Der BGH hatte sich mit der Frage des Versicherungsschutzes in der Vertrauensschadensversicherung bei einem Schneeballsystem zu befassen (BGH, Urt. v. 09.05.2012 – IV ZR 19/11).
Im Fall vor dem BGH machte die Versicherungsnehmerin Ansprüche aus der Vertrauensschadensversicherung geltend. Die Versicherungsnehmerin betreibt Verbraucher- und Lebensmittelsupermärkte. Im Zuge dessen schloss sie eine Vertrauensschadensversicherung ab. Gegenstand des Versicherungsschutzes waren unter anderem Täuschungsschäden von Außenstehenden Dritten durch jede Form von Betrug.
Die Versicherungsnehmerin beauftragte zur Bargeldabholung ihrer Filialen ein Geldtransportunternehmen. Dieses holte das Geld ab, zählte es und zahlte es anschließend auf ein Konto der Versicherungsnehmerin ein. Infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Geldtransportunternehmens wurden die Gelder der Versicherungsnehmerin nicht direkt auf ihr Konto überwiesen, sondern zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten sowie zu privaten Zwecken des Geldtransportunternehmens verwendet. Die Versicherungsnehmerin wandte sich wegen Verzögerung der Einzahlungen auf das von ihr benannte Konto unverzüglich an das Geldtransportunternehmen. Dieses begründete die verspätete Einzahlung jedoch mit technischen Schwierigkeiten oder andere Probleme, um die Versicherungsnehmerin zu beruhigen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Schneeballsystem, welches später den Zusammenbruch des Geldtransportunternehmens sowie Verurteilungen in Strafverfahren vor dem LG Hildesheim zur Folge hatte.
Daraufhin wendete sich die Versicherungsnehmerin an ihre Vertrauensschadensversicherung. Diese lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, dass kein Betrugsschaden vorläge, die Versicherungsnehmerin den Schaden nicht unverzüglich angezeigt hat und darüber hinaus ohnehin eine Verjährung der Ansprüche eingetreten sei. Die Versicherungsnehmerin erhob daraufhin Klage gegen den Versicherer.
Das Landgericht wies die Klage der Versicherungsnehmerin ab, da es sich nicht um einen Täuschungsschaden durch Betrug, sondern den Straftatbestand der Untreue handelt. Der Berufung der Versicherungsnehmerin hat das OLG Hamburg stattgegeben. Der Fall landete sodann schließlich vor dem BGH, wo der Versicherer die Wiederherstellung des Urteils des LG Hamburg erstrebt. Zentraler Streitgegenstand ist die Frage, ob das Verhalten des Geldtransportunternehmens als Betrug zu qualifizieren ist.
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Der BGH stimmt dem OLG Hamburg zu, dass hier ein Täuschungsschaden durch Betrug vorliegt. Das Schneeballsystem enthält Täuschungselemente, die nicht durch die Verurteilung des Geldtransportunternehmens wegen Veruntreuung verdrängt werden. Der Versicherungsschutz soll auch bei einer Verurteilung des Schädigers nach einem anderen Straftatbestand, der den Betrug auf Konkurrenzebene verdrängt nicht entfallen.
Der Versicherungsvertrag erfasst nach der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auch den hier vorliegenden Straftatbestand des Betruges. Der BGH sieht im Verschweigen des Schneeballsystems eine Täuschung durch Unterlassen. Das Geldtransportunternehmen verschwieg hier Geschäftspraktiken, indem es das zu transportierendes Geld nutzte, um zuvor geschaffene finanzielle Defizite auszugleichen. Es hätte offenlegen müssen, dass das transportierte Geld anders als vertraglich vereinbart verbucht wurde. Dabei ergibt sich aus dem Transport hoher Geldsummen ein besonderes Vertrauensverhältnis, welches eine Garantenstellung des Geldtransportunternehmens begründet.
Ferner sieht der BGH eine Täuschungshandlung in den wahrheitswidrigen Erklärungen, durch die sich das Geldtransportunternehmen für Zahlungsverzögerungen entschuldigte. Diese der Beschwichtigung dienenden Schreiben beruhigten die Versicherungsnehmerin und führten schließlich zur Fortsetzung ihrer Vertragsbeziehungen.
Laut BGH liegt durch die konkrete Gefährdung des Vermögens der Versicherungsnehmerin ein Schaden vor. Das Schneeballsystem ist drauf gerichtet, die Gelder nach Bedarf eigenmächtig vertragswidrig zu verwenden und zu verschieben. Bereits die Hingabe des Transportgutes an das Geldtransportunternehmen stellt daher eine konkrete Gefährdung des Vermögens der Versicherungsnehmerin dar. Der BGH bejaht eine solche konkrete Gefahr, wenn die Versicherungsnehmerin ernstlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hat. Hier ergibt sich die Gefahr des vollständigen Verlustes des Geldes durch die Übergabe an das Geldtransportunternehmen.
Der BGH erklärt, dass hier entgegen der Auffassung der Versicherung keine Verjährung der Ansprüche eingetreten ist. Die Versicherung beruft sich hier darauf, dass sich der Beginn der Verjährungsfrist nach der Entstehung des Leistungsanspruchs richtet. Für eine solche Annahme besteht allerdings keine Rechtsgrundlage, sodass der Zeitpunkt der Fälligkeit maßgeblich ist.
Der Beginn der Verjährungsfrist setzt voraus, dass die Versicherungsleistung verlangt werden kann, das heißt, dass diese fällig ist. Dazu müssen Grund und Höhe der Leistungspflicht des Versicherers nachgewiesen sein.
Zudem hängt der Eintritt der Fälligkeit von der Schadensanzeige, sowie der Vorlage der zum Nachweis des Versicherungsfalls erforderlichen Unterlagen ab. Die Verjährungsfrist kann somit nicht vor Mitwirkungshandlungen der Versicherungsnehmerin zu laufen beginnen, selbst wenn diese über einen längeren Zeitraum hinweg nicht vorgenommen werden. Allein bei treuwidrigem Verhalten des Versicherungsnehmers kommt eine Vorverlegung vom Beginn der Verjährungsfrist in Betracht. Das Vorliegen eines solchen Verhaltens wurde vorliegend jedoch durch den BGH nicht angenommen.
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass ein Täuschungsschaden durch Betrug auch dann entstehen kann, wenn keine strafrechtliche Verurteilung wegen Betrugs vorliegt. Dabei kann ein Vermögensschaden bereits bei konkreter Gefährdung des vollständigen wirtschaftlichen Verlustes des Vermögens eintreten. Lehnt der Versicherer daher eine Schadensregulierung unter Verweis auf das Nichtvorliegen eines Betruges ab, so kann es sich durchaus empfehlen, die genauen Umstände des Einzelfalles von einen im Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Gerne stehen hierfür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
Rechtsanwalt Reichow ist Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. Er betreut vor Allem Verfahren im Versicherungsrecht, zur Haftung von Versicherungsvermittlern und Streitigkeiten aus dem Handelsvertreterrecht. Nähere Angaben zu Jens Reichow finden Sie unter folgendem Anwaltsprofil:
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