Im Rahmen des Versicherungsrechts stellt sich häufig die Frage, ob den Versicherungsnehmer eine Schadensminderungspflicht getroffen hat. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über die Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers.
Der Versicherungsnehmer ist bei Eintritt des Versicherungsfalls gehalten, den Schaden nach Möglichkeit abzuwenden oder zumindest zu mindern. Diese umgangssprachliche Schadenminderungspflicht, welche konkret eigentlich eine Rettungsobliegenheit darstellt, soll im Interesse des Versicherers ein Verhalten des Versicherungsnehmers bei Eintritt des Versicherungsfalls gewährleisten, dass dieser auch an den Tag legen würde, wenn er nicht versichert wäre. Der Versicherungsnehmer soll also nach § 82 VVG alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Abwendung oder Minderung des Schadens treffen.
Die Schadenminderungspflicht ist bei Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen. Damit sind die in den jeweiligen Bedingungswerken enthaltenen Bestimmungen über den Eintritt des Versicherungsfalls auch für den zeitlichen Beginn der Schadenminderungspflicht maßgebend (siehe auch Definition des Versicherungsfalles bestimmt auch Beginn der Schadensminderungspflicht (BGH)). Im Rahmen der Sachversicherung ist der Anfang des Schadens entscheidend. Die Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls wird indes nicht vorausgesetzt (BGHZ 52, 86, 88).
Für die Dauer der Schadenminderungspflicht gilt keine feste zeitliche Grenze, vielmehr besteht sie fort, solange der versicherte Schaden oder ein versicherter Folgeschaden abgewendet oder verringert werden kann (Saarbrücken VersR 1998, 1499, 1500). Es handelt sich also um eine Dauerobliegenheit, die auch ein mehrmaliges Handeln erfordern kann.
Die Schadenminderungspflicht endet im Allgemeinen jedoch mit der Leistung der Entschädigung durch den Versicherer. Die Schadenminderungspflicht bleibt aber auch bei endgültiger Ablehnung der Leistung durch den Versicherer bestehen (siehe auch Schadensminderungspflicht trotz endgütiger Leistungsverweigerung des Versicherers? (OLG Saarbrücken)).
Es kommen alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen als Rettungsmaßnahmen in Betracht, die eine unversicherte Person in der jeweiligen Situation ergriffen hätte (Hamburg VersR 1984, 1088, 1089). Die Schadenminderungspflicht ist bereits dann verletzt, wenn eine solche Maßnahme nicht durchgeführt wurde. Vor diesem Hintergrund ist der Versicherungsnehmer jedoch nicht zu Maßnahmen verpflichtet, deren Sinnlosigkeit offen zu Tage tritt (siehe auch Zumutbarkeit der Schadensminderungsnahmen (Düsseldorf )).
In der Praxis wird die Schadenminderungspflicht häufig durch die AVB näher bestimmt. Weitere Konkretisierungen der Schadensminderungspflicht können sich zudem aus den Weisungen des Versicherers ergeben. Ansonsten hat der Versicherungsnehmer die erforderlichen Rettungshandlungen selbst zu konkretisieren.
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Die Schadenminderungspflicht ist auf die Abwendung oder Minderung des Schadens gerichtet. Unter dem Abwendungsbegriff versteht man eine nach Möglichkeit vollständige Verhinderung des Schadenseinstritts. Die Obliegenheit zur Minderung des Schadens greift erst dann ein, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist. In diesem Fall ist der Versicherungsnehmer gehalten, alles Mögliche zu tun, um den Schaden möglichst gering zu halten. Idealerweise soll der Schadensverlauf durch Ergreifen sämtlicher Maßnahmen, die den Verlauf des Schadens günstig beeinflussen, vollständig rückgängig gemacht werden, so dass man nahezu von einer Abwendung des Schadens sprechen könnte.
Die Schadenminderungspflicht bezieht sich auf alle Gegenstände, die für den Umfang des versicherten Schadens relevant sind. Demnach hat der Versicherungsnehmer z.B. im Falle eines Gebäudebrandes auch dafür zu sorgen, dass durch Löschhelfer, Plünderer oder Witterungseinflüsse keine weiteren Schäden entstehen (Hamm VersR 1984, 175, 176). Nach einem Brand kann auch die Reinigung des mitversicherten Inventars zu den Rettungsobliegenheiten gehören (siehe auch Schadensminderungspflicht nach Brand (Düsseldorf)).
Zu beachten ist, dass sich die Schadenminderungspflicht auf den Schaden an den versicherten Gegenständen bezieht, nicht jedoch auf die Minderung der Entschädigungsleistung des Versicherers. Der Versicherungsnehmer muss also nicht im Allgemeinen dafür sorgen, dass die Leistungspflicht des Versicherers möglichst gering ausfällt. Ebenso wenig ist der Versicherungsnehmer gehalten, den Versicherer im Rahmen der Schadenminderungspflicht bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu unterstützen. Eine entsprechende Obliegenheit könnte allerdings in den AVB vereinbart sein.
Weiterhin gilt die Obliegenheit nur für die Minderung oder Abwendung des eingetretenen Schadens, nicht für die Vermeidung eines neuen, selbstständigen Schadens (Düsseldorf VersR 1975, 462). Der Versicherungsnehmer hat den Eintritt künftiger Versicherungsfälle auch dann nicht zu verhindern, wenn die Gefahr besteht, dass weitere Versicherungsfälle aus der gleichen Ursache (z.B. aufgrund desselben Produktfehlers) wie der aktuelle Versicherungsfall eintreten oder durch diesen verursacht werden (OLG Düsseldorf VersR 1975, 462).
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Die Schadenminderungspflicht steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und Zumutbaren. Die Frage, ob eine Abwendung oder Minderung des Schadens möglich war, ist dabei aus der ex-ante-Perspektive eines ordentlichen Versicherungsnehmers zu beurteilen (BGH VersR 1972, 1039 (1040). Dabei ist nicht notwendig, dass der Erfolg sicher vorhersehbar war. Der Versicherungsnehmer muss sich um die Rettung des versicherten Interesses bemühen, sofern die zur Verfügung stehenden Maßnahmen nicht offensichtlich ungeeignet oder sinnlos erscheinen (OLG Düsseldorf VersR 2001, 1281).
Hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Rettungshandlung ist eine Interessensabwägung im Einzelfall anzustellen. Demnach ist eine entsprechende Maßnahme umso eher vorzunehmen, je geringer der erforderliche Aufwand des Versicherungsnehmers ist. Insbesondere braucht der Versicherungsnehmer keinesfalls hochwertige eigene Rechtsgüter in Gefahr bringen, um die versicherte Sache zu retten (siehe auch Die Grenze für zumutbare Rettungsmaßnahmen (BGH)). Demnach braucht sich der Versicherungsnehmer keiner Gefahr für Leib oder Leben auszusetzen (Karlsruhe VersR 1994, 468, 469), etwa indem er einen Einbrecher vertreibt. Im Übrigen ist abzuwägen, in welchem Maße und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Schaden durch bestimmte Maßnahmen abgewendet oder gemindert werden kann. Wenn die Erfolgsaussichten ohnehin sehr gering sind, muss der Versicherungsnehmer also keine gravierenden Einbußen auf sich nehmen.
Steht der Versicherungsnehmer vor der Entscheidung, ob er ein versichertes oder ein unversichertes Interesse rettet, gilt in jedem Fall der Vorrang der Rettung von Leib und Leben Dritter vor der Rettung versicherter Sachen. Abweichend davon ist der Versicherungsnehmer in Fällen, in denen sich versicherte und unversicherte Sachen gegenüberstehen, in jedem Fall gehalten, sich primär um die Rettung der versicherten Sache zu bemühen.
Der Versicherer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Verletzung der Schadenminderungspflicht und muss nachweisen, dass der Versicherungsnehmer eine zur Abwendung oder Minderung des Schadens geeignete, zumutbare Handlung versäumt hat. Die Beweislast erstreckt sich indes nicht auf die Frage des Erfolges der gebotenen Handlung (BGH VersR 1972, 1039 (1040).
Auf subjektiver Seite trifft den Versicherungsnehmer die Beweislast für das Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit. Hinsichtlich des Vorsatzes und der Arglist des Versicherungsnehmers ist hingegen der Versicherer beweispflichtig.
Der Versicherer bliebt grundsätzlich leistungspflichtig, sofern die Verletzung der Schadenminderungspflicht im konkreten Einzelfall weder für die Feststellung des Versicherungsfalles noch für den Umfang der Leistungspflicht ursächlich geworden ist. Dieser Umstand ist vom Versicherungsnehmer zu beweisen. Demnach kann sich der Versicherungsnehmer mit dem Nachweis, dass der Schaden auch bei Vornahme der Rettungshandlungen eingetreten wäre, entlasten. Dieser sogenannte Kausalitätsgegenbeweis greift sowohl bei grober Fahrlässigkeit als auch bei Vorsatz des Versicherungsnehmers, nicht aber bei Arglist.
Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.
Rechtsanwalt Bernhard Gramlich ist seit 2019 angestellter Anwalt der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2020 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Als Rechtsanwalt hat er bereits einer Vielzahl von Versicherungsnehmern bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Versicherern geholfen.
Sind die Rettungshandlungen des Versicherungsnehmers erfolglos geblieben, so erhält der Versicherungsnehmer auch seine Aufwendungen zur Abwendung oder Minderung des Schadens vom Versicherer erstattet. Grund dafür ist, dass der Versuch der Schadensminderung des Versicherungsnehmers letztlich der Versicherungsgemeinschaft zugutekommt. Unter Aufwendungen fällt jede Verminderung des Vermögens des Versicherungsnehmers als adäquate Folge einer Schadensabwendungs- oder Schadensminderungsmaßnahme, mithin nicht nur freiwillige Vermögensopfer, sondern auch Schäden. Wenn durch Vornahme einer solchen Maßnahme unversicherte Sachen als spezifische Folge der Rettungsmaßnahme beschädigt werden, so sind die für die Behebung des Schadens anfallenden Kosten zu ersetzen. Auch Folgeschäden aus Rettungsmaßnahmen können erstattet werden. So können beispielsweise auch nach einem Brand Löschmittelschäden an nicht versicherten Sachen im Rahmen einer Gebäude- oder Hausratversicherung ersetzt verlangt werden (BGH VersR 1977, 709).
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