Wissenserklärungsvertreter durch generelle Betrauung? (OLG Köln)

Das OLG Köln hatte sich mit Urteil (OLG Köln, Urt. v. 26. 4. 2005 – 9 U 113/04) mit der Frage zu befassen, ob eine generelle Betrauung eines Dritten mit der Erfüllung von Obliegenheiten oder der Abgabe von Erklärungen an Stelle des Versicherungsnehmers ausreicht, damit dieser zum Wissenserklärungsvertreter des Versicherungsnehmers wird.

Unfallangaben durch die Lebensgefährtin

Zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer bestand eine Vollkaskoversicherung. Am 16.11.2002 kam der Versicherungsnehmer mit seinem Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h auf der Autobahn von der Fahrbahn ab und überschlug sich. Dabei entstand am Fahrzeug ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Die unfallaufnehmenden Polizeibeamten stellten fest, dass bei dem Reifen vorne rechts innen auf einer Breite von 6 cm kein Profil vorhanden war, der Rest wies eine Profiltiefe von 1,0 bis 3,0 mm auf. Der vordere linke Reifen hatte auf beiden Seiten einen Rand von 5 cm mit einer Profiltiefe von 0,0 bis 0,3 mm, der Rest wies 4,00 mm auf. Die hinteren Reifen hatten eine Profiltiefe von 2,0 bis 4,0 mm. Weiterhin war die Fahrbahn nach den Feststellungen der Polizei trocken.

Der Versicherungsnehmer erlitt schwere Verletzungen und wurde zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus transportiert. Die Lebensgefährtin des Versicherungsnehmers füllte daraufhin die Schadensmeldung aus und unterschrieb diese mit dem Namen des Versicherungsnehmers. Nachdem sie im Krankenhaus mit dem Versicherungsnehmer gesprochen hatte, trug sie in der Schadensmeldung in die vorgedruckte Zeile „Vorgeschriebene Geschwindigkeit:” „120 kmh erlaubt, ca. 90 kmh gefahren” ein. Zum Schadenshergang trug sie ein: „Ich fuhr am 16. 11. 02 auf der BAB 4 Richtung E. An diesem Tag regnete es so stark, dass sich in einer Senke Wasser angesammelt hatte. Verkehrsbedingt musste ich abbremsen und geriet dadurch ins Schleudern …”.

Der Vollkaskoversicherer lehnte daraufhin die Regulierung ab, weil der Schaden im Hinblick auf die verkehrsunsicheren Reifen grob fahrlässig herbeigeführt worden sei. Hiergegen wandte sich der Versicherungsnehmer.

Zurechnung der Aufklärungsobliegenheit

Der Versicherungsnehmer war nach Ansicht des OLG Köln nach Eintritt des Versicherungsfalls verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands dienlich sein kann. Dazu gehöre auch die Pflicht, den Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig über solche Umstände zu unterrichten, die für die Schadensregulierung bedeutsam sein können. Dem Versicherer müsse damit ermöglicht werden, sachgerechte Feststellungen zu treffen. Diese Aufklärungsobliegenheit sei nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzt worden, wobei dem Versicherungsnehmer das Handeln seiner Lebensgefährtin zuzurechnen sei.

Falschangaben durch die Lebensgefährtin

Eine Falschangabe liege bereits darin, dass die Lebensgefährtin in der Schadensmeldung an den Versicherer die gefahrene Geschwindigkeit mit „ca. 90 km/h“ angegeben hat, obwohl der Versicherungsnehmer in Wahrheit mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h gefahren ist. Weiterhin habe die Lebensgefährtin im Zusammenhang mit der Schilderung des Schleudervorgangs angegeben, dass es so stark geregnet habe, dass sich in einer Senke Wasser angesammelt habe. In Wirklichkeit sei der Straßenzustand ausweislich der Feststellungen der Polizei trocken gewesen.

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Generelle Betrauung genügt zur Begründung einer Wissenserklärungsvertreterstellung!

Die genannten Falschangeben seien dem Versicherungsnehmer auch zuzurechnen, denn die Lebensgefährtin des Versicherungsnehmers sei seine Wissenserklärungsvertreterin gewesen. Wissenserklärungsvertreter sei, wer vom Versicherungsnehmer mit der Erfüllung von dessen Obliegenheiten und zur Abgabe von Erklärungen an Stelle des Versicherungsnehmers betraut worden ist. Hierbei reiche es aus, wenn der Dritte generell mit den genannten Aufgaben betraut worden ist, was sich aus den Umständen ergeben könne. Dieser Fall sei hier einschlägig.

Die Lebensgefährtin habe ausgesagt, dass sie die gesamten versicherungsrechtlichen Angelegenheiten des Versicherungsnehmers erledigt habe, was auch noch heute so sei. Eine insoweit erklärte Einschränkung des Versicherungsnehmers habe es nicht gegeben. Vielmehr habe ein generelles Einverständnis des Versicherungsnehmers mit dem Handeln seiner Lebensgefährtin vorgelegen. Der Umstand, dass die Lebensgefährtin mit dem Namen des Versicherungsnehmers unterschieben hat, führe auch zu keiner abweichenden Beurteilung.

Angaben „ins Blaue hinein“

Darüber hinaus sei die gegen die Lebensgefährtin als Wissenserklärungsvertreterin sprechende Vorsatzvermutung nicht widerlegt worden. Sie habe jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt. Nach eigener Aussage habe sie erkannt, dass der Versicherungsnehmer auf der Intensivstation „viel Unsinn erzählt habe, nichts, was man ernst nehmen könne“. Die Lebensgefährtin habe sich dann „etwas einfallen lassen”, nachdem sie sich selbst ein „vermeintliches Bild vom Unfallhergang” sporadisch gemacht zu haben schien. Wenn in einem solchen Fall bewusst „ins Blaue hinein” feststehende Angaben gemacht werden, ist die Kenntnis der Ungewissheit der Kenntnis der Unrichtigkeit gleichzusetzen, so das OLG Köln.

Relevanzrechtsprechung des BGH

Nach den Grundsätzen der Relevanzrechtsprechung des BGH trete die Leistungsfreiheit des Versicherers bei vorsätzlicher, aber für ihn folgenlos gebliebener Verletzungen der Anzeigepflicht nur dann ein, wenn die Verletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und wenn dem Versicherungsnehmer ein schweres Verschulden zur Last fällt. Des Weiteren müsse der Versicherungsnehmer über den Eintritt der Leistungsfreiheit des Versicherers bei derartigen Obliegenheitsverletzungen belehrt worden sein.

Die Lebensgefährtin erfülle vorliegend diese Voraussetzungen. Die Obliegenheitsverletzung sei geeignet gewesen, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Zudem sei die Belehrung im Fragebogen inhaltlich zutreffend gewesen. Dem Versicherungsnehmer sei klar und deutlich gesagt worden, dass bewusst unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dem Versicherer hierdurch kein Nachteil entsteht.

Folglich komme es auf die Frage der groben Fahrlässigkeit und der Kausalität oder der Gefahrerhöhung durch Fahren mit abgefahrenen Reifen nicht mehr an. Der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers sei entfallen, weil der Versicherer wegen schuldhafter Verletzung der dem Versicherungsnehmer obliegenden Aufklärungspflicht von seiner Leistungspflicht frei geworden sei. Das OLG Köln entschied daher, dass dem Versicherungsnehmer kein Entschädigungsanspruch wegen des Unfalls gegen den Vollkaskoversicherer zusteht.

Fazit

Die Lebensgefährtin eines Versicherungsnehmers, die dessen gesamte versicherungsrechtlichen Angelegenheiten regelt, kann als dessen Wissenserklärungsvertreterin angesehen werden. Macht die Wissenserklärungsvertreterin dann bei der Schadensmeldung gegenüber dem Versicherer Falschangaben oder Angaben „ins Blaue hinein“, kann dies eine dem Versicherungsnehmer zuzurechnende Obliegenheitsverletzung darstellen. Dies kann zur Folge haben, dass der Versicherer leistungsfrei ist.

Ob die Lebensgefährtin als Wissenserklärungsvertreter fungiert hat, ist jedoch stets im Einzelfall zu prüfen. Lehnt der Versicherer daher eine Leistung ab, so kann es durchaus sinnvoll sein, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu kontaktieren. Gerne steht hierfür auch die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie u.a. auch unter Der Wissenserklärungsvertreter des Versicherungsnehmers.

Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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