
Mit Urteil vom 27. Februar 2025 (Az. 11 U 124/24) entschied das Oberlandesgericht Celle zentrale Fragen zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Mittelpunkt stand die Bestimmung des maßgeblichen Tätigkeitsbildes eines selbstständigen Zahnarztes sowie die Grenzen einer wirtschaftlich zumutbaren Umorganisation einer Zahnarztpraxis.
Der Versicherungsnehmer hatte als selbstständiger Zahnarzt eine Zahnarztpraxis geführt. Nach Rückgabe seiner kassenärztlichen Zulassung Ende 2020 nahm er keine neue Tätigkeit mehr auf und berief sich später auf Berufsunfähigkeit wegen orthopädischer Leiden (u.a. Schultergelenk). Der Versicherer stellte die Leistungspflicht in Abrede, verwies auf das Stichtagsprinzip und hielt eine Umorganisation einer Zahnarztpraxis für zumutbar. Zudem vermutete der Versicherer, die Praxisaufgabe könne mit behördlichen Aufgaben (hygienische Mängel) oder fehlender Motivation zusammenhängen, und deutete einen möglichen Berufswechsel an. Konkrete Anschluss- oder Vergleichstätigkeiten nannte der Versicherer jedoch nicht. Der Versicherer forderte stattdessen Schriftverkehr mit dem Gewerbeaufsichtsamt sowie Steuerunterlagen an.
In der Vorinstanz hat das Landgericht Lüneburg am 4. Juni 2024 (Az. 5 O 213/22) die Berufsunfähigkeit ab Januar 2023 des Versicherungsnehmers bejaht und hat den Versicherer zur Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (laufende Rente, Beitragsbefreiung, Zinsen) verurteilt. Die vom Versicherer vorgebrachten Vermutungen – etwa Hygienemängel in den Praxisräumen, fehlende Motivation oder ein Berufswechsel – wertete das Gericht als unbeachtlich, weil keine konkrete Anschluss- oder Vergleichstätigkeit benannt wurde.
Das Oberlandesgericht Celle bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Der Versicherungsnehmer konnte seinen Beruf als selbstständiger Zahnarzt ab Januar 2023 dauerhaft nicht mehr ausüben und konnten daher die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beanspruchen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Celle sei bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit an den konkreten Referenzberuf anzuknüpfen. Solange der Versicherungsnehmer keine andere, konkrete oder vergleichbare Tätigkeit aufgenommen hat, bleibe für die Zeit nach dem Ausscheiden der zuletzt ausgeübte Beruf – hier Zahnarzt – versichert. Im vorliegenden Fall hatte der Versicherungsnehmer nach Aufgabe seiner Praxis keine neue Tätigkeit begonnen, sodass ausschließlich seine bisherige zahnärztliche Tätigkeit als Referenz heranzuziehen war.
Trägt der Versicherungsnehmer schlüssig vor, keine Anschlussbeschäftigung aufgenommen zu haben, trifft den Versicherer eine sekundäre Darlegungslast, konkret eine Vergleichs- oder Anschlusstätigkeit zu benennen. Eine bloße Aufforderung von Behörden- oder Steuerunterlagen ersetzt keinen substantiierten Vortrag.

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Laut dem Oberlandesgericht Celle bestehe bei einer personenbezogenen Einzelpraxis die Vermutung, dass eine zumutbare Umorganisation einer Zahnarztpraxis nicht möglich oder wirtschaftlich sei. Eine Umorganisation einer Zahnarztpraxis, bei der der gesundheitlich angeschlagene Praxisinhaber seine ärztliche Kerntätigkeit dauerhaft einem anderen Zahnarzt überlässt und sich auf kaufmännische Aufgaben beschränkt, würde typischerweise zwei standesgemäße Einkommen aus derselben Behandlungskapazität finanzieren müssen. Dies sei wirtschaftlich unzumutbar. Konkrete und tragfähige Konzepte zur Umorganisation einer Zahnarztpraxis wurden vom Versicherer nicht vorgelegt.
Damit eine konkrete Verweisung vorgenommen werden kann, bedürfe es eines konkreteren Hinweises auf ,,andere Tätigkeiten“. Ein lediglich abstrakter Hinweis genüge nicht.
Der Versicherer müsse eine konkret ausgeübte Tätigkeit benennen, die sowohl dem Ausbildungs- und Erfahrungsmaßstabs des Versicherungsnehmers entspräche als auch mit der Lebensstellung des Referenzberufs vergleichbar sei. Die bloße Forderung, der Versicherungsnehmer möge Steuerbescheide vorlegen, ersetze keinen substantiierten Vortrag. Sobald eine konkrete Vergleichstätigkeit benannt werde, träfe den Versicherungsnehmer erst die Last, mangelnde Vergleichbarkeit oder tatsächliche Nichtausübung darzutun.
Das Oberlandesgericht Celle stärkt die Versicherungsnehmerposition in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Maßgeblich ist der zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Beruf – auch bei Praxisaufgabe ohne Anschlussbeschäftigung. Zudem gibt es gerade bei einem Ein-Mann-Betrieb auch klare Grenzen, was die Umorganisation einer Zahnarztpraxis anbelangt.
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Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Während seiner Anwaltstätigkeit hat er bereits eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren im Versicherungsrecht geführt und erfolgreich für die Rechte von Versicherungsnehmern gestritten.

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