jahren bestehende Kreuzschmerzen und Beschwerden beim Wasserlassen angegeben hatte, die Anlass zu urologischen Untersuchungen gewesen waren. Anschließend erklärte der Versicherer den Rücktritt vom Versicherungsvertrag mit der Begründung, dass der Versicherungsnehmer seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt habe, da er bei Antragstellung die Kreuzschmerzen nicht angegeben habe. Auf Gegenvorstellungen des Versicherten sagte der Versicherung zwar eine teilweise Kostenübernahme zu, hielt indes an dem Rücktritt fest. Diesen stützte der Versicherer nunmehr auch darauf, dass der Versicherte die seit Jahren bestehenden Prostatabeschwerden nicht angegeben hatte.

Der Versicherungsnehmer verfolgte sein Begehren zunächst ohne Erfolg vor dem Landgericht und macht seinen Anspruch nunmehr vor dem Oberlandesgericht geltend.

Rücktritt vom Vertrag wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung

Der Versicherungsnehmer habe bei Abschluss des Versicherungsvertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich seien dabei solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt habe, gelte im Zweifel als erheblich.

Verletzt der Versicherungsnehmer diese vorvertragliche Anzeigepflicht, indem er es unterlässt, erhebliche Umstände anzuzeigen, oder indem er hierüber unrichtige Angaben macht, könne der Versicherer innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Anzeigepflichtverletzung von dem Vertrag zurücktreten. Ein solcher Rücktritt sei nur dann ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht oder unrichtig angezeigten Umstand bereits kannte oder wenn den Versicherten kein Verschulden trifft.

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Krankheitswert der Schmerzen unerheblich

Der Versicherungsnehmer habe die im Versicherungsantrag gestellte Frage nach Beschwerden objektiv falsch beantwortet, weil er sie zu Unrecht verneint habe, so das OLG. Denn der Versicherte habe seit Jahren an Rückenschmerzen gelitten. Dies lasse den sicheren Schluss zu, dass er innerhalb des erfragten Zeitraums von 5 Jahren vor Antragsstellung keineswegs beschwerdefrei gewesen sei.

Unerheblich sei hierbei, ob die Rückenschmerzen bereits Krankheitswert hatten oder ob der Versicherungsnehmer selbst ihnen Krankheitswert zugemessen habe. Denn im Antrag sei nicht nur nach Krankheiten, sondern auch nach „Beschwerden“ gefragt worden. Das seien Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens von einigem Gewicht, auch wenn sie noch keinem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden können. Zwar gebe es Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens, die so geringfügig oder, weil jedermann betreffend, so selbstverständlich sind, dass sie im Antrag nicht ausdrücklich ausgeführt zu werden brauchen.

Die Beschwerden des Versicherten zählen nach Auffassung des OLG jedoch zweifelsfrei nicht zu derartig geringfügigen Beschwerden dazu. Das ergebe sich daraus, dass die Rückenbeschwerden bereits seit etwa 1959 bestanden, 1974 Anlass für eine Röntgenaufnahme des Rückenmarks gewesen waren und schließlich Anlass zu regelmäßiger physiotherapeutischer Behandlung gewesen sind. Der Versicherungsnehmer selbst habe sie als immerhin so schwerwiegend empfunden, dass er sie bei den Untersuchungen im Jahre 1985 den Ärzten bei der Anamnese angegeben habe.

Anlass zur ärztlichen Untersuchung

Darüber hinaus habe der Versicherungsnehmer auch seine Beschwerden beim Wasserlassen nicht angegeben. Indessen habe er Ende Juli 1985 bei einer Untersuchung seit 1980 bestehende Beschwerden angegeben, die der Arzt als Prostatitis gedeutet habe. Darüber hinaus habe der Versicherte angegeben, er sei wegen dieser Beschwerden zweimal urologisch untersucht worden, wobei auch Blasenspiegelungen und Blutentnahmen vorgenommen worden seien. Allerdings sei es unerheblich, dass die urologischen Untersuchungen zu keinem Befund mit Krankheitswert geführt haben und dass der Versicherungsnehmer geglaubt habe, nicht organisch erkrankt zu sein. Entscheidend sei vielmehr allein, dass er an Beschwerden litt, deren Ursache ungeklärt war. Diese Beschwerden seien immerhin so schwerwiegend gewesen, dass sie ihm Anlass zu zweimaliger fachärztlicher Untersuchung gegeben haben. Demnach hätten sie bei Antragstellung ebenfalls angegeben werden müssen, so das OLG.

Vorwurf leichter Fahrlässigkeit

Schließlich seien Gründe, die die unterlassene Anzeige der Rückenschmerzen sowie der Beschwerden beim Wasserlassen entschuldigt erscheinen lassen könnten, nicht ersichtlich. Insbesondere entlaste es den Versicherten nicht von dem Vorwurf zumindest leichter Fahrlässigkeit, dass er glaubte, nicht organisch erkrankt zu sein. Vielmehr habe er bei gebotener Sorgfalt erkennen können und müssen, dass in dem Antrag nicht nur nach Krankheiten, sondern auch nach Beschwerden gefragt war. Der Versicherer sei auch im Falle leichter Fahrlässigkeit des Versicherten zum Rücktritt berechtigt. Somit sei der Versicherer wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten.

Fazit und Hinweise

Die Antragsfrage nach Beschwerden betrifft im Gegensatz zu der Antragsfrage nach Krankheiten auch solche körperlichen Beeinträchtigungen, die noch keinem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden können. Eine solche anzugebende Beeinträchtigung liegt jedenfalls dann vor, wenn sie dem Versicherungsnehmer Anlass zu ärztlicher Untersuchung gibt. Demgemäß kann sich der Versicherungsnehmer auch nicht mit dem Umstand entlasten, dass er glaubte, nicht organisch erkrankt zu sein. Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens jedoch, die so geringfügig oder, weil jedermann betreffend, so selbstverständlich sind, brauchen im Versicherungsantrag nicht ausdrücklich aufgeführt werden.

Ein weiterführender Artikel zu dem Themenbereich „Antragsfragen des Versicherers“ ist nachstehend zu finden: Auslegung von Antragsfragen des Versicherers.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt erklärt wie die Antragsfrage nach Beschwerden in der Krankenversicherung auszulegen ist

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