Das Oberlandesgericht Dresden befasste sich in seinem Urteil vom 11.06.2025 (Az.: 4 U 88/25) mit den Voraussetzungen eines versicherten Unfallereignisses. Dabei ging es konkret darum, ob das Platzen eines Reifens ohne erkennbaren äußeren Einfluss ein Unfall gemäß den Versicherungsbedingungen darstellt oder unter den Leistungsausschluss wegen Reifenschäden fällt.
Der Versicherungsnehmer unterhielt eine Kaskoversicherung, welche unter anderem der Absicherung von Unfallschäden diente. Dabei war in den Vertragsbedingungen folgendes bestimmt:
„Ein Unfall ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Keine Unfallschäden sind deshalb insbesondere:
– Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einem Bremsvorgang haben, z. B. Schäden an der Bremsanlage oder an den Reifen.
– Schäden am Fahrzeug, die ausschließlich aufgrund eines Betriebsvorgangs eintreten, z. B. durch falsches Bedienen, falsches Betanken oder verrutschende Ladung.
– Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einer Materialermüdung, Überbeanspruchung oder Abnutzung haben.
…
Kein Versicherungsschutz besteht für beschädigte oder zerstörte Reifen. Versicherungsschutz für Reifenschäden besteht jedoch, wenn durch dasselbe Ereignis gleichzeitig andere unter den Schutz der Kaskoversicherung fallende Schäden am Fahrzeug verursacht wurden.“
Am 01.04.2021 fuhr der Versicherungsnehmer mit seinem Fahrzeug auf der A4. Während der Fahrt vernahm der Versicherungsnehmer zwei „Polterer“, woraufhin er in seinem Spiegel sah, dass der rechte Hinterreifen des versicherten Fahrzeugs geplatzt war. Der geplatzt Reifen wiederum führte dazu, dass das Fahrzeug ins Schleudern geriet und Teile in die Luft flogen. Der Versicherungsnehmer selbst als auch zwei Zeugen konnten vor dem Unfallgeschehen keine auf der Fahrbahn liegenden Gegenstände, Schlaglöcher oder Ähnliches erkennen.
Der Versicherungsnehmer meldete den Schaden bei seiner Kaskoversicherung, welche zur Schadensfallregulierung ein Sachverständigengutachten in Auftrag gab. Auch dem Gutachten nach war nicht zu erkennen, dass der Versicherungsnehmer ein Gegenstand überfuhr oder ein anderes äußeres Ereignis zum Platzen des Reifens geführt hatte.

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Mit Verweis auf das Sachverständigengutachten lehnte der Versicherer die Übernahme der Reparaturkosten ab. Er berief sich dabei auf den Leistungsausschluss wegen Reifenschäden. Nach seinem Dafürhalten handelte sich lediglich um ein Betriebsschaden, für den kein Versicherungsschutz bestehe und eben nicht um einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen (siehe auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.01.2017 – 8 U 934/16).
Mit dieser Leistungsablehnung gab sich der Versicherungsnehmer nicht zufrieden, weswegen er Klage beim LG Leipzig erhob. Er war der Auffassung, ein versichertes Unfallereignis läge vor, da er über ein nicht erkennbares Hindernis gefahren sei. Zudem seien die Versicherungsbedingungen intransparent.
Das LG Leipzig entschied in seinem Urteil vom 19.12.2024 (Az.: 03 O 39/23), dass die Leistungsablehnung des Versicherers rechtmäßig war, da kein Unfallereignis im Sinne der Versicherungsbedingungen vorgelegen habe. Ein gerichtlich eingeholtes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer zwar über einen Gegenstand auf der Fahrbahn gefahren sein könnte, der Reifenplatzer jedoch primär durch einen starken Vorschaden herbeigeführt worden sei. Schadensursächlich sei demnach die Vorschädigung gewesen, der Gegenstand als äußeres Ereignis hingegen wäre ohnehin nur schadensbegünstigend gewesen. Gegen das Urteil legte der Versicherungsnehmer Berufung vor dem OLG Dresden ein.
Das OLG Dresden bestätigte mit seinem Hinweisbeschluss das Urteil des LG Leipzig. Die Feststellungen des LG Leipzig, dass kein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vorläge, sei zuzustimmen, so das OLG Dresden.
Ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, welches auch schadensursächlich gewesen sei, habe nicht vorgelegen. Indem der Reifen bereits vor Fahrtanritt stark geschädigt war, beruhte der Schaden nicht auf einem äußeren Ereignis, sondern allein auf einer inneren Ursache (so auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.2020 – 9 U 124/18).
Auch bezüglich der Intransparenz der Versicherungsbedingungen gab das OLG Dresden dem Versicherer Recht. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer war ohne Schwierigkeiten zu erkennen, dass Schäden an Reifen nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind. Auch die konkrete Bedingung, in welchem Fall Reifenschäden doch vom Versicherungsschutz gedeckt wären, sei für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich gewesen.
Die Beweislast für das Vorliegen eines Unfallereignisses im Sinne der Versicherungsbedingungen lag beim Versicherungsnehmer. Dieser Beweislast kam der Versicherungsnehmer nicht nach, so das OLG Dresden.
Leistungsablehnungen aufgrund des Leistungsausschluss wegen Reifenschäden in der Kaskoversicherung kommen regelmäßig vor. Auch wenn für den Versicherungsnehmer der Anschein eines Unfalls besteht, bedeutet dies nicht, dass stets auch ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliegt. In jedem Fall sind stets die Einzelfallumstände zu prüfen. Dabei kann es sinnvoll sein, diese Prüfung von einem im Versicherungsrecht spezialisierten Fachanwalt durchführen zu lassen. Gerne stehen dafür auch Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte zur Verfügung.
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