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Versicherungsschutz bei Schulunfähigkeit? (OLG Saarbrücken)

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hatte über den Versicherungsschutz bei einer Schulunfähigkeit zu entscheiden (OLG Saarbrücken, Beschluss v. 07.11.2023, Az. 5 W 62/23).

Schulunfähigkeit aufgrund einer Computerspielsucht?

Eine Versicherungsnehmerin unterhielt für ihren Sohn als versicherte Person eine Schulunfähigkeitsversicherung mit Versicherungsbeginn am 1. März 2006, der die Allgemeinen Bedingungen für die Schulunfähigkeitsversicherung (Tarif IBU2200S) zugrunde liegen. Für den Versicherungsfall, insbesondere die mindestens 50-prozentige Schulunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit, ist neben der Beitragsbefreiung die Zahlung einer monatlichen Rente von 472,08 Euro vereinbart.

Am 1. Februar 2017 stellte die Mutter einen Antrag auf Leistungen wegen Schulunfähigkeit. Diesen begründete sie mit einer seit August 2016 bestehenden Internetspielsucht und Computerspielsucht ihres versicherten Sohnes. Dieser spiele nämlich 12 bis 13 Stunden täglich, wodurch Schlafstörungen, eine Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus um 12 Stunden, soziale Zurückgezogenheit sowie eine Essstörung bestünde. Insbesondere sei ein Schulbesuch der – seit 29. August 2016 von ihm besuchten – 11. Klasse nicht möglich. Der Sohn befinde sich seitdem in einem psychischen Ausnahmezustand.

Daraufhin entgegnete der Versicherer, dass eine leistungsauslösende Schulunfähigkeit derzeit noch nicht nachgewiesen sei, erklärte sich allerdings bereit, den Sachverhalt erneut zu überprüfen. Am 9. August 2017 gewährte der Versicherer sodann „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, unabhängig von den geltenden Versicherungsbedingungen, rein auf dem Kulanzwege und ohne bedingungsgemäße Anerkennung einer Schulunfähigkeit“ vom 1. September 2016 bis zum 31. Dezember 2017 Versicherungsleistungen.

Verweigerung einer fachärztlichen Untersuchung

Nach Ablauf dieses Zeitraumes beantragte die Mutter des Versicherten erneut Leistungen wegen Schulunfähigkeit. Der Versicherer verlangte daraufhin eine fachärztliche Untersuchung und überließ dem Versicherten die Wahl zwischen zwei Instituten in Frankfurt. Dieser lehnte eine Untersuchung in Frankfurt ab, woraufhin sich der Versicherer mangels fachärztlicher Untersuchung auf das Fehlen der Fälligkeit etwaiger Leistungen berief.

Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe

Infolgedessen reichte die Mutter des Versicherungsnehmers beim Landgericht Saarbrücken einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nebst Klageentwurf ein. Sie hält die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Schulunfähigkeit ihres Sohnes seit August 2016 für gegeben und beabsichtigte, den Versicherer entsprechend in Anspruch zu nehmen. Sie ist insbesondere der Ansicht, der Versicherer müsse durch entsprechende Drittbefunde eine abschließende Feststellung treffen, zumal ihr Sohn nicht in der Lage sei, sich einer Untersuchung zu stellen.

Das Landgericht hat der Mutter insoweit Prozesskostenhilfe gewährt, als dass diese den Versicherer auf Zahlung der rückständigen Rente bis zum 31.07.2019 in Anspruch zu nehmen beabsichtige. Im Übrigen hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen.

Mit ihrer nach Erhebung einer dementsprechend reduzierten Klage eingereichten Beschwerde verfolgt die Mutter des Versicherten ihre Bitte um Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für die weitergehenden Klageanträge weiter.

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Keine Eintrittspflicht des Versicherers

Die Beschwerde blieb in der Sache jedoch ohne Erfolg. Der Mutter des Versicherten könne über die vom Landgericht getroffenen Entscheidung hinaus keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bot keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Nach Ansicht des OLG Saarbrücken habe die Leistungspflicht des Versicherers frühestens am 1. September 2016 begonnen und sei spätestens mit Ablauf des Monats Juli 2019 geendet. Der Versicherungsnehmerin stehe somit kein Anspruch auf Versicherungsleistungen für weiter vergangene oder künftige Zeiträume aus diesem Versicherungsfall zu.

Leistungsfall Schulunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit

Das OLG Saarbrücken stellte zunächst fest, dass der Versicherer gemäß den vertraglichen Vereinbarungen Leistungen bei Eintritt des Leistungsfalls schulde, mithin, wenn der Versicherte während der Versicherungsdauer zu mindestens 50% schulunfähig bzw. erwerbsunfähig wird. Damit gewähre der Vertrag Versicherungsschutz für zwei selbstständige, insbesondere an verschiedene persönliche Voraussetzungen geknüpfte Versicherungsfälle, nämlich Schulunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit.

Vollständige Schulunfähigkeit liege jedenfalls vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, weiterhin als Schüler an einem regulären Schulunterricht teilzunehmen. Teilweise Schulunfähigkeit liege wiederum vor, wenn diese Voraussetzungen nur zu einem bestimmten Grad erfüllt sind. Ist die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen, weiterhin als Schüler an einem regulären Schulunterricht teilzunehmen, so gelte dieser Zustand von Beginn an als vollständige oder teilweise Schulunfähigkeit.

Kein Anspruch auf vergangene Leistungen

Darüber hinaus sei zu beachten, dass der Anspruch Versicherungsleistungen frühestens mit Ablauf des Monats entsteht, in dem die Schulunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Ausgehend von den Darstellungen der Mutter des Versicherten, die die Voraussetzungen einer Schulunfähigkeit bereits ab August 2016 behaupte, sei der Versicherer frühestens ab dem 1. September 2016 zur Gewährung von Leistungen verpflichtet.  Geltend gemachte Ansprüche wegen des Versicherungsfalls Schulunfähigkeit schon für August 2016 scheiden somit aus.

Zukünftige Leistungen noch nicht fällig

Ebenso sei der Versicherer aus dem Versicherungsfall Schulunfähigkeit nicht über den Monat Juli 2019 hinaus zur Gewährung von Leistungen verpflichtet. Denn sofern keine Erwerbsunfähigkeit besteht, die ihrerseits eine Leistungspflicht erst dann auslöst, wenn der Versicherte während der Versicherungsdauer zu mindestens 50 Prozent erwerbsunfähig wird, enden die Leistungen auch bei fortbestehender Schulunfähigkeit spätestens mit dem planmäßigen Ablauf der begonnenen Schulausbildung. Vorliegend sei der geplante Abschluss der gymnasialen Oberstufe spätestens im Juli 2019 erfolgt. Dies habe zur Folge, dass weitere Leistungen nach diesem Zeitpunkt nur geschuldet sind, wenn die Voraussetzungen des anderen Leitungsfalls Erwerbsunfähigkeit vorliegen.

Nach Ansicht des Gerichts kommen keine (weiteren) Leistungen wegen Schulunfähigkeit in Betracht, so dass festzustellen sei, dass für die Zeit ab August 2019, also nach planmäßigem Ablauf der begonnenen Schulausbildung, keine Leistungspflicht aus dem (weiteren) Versicherungsfall Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Folglich wurde die Klage als unbegründet abgewiesen.

Fazit und Hinweise

Im Rahmen eines Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird geprüft, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Steht dem Antragssteller wie im vorliegenden Fall kein Anspruch auf weitere Leistungen für die Vergangenheit und die Zukunft nach Ansicht des Gerichts zu, so ist der Antrag mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen.

Die gerichtlichen Entscheidungen sind nachvollziehbar. Ein Abstellen auf die Höchstdauer der geplanten Ausbildung (hier: Abitur) erscheint durchaus plausibel, zumindest wenn es um den Bereich der Schulunfähigkeitsversicherung geht. Eine weitergehende Erwerbsunfähigkeit lag hier nicht vor, so dass auch aus diesem Versicherungsbaustein keine Leistungsverpflichtung bestand.

Interessant ist vorliegend jedoch auch der Leistungsauslöser: Internetspielsucht und Computerspielsucht eines Oberstufenschülers bei 12 bis 13 Stunden täglich mit sich dadurch ergebenen Schlafstörungen, Bio-Rhythmus-Störungen, Essstörungen und sozialer Zurückgezogenheit. Da kann möchte man sich durchaus die berechtigte Frage stellen, warum es überhaupt zu so einem „psychischen Ausnahmezustand“ dieses jungen Menschen kommen konnte.

Zum Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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Rechtsanwalt erklärt Urteil zum Versicherungsschutz bei Schulunfähigkeit

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