Vorsätzliche Selbsttötung bei Tablettenüberdosis und Alkohol (OLG Düsseldorf)

Das OLG Düsseldorf hatte sich mit Urteil vom 22.09.1998 (Az. 4 U 155/97) mit der Frage zu befassen, ob bei einem Tod infolge einer Tablettenüberdosis und Alkoholkonsum auf eine vorsätzliche Selbsttötung geschlossen werden kann. Die bezugsberechtigte Ehefrau und der Versicherer stritten dabei um Ansprüche aus einer Lebensversicherung.

Tod durch Tablettenüberdosis und Alkohol

Der Versicherungsnehmer schloss eine Lebensversicherung ab. Der Versicherungsvertrag enthielt die üblichen Versicherungsbedingungen, welche auch Regelungen hinsichtlich der Leistungspflicht nach einem Suizid enthielten. In diesen hieß es, dass eine Leistungspflicht bei einer vorsätzlichen Selbsttötung innerhalb der ersten drei Jahre nach Versicherungsbeginn nur besteht, wenn der Suizid in einem die freiwillige Willensbetätigung ausschließenden Zustand stattfand.

Der Versicherungsnehmer war langjähriger Alkoholiker. Neben dem Alkoholismus litt er zudem an Krankheiten verschiedenster Art. Zudem litt er unter Depressionen, die von dem Versuch eines Alkoholentzuges noch verstärkt worden seien.

Eines Abends, nach dem Konsum von mindestens 0,8 l hartem Alkohol, nahm der Versicherte 70 Tabletten ein, die eine Wirkstoffkonzentration enthielten, die ohne den Alkoholkonsum wahrscheinlich, mit dem Alkoholkonsum sicher zum Tod führen. Der Tod trat sodann auch ein.

Der Versicherer verweigerte die Zahlung der Todesfallleistung an die bezugsberechtigte Ehefrau des Versicherten, da es sich nach seiner Auffassung um einen Suizid handele und die Karenzzeit noch nicht abgelaufen sei.

Die Ehefrau hingegen ging vom Bestehen einer Leistungspflicht aus, da es sich um einen Unfall und nicht um einen Suizid gehandelt hätte. Selbst wenn ein Suizid vorgelegen haben sollte, so greife jedoch der Leistungsausschluss aus den Versicherungsbedingungen dennoch nicht, weil sich der Versicherte jedenfalls aufgrund des Alkoholkonsums in einem die freie Willensbetätigung ausschließenden Zustand befand.

Nachdem das Landgericht die Klage der Ehefrau abwies, beschäftigte sich das OLG Düsseldorf mit dem Fall.

Nachweis des Suizids

Wie das Landgericht auch, vertrat das OLG Düsseldorf die Ansicht, dass der Versicherer für die vorsätzliche Selbsttötung beweispflichtig ist. Auch der Beweis des ersten Anscheins komme dem Versicherer zur Erbringung dieses Beweises nicht zugute. Allerdings könne es Situationen und Umstände geben, die eine tiefergehende Beweisführung obsolet machen, da sie der allgemeinen Lebenserfahrung nach keinen anderen als diesen einen Schluss zulassen.

Die Indizienlage für einen Suizid und gegen einen Unfall sei dem OLG Düsseldorf nach in diesem Fall so stark, dass sich eine andere Interpretation als die einer vorsätzlichen Selbsttötung schlicht verbiete. Denn die Einnahme von 70 Tabletten übersteige das übliche Maß so weit, dass es sich um kein Versehen gehandelt haben könne. Vielmehr muss der Versicherte davon ausgegangen sein, dass sich die Tabletten im Magen schnell auflösen würden. Laut Gutachter erfolgte die Einnahme sämtlicher Tabletten in einem Zeitraum, der eine halbe Stunde nicht überschritten haben könne. Dass der Tod erst zehn Stunden nach der Einnahme eintrat, entkräfte auch nicht das Indiz dafür, dass die Einnahme absichtlich erfolgte. Vielmehr bewegten sich die zehn Stunden bis zum Todeseintritt genau innerhalb der Zeitspanne, in welcher der konkrete Wirkstoff in der konkreten Dosis normalerweise zum Tod führe.

Für einen Suizid spreche zudem, dass der Versicherte sehr unter seinem äußerst schlechten Gesundheitszustand gelitten habe. Neben dem „Klinefelter-Syndrom“, welches bereits 27 Operationen notwendig gemacht habe, habe er unter dem „Cauda-Syndrom“, einem chronischen Dekubitus und Depressionen gelitten. Zudem sei es schon öfter zu Tablettenmissbrauch sowie gleichzeitigem erheblichem Alkoholkonsum gekommen.

Der nach Todeseintritt gerufene Hausarzt des Versicherten, der ihn schon lange betreut habe, halte ebenfalls keine andere Schlussfolgerung als einen Suizid für möglich. Auch die ermittelnden Kriminalpolizeibeamten schlossen sofort auf einen Suizid.

Angesichts der Vielzahl an Indizien, der Vorgeschichte und den Lebensumständen sei ein Unfallgeschehen, damit so sicher ausgeschlossen. Der Versicherer hat seiner Beweispflicht mit der Darlegung des Hergangs und der Tatsachen Genüge getan.

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Ausschluss der freien Willensbildung

Hinsichtlich der Argumentation, dass eine Leistungspflicht des Versicherers dennoch bestehe, da der Versicherte sich in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, der die freie Willensbildung ausschloss, trifft die Bezugsberechtigte die Beweislast.

Einen solchen Zustand habe der Sachverständige jedoch nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen können. Zwar sei es ihm zufolge denkbar, dass sich der chronische Alkoholismus generell insoweit ausgewirkt habe, dass die Entscheidungsfähigkeit des Versicherten in einer Weise beeinträchtigt sei, die in Richtung einer krankhaften geistigen Störung deute. Konkrete Angaben darüber, ob eine solche tatsächlich vorlag, konnte er jedoch nicht machen, sodass der Beweis seitens der bezugsberechtigten Ehefrau für diese Tatsache nicht ausreichend erbracht wurde.

Die Darstellungen der Bezugsberechtigten vermögen ebenfalls nicht zu beweisen, dass der Versicherte aufgrund des Alkoholkonsums am Abend der Tabletteneinnahme einer krankhaft geistigen Störung und dem Ausschluss der freien Willensbildung litt. Denn auch wenn der Versicherte an besagtem Abend 0,8 l Doppelkorn zu sich nahm, könne aus den Darstellungen der Bezugsberechtigten nicht sicher entnommen werden, welche Menge davon auf den Zeitpunkt vor oder nach der Tabletteneinnahme entfiel. Eine hinreichend bestimmte Darlegung der Alkoholmengen und des Trinkverhaltens sei nicht erbracht worden. Ein Rückschluss auf den Geisteszustand des Versicherten könne damit nicht gezogen werden, den Beweisanforderungen wurde durch die Bezugsberechtigte demnach nicht Genüge getan.

Eine Leistungspflicht des Versicherers bestehe demnach nicht.

Fazit

Hinsichtlich des Vorliegens eines Suizids trifft grundsätzlich den Versicherer die Beweislast. Dieser Beweis ist oftmals nicht leicht zu führen. Doch wenn die Situation und die Umstände so eindeutig sind, dass kein anderer Schluss als auf einen Suizid denkbar ist, genügt der Versicherer seiner Beweispflicht teilweise schon mit einem bloßen Tatsachenvortrag.

Für das Eingreifen der Rückausnahme der Leistungspflicht trifft hingegen den Bezugsberechtigten die Beweislast. Er muss beweisen, dass ein Zustand krankhafter geistiger Störung vorlag, der die freie Willensbildung des Versicherten ausschloss. Auch hier müssen grundsätzlich ausreichend gewichtige Tatsachen vorgetragen werden. Die bloße Möglichkeit des Ausschlusses der freien Willensbildung reicht hingegen nicht aus.

Ob aus den Umständen des konkreten Einzelfalles auf einen Suizid des Versicherten geschlossen werden kann, ist oftmals schwierig festzustellen. Verweigert die Lebensversicherung einer bezugsberechtigten Person die Zahlung der Todesfallsumme, so kann es sich daher durchaus empfehlen, einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Weitere interessante Informationen zu diesem Thema finden sie hier: „Zahlt die Lebensversicherung nach einem Suizid?

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Zum Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow

Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:

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