Schadensminderungspflicht trotz endgütiger Leistungsverweigerung des Versicherers? (OLG Saarbrücken)

Das OLG Saarbrücken hatte sich mit Urteil vom 08.05.2002 (Az.: 5 U 846/00)  mit der Frage zu befassen, ob den Versicherungsnehmer eine Schadensminderungspflicht trotz endgültiger Leistungsverweigerung des Versicherers besteht.

Leistungsverweigerung nach einem Brand

Die Versicherungsnehmer betrieben im Erdgeschoss eines Anwesens einen türkischen Lebensmittelladen. Sie schlossen dafür u.a. eine Inhaltsversicherung mit einer Betriebsunterbrechungsversicherung ab, die unter anderem das Risiko Feuer decken sollte. Der Versicherer gewährte den Versicherungsnehmern auch vorläufige Deckung.

Es entstand in der Nacht des 18.07.1997 ein Brand im zweiten Obergeschoss des Anwesens. Infolge der damit einhergegangenen Einwirkungen von Löschwasser, Hitze und Brandemissionen kam es in den Geschäftsräumen der Versicherungsnehmer zu erheblichen Schäden an den Einrichtungen und Vorräten. Dies führte dazu, dass der Lebensmittelladen für einen gewissen – zwischen den Parteien streitigen – Zeitraum nicht mehr von Kunden betreten werden konnte. Der von den Versicherungsnehmern unverzüglich unterrichtete Versicherer beauftragte daraufhin einen Gutachter zur Ermittlung der Schadenshöhe. Wenige Tage später lehnte der Versicherer jeglichen Versicherungsschutz wegen Prämienverzuges ab.

Die Versicherungsnehmer vertreten die Auffassung, sie könnten vom Versicherer eine Entschädigung nach dem Neuwert der durch den Brand beschädigten Einrichtung sowie der Vorräte verlangen. Dazu behaupten sie, die Einrichtungsgegenstände und Vorräte seien von vornherein und vor allem durch Geruchseinwirkungen unbrauchbar gewesen. Eine Reinigung hätte den Neuwert übersteigende Kosten verlangt und sei im Übrigen vom Versicherer unmöglich gemacht worden, da dieser den Versicherungsschutz abgelehnt und keinen Vorschuss auf die Entschädigung gezahlt habe. Die Versicherungsnehmer hätten die Kosten der Reinigung nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können. Darüber hinaus behaupten sie, ihnen seien Entsorgungskosten und ein Schaden wegen Aufräumungs-, Reinigungs- und Entsorgungsarbeiten durch Angehörige und Freunde, die mehrere hundert Stunden Arbeit geleistet hätten, entstanden. Ferner stehe ihnen eine Entschädigung wegen der Betriebsunterbrechung zu, die – über den November 1997 hinaus – sowohl auf dem Versicherungsvertrag als auch auf Verzug gründe.

Der Versicherer meint wiederum, er schulde den Versicherungsnehmern nicht mehr als die bereits gezahlten Beträge. Es handele sich dabei um eine Entschädigung für die durch das Brandereignis unbrauchbar gewordenen Vorräte und im Übrigen um die Reparatur- und Reinigungskosten. Zu mehr sei er nach dem Versicherungsvertrag nicht verpflichtet. Zudem scheitern weitergehende Ansprüche der Versicherungsnehmer bereits daran, dass sie die ihnen mögliche und zumutbare Maßnahme der Reinigung und Entsorgung nicht vorgenommen und ihr Geschäft schließlich aufgegeben hätten. Im Übrigen hätten die Versicherungsnehmer erhebliche Teile der früheren Einrichtung ihres Geschäfts gegen Entgelt veräußert.

OLG Saarbrücken urteilt zur Schadensminderungspflicht

Die Versicherungsnehmer können eine Entschädigung wegen der schädlichen Folgen des Brandes an Inventar, Warenbeständen und für ihren entgangenen Gewinn aufgrund der Betriebsunterbrechung beanspruchen, so das OLG Saarbrücken. Die Höhe der geschuldeten Leistung bestimme sich nach dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag über die vorläufige Deckung. Danach werde bei zerstörten Sachen der Versicherungswert – vorliegend der Neuwert – ersetzt. Bei beschädigten Sachen schulde der Versicherer die notwendigen Reparaturkosten zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zuzüglich einer durch den Versicherungsfall etwa entstandenen durch die Reparatur nicht ausgeglichenen Wertminderung. Für den Umfang komme es danach regelmäßig auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls und nicht auf danach eingetretene Umstände an. In diesem Zusammenhang bleiben Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass reparaturfähige Gegenstände nicht unverzüglich wieder hergestellt werden, bei der Berechnung der Höhe der vertraglich geschuldeten Entschädigung außer Betracht.

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Zeitliche Bestimmung der Schadenshöhe

Die Versicherungsnehmer hätten indes nicht bewiesen, dass im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls alle oder jedenfalls wesentliche Einrichtungsgegenstände und alle Waren zerstört waren. Insoweit hätten sie zwar behauptet, das Inventar sei insgesamt so durch Löschwasser, Rußentwicklung und Hitzeeinwirkung geruchsbehaftet gewesen, dass sich eine Reinigung und Instandsetzung weder in wirtschaftlicher Hinsicht gelohnt hätte noch gesundheits- oder gewerberechtlich zulässig gewesen sei. Hiergegen spreche, dass die Versicherungsnehmer behaupten, sie hätten, wenn der Versicherer geleistet hätte, die Einrichtungsgegenstände sofort gereinigt und ihr Geschäft weiterbetrieben.

Auch nach den Aussagen des Gutachters habe zwar das Risiko, dass sich die Verunstaltungen und Beeinträchtigungen der Einrichtungsgegenstände durch die Brandfolgen innerhalb weniger Wochen weiter fressen und das gesamte Inventar unbrauchbar machen könnten, bestanden, zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls sei eine Rettung jedoch möglich gewesen. Es sei ebenfalls bestätigt worden, dass eine Reparatur der Kühlaggregate zwar unkalkulierbar teuer – nicht aber teurer als eine Neuanschaffung – aber möglich gewesen wäre. Damit hätten die Wiederherstellungskosten deutlich unter dem sich aus der Schadensermittlung ergebenden Neuwert gelegen. Von einem wirtschaftlichen Totalschaden, der es erlauben würde, von einer Zerstörung der Inventargegenstände und aller Waren bei Eintritt des Versicherungsfalls auszugehen, könne folglich keine Rede sein.

Ernsthafte und endgültige Verweigerung der Leistung

Die Versicherungsnehmer können dennoch vom Versicherer über die nach dem Versicherungsvertrag geschuldete Entschädigung hinaus Schadensersatz wegen Verzuges verlangen, da der Versicherer definitiv Versicherungsschutz abgelehnt und so mit der geschuldeten Entschädigung ohne Rücksicht darauf, ob seine Leistungspflicht bereits nach Grund und Höhe festgestellt war, in Verzug geraten sei. Da der Versicherer die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert habe, habe es keiner Mahnung bedurft.

Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers

Die Versicherungsnehmer haben unabhängig von der versicherungsvertraglichen Obliegenheit, Weisungen des Versicherers einzuholen und zu befolgen. Auch haben sie die ihnen möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Abwendung und Minderung des Schadens zu treffen. Dies gelte dem Grunde nach auch, wenn der Versicherer seine Eintrittspflicht verneint, denn es handele sich um eine allgemeine, das Gebot von Treu und Glauben konkretisierende Rechtspflicht, die unabhängig von der Art und Weise der Rechtsverletzung durch den Schädiger bestehe.

Allerding könne vertragsuntreues Verhalten des Versicherers dazu führen, dass er sich auf die Verletzung der Schadenminderungspflicht nicht berufen kann oder die Abwägung ergibt, dass ihre Verletzung zu keiner Minderung des Ersatzanspruchs führe. Demgemäß hätten die Versicherungsnehmer, um den Verzögerungsschaden des Versicherers gering zu halten, noch brauchbare Vorräte säubern, vor allem aber Einrichtungsgegenstände reinigen und reparieren können. Dies sei ihnen jedoch nicht zumutbar gewesen. Der vertragliche Entschädigungsanspruch der Versicherungsnehmer scheitere also nicht daran, dass der Versicherer wegen der Verletzung der Schadensminderungspflicht leistungsfrei wäre. Denn Rettungsmaßnamen hätten den nach den Kosten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls berechneten vertraglichen Entschädigungsanspruch nicht zu mindern vermocht.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken zeigt wie problematisch eine Schadensminderungspflicht trotz endgütiger Leistungsverweigerung des Versicherers sein kann. Im Zweifel kann es sich daher durchaus empfehlen einen im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt mit der genauen Prüfung des Einzelfalles zu beauftragen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie zudem auch unter Die Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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