Suizid durch Sturz von Balkon nach Erdrosselung der Familie (OLG Stuttgart)

Das OLG Stuttgart hatte mit Urteil vom 27.06.1988 – Az. 5 U 259/87 – über die Frage der Leistungspflicht einer Lebensversicherung nach einem Suizid des Versicherten durch einen Sturz vom Balkon zu entscheiden. Kurz vor dem Sturz von dem Balkon hatte der Versicherte seine Familie erdrosselt.

Suizid nach Erdrosselung der Familie

Der Versicherte schloss beim Versicherer jeweils im November 1985 sowie im Februar 1986 eine Lebensversicherung mit Versicherungssummen ab. In den Versicherungsbedingungen wurde vereinbart, dass der Versicherer bei einem Suizid vor Ablauf von drei Jahren nach Zahlung der Einlösesumme nur zur Leistung verpflichtet bleibt, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmungen ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder unter dem Druck schwerer körperlicher Leiden begangen worden ist.

Die Rechte aus beiden Versicherungsverträgen wurden vom Versicherten zur Sicherung eines Darlehens abgetreten. Im Mai 1986 erdrosselte der Versicherte sodann seine Ehefrau und seine beiden Kinder. Im Anschluss beging er Suizid, indem er sich von seinem Balkon stürzte.

Die Zessionarin forderte die Auszahlung der Versicherungssumme in Höhe der gesicherten Darlehenssumme vom Versicherer. Dieser verweigerte jedoch die Leistung u.a. mit der Begründung, es bestehe keine Leistungspflicht, da diese wegen des Suizids des Versicherten innerhalb der dreijährigen Karenzzeit ausgeschlossen sei.

Die Zessionarin berief sich darauf, dass eine Leistungspflicht des Versicherers weiterhin bestehe, da sich der Versicherte zum Tatzeitpunkt in einem die freie Willensbestimmungen ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Die fehlende Zurechnungsfähigkeit ergebe sich bereits daraus, dass der Versicherte vor seinem Suizid seine Familie tötete. Hinzu kämen sowohl große finanzielle Probleme als auch die Scheidungsabsicht seiner Ehefrau. Wahnideen seien deshalb in jeden Fall vorhanden gewesen. Keinem normal denkenden Menschen käme in den Sinn, allein aufgrund von Schulden und Eheproblemen seine Familie zu töten. Zudem könne die Spielsucht des Versicherten ebenfalls zur mangelnden Zurechnungsfähigkeit beigesteuert haben

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Krankhafte Störung der Geistestätigkeit?

Nach Ansicht des OLG Stuttgart habe sich der Versicherte jedoch nicht in einem die freie Willensbestimmungen ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder unter dem Druck schwerer körperlicher Leiden befunden. Dass der Druck schwerer körperlicher Leiden bestanden haben könnte, habe die Zessionarin bereits nicht vorgetragen. Die Schwelle für einen die freie Willensbestimmungen ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit sei nicht erreicht bzw. nicht auseichend dargelegt.

Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit können alle Störungen der Verstandestätigkeit sowie des Willens-, Gefühls- und Trieblebens sein. Der Selbstmörder müsse von seinen unkontrollierbaren Trieben und Vorstellungen so beherrscht sein, dass eine freie Entscheidung für diesen ausgeschlossen sei. Eine derartige Beherrschung des Versicherten sei vorliegend jedoch nicht erkennbar.

Zwar sei die ausgeprägte Spielsucht des Versicherten Hinweis auf eine Anomalie und lasse den Schluss auf eine psychische Störung zu. Auch die Tatsache, dass er seine Frau und seine Kinder tötete, deute auf ein hohes Maß an psychopathischem Potenzial hin. Diese Tatsachen lassen jedoch nur auf generelle psychische Störungen des Versicherten schließen. Dass die konkrete Selbsttötung im Zustand einer krankheitsbedingten Willensstörung, die eine freie Willensentscheidung unmöglich machte, könne dadurch jedoch nicht geschlussfolgert werden.

Entscheidend gegen die Annahme einer so erheblichen Willensstörung spreche jedenfalls, dass die Tat aus menschlich nachfühlbaren Motiven begangen worden sei. Die finanzielle und familiäre Situation zusammen mit der Spielsucht und den daraus resultierenden psychischen Beeinträchtigungen seien trotz des schrecklichen Ergebnisses menschlich nachvollziehbar. Zudem habe der Versicherte die Tat ohne Einfluss von Drogen oder Medikamenten begangen. All dies spreche dafür, dass sich der Versicherte einen freien Willen über die Tat bilden konnte und eine Leistungspflicht des Versicherers somit nicht bestehe.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt, dass für die Frage, ob der Versicherte den Suizid in einem die freie Willensbestimmungen ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, durchaus erhebliche Hürden zu beachten sind. Generelle psychische Probleme reichen nach Ansicht des OLG Stuttgart jedenfalls nicht dafür aus, um einen die freie Willensbestimmungen ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit anzunehmen.

Allerdings ist stets das Einzelfallgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu betrachten. Verweigert die Lebensversicherung bezugsberechtigten Personen die Leistung, kann es sich daher durchaus empfehlen einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Beiträge zum Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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